Mädchenmord-Prozess »Ich weiß, dass er irgendwann ins Heim gekommen ist«

Angeklagter Bekim H.
Foto: Olaf Wagner / imago imagesEs ist der Albtraum einer Beziehung, den die Zeugin knapp zwei Stunden lang schildert. Sie spricht von Vergewaltigung. Davon, dass er in sie eingedrungen ist, während sie schlief. Sie spricht von seinen Händen um ihren Hals, von Fesselspielen, die keine Spiele mehr waren. Von ihrem Kind, das sich in seinem Zimmer verbarrikadiert und geschrien hat. Sie spricht von seinen Suizidversuchen, Alkohol- und Drogenkonsum. Und dass er sie über Jahre betrogen hat. Dann sagt sie über Bekim H.: »Eigentlich ist er ein ganz, ganz lieber Junge.«
Seit Januar muss sich Bekim H. vor der 32. Großen Strafkammer des Landgerichts Berlin wegen versuchter Vergewaltigung und Mordes verantworten. Er soll in der Nacht auf den 5. August 2020 ein 15-jähriges Mädchen erwürgt haben. Der Angeklagte führte die Polizisten zur Leiche. Die Tat wäre womöglich nicht geschehen, wenn ein Gutachter H. nicht eine günstige Prognose gestellt hätte – und H. aus der forensischen Psychiatrie entlassen worden wäre. Und wahrscheinlich wäre H. nicht dauerhaft in Freiheit geblieben, wenn den Behörden bekannt geworden wäre, was Antje S. über ihn wusste.
Die Zeugin, die an diesem Donnerstag vor Gericht aussagt, ist die frühere Lebenspartnerin des Angeklagten. Sie waren etwa sechs Jahre lang ein Paar. Ihr Sohn war zwei Jahre alt, als sie sich kennenlernten.
Es ist kaum vorstellbar, dass Antje S. das Wiedersehen mit Bekim H. vor Gericht nichts ausmacht. Anzumerken ist es ihr nicht. Sie wirkt gefasst und souverän. Die 32-Jährige neigt nicht zu weitschweifenden Erzählungen. Über Gefühle spricht sie erst, als die Gutachterin sie danach fragt.
Von seiner Kindheit weiß sie kaum etwas
Antje S. und Bekim H. scheinen sich wenig miteinander unterhalten zu haben. Von seiner Kindheit weiß sie kaum etwas. »Ich weiß, dass er irgendwann ins Heim gekommen ist.« Dass er eine Schwester hat, hört sie vor Gericht zum ersten Mal. Was er sich für sein Leben vorgestellt hat, kann sie nicht sagen. Er hatte keine Arbeit. Welche Pläne er hatte, weiß sie nicht.
2012 wurden sie ein Paar, da war er noch in einer Klinik des Maßregelvollzugs. 2001 hatte er eine 68-jährige Frau brutal misshandelt und vergewaltigt. Nach Überzeugung der damaligen Strafkammer war seine Schuldfähigkeit zum Tatzeitpunkt aufgehoben, die Richter ordneten Bekim H.s Unterbringung in der forensischen Psychiatrie an.
»Ich wusste, dass er 13 Jahre lang in der Karl-Bonhoeffer-Klinik gesessen hat«, sagt Antje S. »Ich wusste, dass er Alkohol und Drogen genommen hat. Er hat mir auch erzählt, dass er jemanden vergewaltigt hat. Ich wusste, dass er Borderline hat.« Er habe ihr erklärt: »Das sind Menschen, die sich selbst verletzen, wenn es im Kopf zu viel wird.« Sie wusste, dass er sich mit Rasierklingen ritzt.
Sie blieben ein Paar, als Bekim H. in eine betreute Wohngemeinschaft zog. »Da hat man gedacht, dass er wieder auf dem Weg der Besserung ist«, sagt sie. Bekim H. durfte weiterhin weder Alkohol noch Drogen zu sich nehmen.
Therapeuten über Jahre ausgetrickst
In einer forensisch-therapeutischen Ambulanz habe er regelmäßig seinen Urin kontrollieren lassen müssen. Antje S. berichtet, dass er die Mitarbeiter dort über Jahre ausgetrickst habe. Er habe nicht seinen Urin, sondern den ihres Sohnes abgegeben. »Er hat mein Kind dazu benutzt, dass man ihm nichts nachweisen konnte.« Dabei habe er längst wieder getrunken und Drogen konsumiert.
Antje S. sagt, sie habe einer Ärztin der Ambulanz von H.s Manöver berichtet. »Die war ganz schön geschockt«, sagt sie. Wenn es stimmt, dass Antje S. ihren Freund damals verriet, dann hatte das für Bekim H. offenbar keinerlei Konsequenzen.
2017 hielt die Leiterin der Ambulanz eine weitere forensische Nachsorge für Bekim H. aufgrund seines angeblich geringen Rückfallrisikos für nicht mehr notwendig. Seit 2013 hätten sich im Verlauf der Behandlung von Bekim H. keine Hinweise auf gravierenden Alkohol- oder Drogenkonsum ergeben. Davon, dass er nicht seinen Urin, sondern den eines Kindes abgegeben haben soll, steht in dem Schreiben an die Strafvollstreckungskammer nichts.
Er wurde immer brutaler
Die Wirklichkeit sah offenbar anders aus. Antje S. sagt, dass Bekim H. immer brutaler geworden sei. Vor allem, wenn er getrunken oder Drogen genommen hatte, sei er aggressiv geworden. 2016 habe er versucht, sich in ihrer Wohnung das Leben zu nehmen. Er trank Terpentin und brach zusammen. »Er stand auch schon öfter mit einem Messer vor mir und sagte, ich soll zustechen.«
Psychiaterin Dagny Luther übernimmt das Fragen. Sie geht detaillierter auf das Intimleben des Paares ein. Im ersten Jahr sei der Sex mit Bekim H. noch angenehm gewesen, sagt Antje S. Dann habe er mit den »Fesselspielen« angefangen. Zunächst sei auch das noch »einvernehmlich« gewesen. »Irgendwann habe ich gesagt, dass ich das nicht will, dass mir das wehtut«, sagt die Zeugin. »Irgendwann habe ich gesagt, ich kriege keine Luft mehr. Aber er fand's ganz cool.« Es habe ihn erregt, wenn sie geröchelt hat. »Er fand das schön.«
»Haben Sie Angst gehabt?«, fragt die Psychiaterin.
»Ja, schon«, sagt Antje S.