Mordanschlag auf Passauer Polizeichef Haftbefehle gegen Münchner Ehepaar erlassen
Vielleicht ist es auf diesem Rasenstück geschehen. Vielleicht hat sich genau hier der Hass auf den Polizeidirektor Mannichl zum tödlichen Hass auf den Menschen Alois Mannichl gesteigert. Hier auf dem Soldatenfriedhof am Inn, den sie in Passau noch "Heldenfriedhof" nennen. Ein paar hundert Meter weiter ist schon Österreich.
Die Luft überm Grün ist feucht. Die rund 200 Grabplatten glänzen schwarz. Klein sind sie, nur so groß wie die Hülle einer Schallplatte. Jede Platte trägt vier Namen: meist Soldaten, meist gefallen, gestorben, krepiert im Frühjahr 1945, in den letzten Monaten des Zweiten Weltkrieges.
Sechs Jahrzehnte später. Es ist Volkstrauertag, November 2008. Der Oberbürgermeister legt einen Kranz an den fünf aufwärts strebenden Eisenkreuzen im Zentrum des Friedhofs nieder, ebenso der Sozialverband, natürlich auch die Kriegsgräberfürsorge. Und dann ist da das braune halbe Dutzend. Ein paar Rechtsextreme unter Führung des NPD-Kreisvorsitzenden Martin Gabling. Dazwischen steht, mit grimmiger Miene: Passaus Polizeichef Mannichl, über die Stadtgrenzen hinaus bekannt als härtester Gegner der Radikalen.
Von dieser Begebenheit gibt es ein Bild. Es zeigt, wie Mannichl mit dem rechten Fuß auf einer Grabplatte steht. "Das war sicher keine Absicht, das passiert vielen Besuchern, die gesamte Rasenfläche ist ja ein Friedhof", heißt es in der Stadtverwaltung. Die Passauer NPD aber hetzt kurz darauf im Internet gegen den Polizisten: "Verärgert stellte sich Mannichl auf eine Grabplatte gefallener Soldaten und trampelt mit seinen Schuhen auf einem Gedenkgesteck herum."
Am vergangenen Samstag steht ein Attentäter vor Mannichls Haustür in Fürstenzell, zwölf Kilometer von Passau entfernt. Er rammt ihm ein Messer in den Bauch und ruft: "Du trampelst nimmer mehr auf den Gräbern unserer Kameraden herum."
Kurz darauf werden zwei 26 und 27 Jahre alte Männer aus der rechten Szene festgenommen, dann wieder freigelassen, weil sich der Verdacht gegen sie nicht erhärtet hatte.
Haftbefehl wegen Beihilfe zum Mord
Am Dienstag lauern daraufhin SEK-Beamte des Passauer und des Münchner Polizeipräsidiums in Zivil einem Pärchen aus der rechtsextremen Szene Südbayerns auf. Im Münchner Stadtteil Sendling warten sie auf Manuel und Sabrina H., die nacheinander eintrudeln, und nehmen sie zur Vernehmung mit nach Passau - als Zeugen wohlgemerkt, nicht als Tatverdächtige.
Stundenlang seien die beiden "getrennt voneinander und intensiv" befragt worden, berichtet ein Ermittler SPIEGEL ONLINE. Details blieben streng unter Verschluss, nachdem schon die Vernehmung des jungen Ehepaares aus ermittlungstaktischen Gründen gar nicht an die Öffentlichkeit hätte dringen dürfen.
Mittlerweile könnte es sich bei dem 33-Jährigen und seiner 22 Jahre alten Ehefrau nach Angaben der Ermittler doch um Tatbeteiligte handeln. "Die Art einer möglichen Tatbeteiligung" werde geprüft, sagte ein Ermittler SPIEGEL ONLINE. Sowohl Manuel H. als auch Sabrina H. seien außerdem polizeibekannt.
Am Mittwochabend geben die Ermittler dann offiziell bekannt: Manuel und Sabrina H. seien festgenommen worden, gegen sie wurde Haftbefehl wegen Beihilfe zum versuchten Mord erlassen. Zugleich teilten Polizei und Staatsanwaltschaft mit, sie hätten einen weiteren Fahndungsaufruf herausgegeben (siehe Kasten).
Was hat das Ehepaar aus der Nazi-Szene mit dem Fall zu tun?
Laut Zeugen wurde Sabrina H. am Tag des Attentats in Mannichls Wohnort Fürstenzell in Begleitung eines Mannes gesehen, auf den die von Mannichl gegebene Täterbeschreibung passt, sagte ein Polizeisprecher.
Manuel und Sabrina H. sind aktive Mitglieder der Münchner Neonazi-Szene. Sie gehören der militanten Kameradschaft Freie Nationalisten München an. Deren Credo lautet: München wird wieder deutsch! Kurzzeitig sollen deren Vorsitzender, der führende Kader der Freien Kameradschaftsszene, Philipp Hasselbach, und dessen Freundin ebenfalls festgenommen worden sein. Das behauptet der 21-Jährige auf der Homepage der Freien Nationalisten München.
Gemeinsam habe man am Tattag Flugblätter entworfen und Reden für die Jahresabschlussfeier der Freien Kräfte Erding vorbereitet, schreibt er. Und weiter: "Gegen 22 Uhr stürmten über 30 Polizeibeamte in den Saal und führten umfangreiche Personalienfeststellungen durch. Außerdem versuchten die allgegenwärtigen 'Gesetzeshüter' Aussagen zur Veranstaltung herauszupressen. (...) Wie soll die führerscheinlose Kameradin und Ehefrau erst um 17.30 Uhr Herrn Mannichl in Fürstenzell bei Passau abgestochen haben und um 18 Uhr in mein Auto eingestiegen sein? Und wo kommt auf einmal das Fahrzeug der beiden her, mit dem sie binnen einer halben Stunde nach München geflitzt sein sollen? Um genauer zu werden: Das tatverdächtige Ehepaar hat nicht mal ein Auto!"
"Mannichl hat diesen Anschlag vielleicht sogar provoziert"
Weiterhin bestätigt der 21-jährige Neonazi die Festnahme von Manuel und Sabrina H. "Nach Angaben unseres sofort verständigten Rechtsanwalts André Picker aus Dortmund wurden die beiden am Dienstag als Zeugen und am nächsten Tag als Tatverdächtige gehandelt. Ich selbst wurde am Dienstagabend gegen 21 Uhr von Polizeibeamten der Mordkommission Passau vor meiner Wohnung festgenommen und in Handschellen in die Drei-Flüsse-Stadt gefahren. Zuvor erklärte ich, dass ich mit der Tat nichts zu tun habe und auch zu keiner DNA-Abgabe bereit bin. Nach einer Leibesvisitation sperrte man mich über Nacht in die Gewahrsamszellen der Kriminalpolizeiinspektion Passau."
Seit Mittwochnachmittag sei er auf freiem Fuß, schreibt Hasselbach. "Weitere Aktivisten unserer Gruppe" würden vernommen, seine Freundin sei zeitweise auch vorläufig festgenommen worden.
Die Ermittler wollten diese Details SPIEGEL ONLINE nicht bestätigen.
Im Internet schreibt Neonazi Hasselbach ungerührt: "Trotzdem weichen wir nicht von unserer Meinung ab, dass Polizeidirektor Mannichl diesen Anschlag vielleicht sogar provoziert hat." Er kündigt an: "Wir werden diese ganz offensichtliche Repression nicht unbeantwortet lassen und dagegen auch öffentlichkeitswirksam entgegentreten. Dazu werden wir bis zum Wochenende aktionistische Möglichkeiten konkretisiert haben."
Das Ehepaar H. gilt in der Szene als extrem engagiert, Manuel H. als "extrem antisemitisch". Auf einschlägigen Seiten kursieren Bildaufnahmen, die die beiden in entsprechender Aufmachung und mit Fahnen zeigen. Demnach nahmen sie an Aufmärschen und rechtsextremen Aktivitäten in ganz Deutschland teil. So auch an der Beerdigung des Altnazis Friedhelm Busse und dem anschließenden "Spontanaufmarsch" durch Passau. Manuel H. marschierte damals an der Spitze so wie kürzlich beim "Heldengedenkmarsch" durch München.
"Die beiden Beschuldigten standen bereits vor Gericht", sagt Robert Andreasch, Buchautor und freier Journalist mit Arbeitsschwerpunkt Rechtsextremismus in Bayern und Baden-Württemberg. Sie sollen und anderem beim Angriff Rechtsextremer auf den Israeltag auf dem Münchner Odeonsplatz im vergangenen Sommer mitgemischt haben.
"Wennst ned grad a Nazi bist, ist er ein netter Kerl"
Die Marktgemeinde Fürstenzell und die Stadt Passau sorgen sich derweil wegen des braunen Spuks um ihr Image. Alois Mannichl war hier wie dort Kronzeuge dafür, dass man sich nicht abfindet mit der rechtsextremen Szene am Ort. Alle kennen ihn. Fragt man nach Kontakten mit Mannichl, ist ein empörter Blick die Ernte: "Aber natürlich, was denken denn Sie?" Sie mögen ihn. "Wennst ned grad a Nazi bist, ist er ein unheimlich netter Kerl zu dir, er verteidigt unsere Freiheit", sagt eine Frau auf der Straße in Fürstenzell.
Mitten im Ort steht das Café Traudl, Treffpunkt der rechtsextremen Szene. "Die sind nicht von hier, die reisen an, da stehen oft auch Autos mit österreichischen Kennzeichen", sagt ein Passant. Das Zweifamilienhaus mit der schmutziggelben Fassade ist verrammelt. Die Fenster im Erdgeschoss sind von innen weiß abgeklebt. Bis vor kurzem soll es noch regelmäßige Stammtische der rechtsextremen Szene gegeben haben, immer am Wochenende. Im Sommer haben sie im Garten gegrillt. Gleich gegenüber arbeitet Mannichls Frau. Sie betreibt einen ambulanten Pflegedienst, ihr Name steht groß auf einem Schild an der Fassade. Fürstenzell ist eine kleine Gemeinde.
Zurück auf Passaus Soldatenfriedhof. Am Volkstrauertag 2008 gab es dort nicht den ersten Zusammenstoß mit der rechtsextremen Szene. Am Totensonntag des Vorjahres hatte die NPD einen Kranz niedergelegt. "Ruhm und Ehre unseren deutschen Soldaten", stand auf der schwarz-weiß-roten Schleife. Prompt wurde der Kranz konfisziert - von Passaus Polizei unter Alois Mannichl.