Missbrauchskandal Vorstand der Odenwaldschule tritt mehrheitlich zurück

Ausscheidene Vorsitzende Richter-Ellermann: "Der Druck war zu groß"
Foto: Boris Roessler/ dpaHeppenheim - Die von Missbrauchsfällen erschütterte Odenwaldschule im südhessischen Heppenheim sucht einen Neuanfang. Drei Wochen nach Bekanntwerden der sexuellen Übergriffe traten bei einer Krisensitzung am Samstag fünf von sieben Mitgliedern des Vorstands zurück. "Wir machen den Weg frei", begründete die ausgeschiedene Vorsitzende Sabine Richter-Ellermann. "Der Druck der Öffentlichkeit war zu groß."
Nur Schulleiterin Margarita Kaufmann und Geschäftsführer Meto Salijevic verblieben auf ihren Vorstandsposten. Für 29. Mai seien Neuwahlen angesetzt, sagte Richter-Ellermann. Es seien aber noch keine Kandidaten aufgestellt.
Die Schule spricht von 33 Betroffenen aus den Jahren 1966 bis 1991. Acht Lehrer werden beschuldigt. Informationen des SPIEGEL, wonach inzwischen 40 Missbrauchte und 10 beschuldigte Lehrer bekannt sind, wollte die Schulleitung bislang nicht bestätigen. "Wir sind noch in der Aufarbeitung", sagte Salijevic.
Die Zeitspanne, in der die Missbrauchsfälle sich ereignet haben sollen, erstreckt sich von 1966 bis 1991. Beschuldigt werden acht ehemalige Lehrkräfte. Besonders unter Druck geraten ist der Pädagoge Gerold Becker, der die Odenwaldschule von 1972 bis 1985 leitete.
Salijevic will mit neuem Vorstand über seine Zukunft sprechen
Schulleiterin Kaufmann kündigte eine "vollständige und transparente Aufarbeitung" der Vorfälle an. Geplant seien darüber hinaus eine Verbesserung der Personalauswahl, verstärkte Fortbildungsmaßnahmen für Lehrer und Änderungen in der Struktur der Schule. So solle eine Heimleitung installiert werden.
Salijevic deutete an, er werde mit einem neuen Vorstand auch über seine Zukunft reden. Der 57-Jährige war schon beim Aufkommen der ersten Verdachtsfälle 1999 im Amt und gilt deshalb als belastet. "Es geht jetzt darum, den Übergang zu organisieren", sagte er.
Eine Abordnung ehemaliger Schüler hatte zu Beginn an dem nichtöffentlichen Treffen teilgenommen. In der zweiten Hälfte der sich über den ganzen Tag erstreckenden Sitzung war der Trägerverein dann unter sich. Das Gremium hat etwa 30 Mitglieder.
"Dies macht den Weg frei für einen Neuanfang", sagte Marc Tügel von der Gruppe der Altschüler zu den Rücktritten. Thorsten Kahl, der Frankfurter Anwalt einiger Opfer, sagte hingegen, das Elite-Internat habe es "erneut versäumt, einen sauberen Schlussstrich zu ziehen". Seine Kritik bezog sich auf Geschäftsführer Salijevic. "Dass er nicht zurücktrat, ist eine weitere schallende Ohrfeige für die Opfer."
"Die Schule war eine Täterinstitution"
Die Odenwaldschule zählt zu den bekanntesten Einrichtungen der Reformpädagogik in Deutschland. Sie wird im nächsten Monat 100 Jahre alt. Auf der Liste ihrer ehemaligen Schüler stehen bekannte Namen. Dazu zählen der Grünen-Politiker Daniel Cohn-Bendit, der Schriftsteller Klaus Mann und ein Sohn des früheren Bundespräsidenten .
Sein 2008 gestorbener Sohn Andreas hatte Ende der 60er Jahre in der Wohngruppe des Haupttäters und Schulleiters Gerold Becker gelebt. Weder er noch seine Frau hätten von den Missbrauchsfällen "Kenntnisse gehabt, auch nicht durch Andreas", sagte Weizsäcker gegenüber dem SPIEGEL.
Der frühere Vorstand habe "in der Vergangenheit einiges versäumt", sagte der Sprecher des Trägervereins, Philipp Sturz. "Das war kein freiwilliger Rücktritt." Die Verantwortlichen hätten in der Vergangenheit nicht ausreichend die Opfer sexuellen Missbrauchs angehört. "Diese Schule ist eine Täterinstitution gewesen", sagte Sturz. Der Trägerverein habe auf seinem Treffen am Samstag aber auch festgehalten, dass das Familiensystem als Teil des pädagogischen Konzepts der Privatschule "bewahrenswert ist".
Der bisherige Vorstand sei "nicht unbelehrbar", betonte Richter-Ellermann. Nötig sei nun aber ein Neuanfang. "An das, was hier passiert ist, wird sich die Schule immer erinnern", sagte die bisherige Vorsitzende.