Mordfall Frederike von Möhlmann Ein Vater kämpft und kämpft

Hans von Möhlmann mit seinem Anwalt Wolfram Schädler
Foto: Peter Steffen/ dpaJetzt halten es schon zwei Zivilgerichte für unstrittig, dass Ismet H. 1981 die 17 Jahre alte Schülerin Frederike von Möhlmann vergewaltigt und anschließend getötet hat. Ein Erfolg für den Vater des Opfers, Hans von Möhlmann?
Erst 2013, also mehr als 30 Jahre nach der Tat, ließen sich DNA-Spuren an Frederikes Unterwäsche Ismet H. zuordnen; zur Tatzeit war ein solcher Nachweis noch nicht möglich. Das Mädchen war damals in einem Waldgebiet in der Nähe von Hambühren entsetzlich zugerichtet und umgebracht worden.
Die Gerichte, die der Vater nach dem Ergebnis der DNA-Untersuchung anrief, zweifeln nicht an Ismet H.s Täterschaft. Eine DNA-Analyse wird auch vom Bundesgerichtshof als Beweismittel anerkannt. Dennoch gilt der Mann als unschuldig, bis heute.
Zwar war H. im März 1982 vom Lüneburger Schwurgericht zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe wegen Vergewaltigung und Mordes verurteilt worden. Doch der Bundesgerichtshof hob 1983 dieses Urteil auf. Die Richter des Landgerichts Stade sprachen H. daraufhin frei und gestanden ihm Haftentschädigung zu. Dieser Freispruch wurde rechtskräftig. Die Folge: H. hat nichts mehr von der Justiz zu befürchten - es sei denn, er gestünde das Verbrechen. Doch das tut er nicht. Allerdings bestreitet er es auch nicht. Er sagt gar nichts.
Eine Zivilklage auf Schadensersatz, die der Vater vor dem Landgericht Lüneburg anstrengte, schien der einzige Weg zu einer vom Gesetz nicht vorgesehenen Wiederaufnahme eines Strafprozesses gegen den rechtskräftig freigesprochenen Angeklagten zu sein. Doch die Klage blieb erfolglos, denn die zivilrechtlichen Ansprüche waren nach 30 Jahren verjährt.
Möhlmann legte dagegen Rechtsmittel ein. Sein Argument: Da er bis 2013 den Täter nicht gekannt habe, habe er keine Chance gehabt, Schäden wegen körperlicher und seelischer Beeinträchtigung geltend zu machen.
"Das ganze Drumherum"
Nun verhandelte das Oberlandesgericht Celle den Fall, der dem Laien so klar zu sein scheint, den Juristen aber schier unlösbar. Dem 5. Zivilsenat mit dem Vorsitzenden Richter Becker war der Unmut anzusehen, mit dem er die Sache behandelte.
So stellte der Senat gleich zu Beginn der Sitzung klar, dass der Tod eines Kindes keineswegs für einen "eigenen Anspruch" des Klägers auf Schadensersatz ausreiche. Es sei denn, der Kläger könne eine "besondere Beeinträchtigung" nachweisen. Der Vorsitzende: "Dass er zum Beispiel durch die Nachricht und das ganze Drumherum, wie man heute zu sagen pflegt, besonders traumatisiert wurde."
Und dann zählte der Senat seine Zweifel an der Klage Möhlmanns auf. Die Richter fragten, wie eng denn der Kontakt zwischen Vater und Tochter überhaupt gewesen sei. "Ihre Tochter wurde 1964 geboren, und Sie wurden 1966 schon geschieden. Ihre Ex-Frau sagt, Sie hätten auch vor der Scheidung nicht zusammengelebt. Wie oft haben Sie eigentlich Ihre Tochter gesehen? Haben Sie Unterhalt gezahlt? Es ist schließlich ein Unterschied, ob man in enger häuslicher Gemeinschaft lebt oder ob nur peripherer Kontakt bestand. Soviel wir wissen, haben auch Ihre Kinder den Kontakt zu Ihnen nicht gewollt."
Der Vater: "Ich habe eine Besuchsregelung erstritten. Habe immer wieder versucht, mehr Kontakt zu haben. Aber meine Frau verhinderte die Kontakte. Ich habe Briefe von meinen Kindern bekommen, mit Herzchen und Blumen, aus denen sich keineswegs ergab, dass sie mich nicht hätten sehen wollen!"
Der nächste Punkt, der den Senat bewegte: "Sie waren damals in psychiatrischer Behandlung. In einem Attest vom 8. Oktober 1982 ist Rede davon, sie seien 'erneut' in stationäre Behandlung gekommen. Waren Sie also schon vorher in der Psychiatrie? Da steht auch etwas über eine 'konflikthafte Beziehung zur Mutter'. Das ergibt ein anderes Bild als in der Klageschrift dargelegt."
Der Senat unterstellt offenbar, Möhlmanns Leiden rührten von woanders her, nicht vom Tod seines Kindes. Nur so ist auch die Frage der Richter zu verstehen, ob der Vater je in dem Beruf gearbeitet habe, den er studiert hatte (Sozialarbeit). Was hat das mit der Sache zu tun?

Hans von Möhlmann mit einem Foto seiner Tochter
Foto: Hauke-Christian Dittrich/ dpaMöhlmann schüttelt den Kopf. "Mir ging es nach dem Tod Frederikes furchtbar schlecht. Ich wandte mich dreimal an die Klinik und wurde zweimal wieder heimgeschickt. Erst dann hat man mich aufgenommen. Ich war völlig durch den Wind." Der Senat lenkt etwas ein: "Na ja, es steht ja auch etwas von 'pathologischer Trauerreaktion' da. Wenn Sie das so sagen..." Denn Anspruch auf Schadensersatz habe ein Kläger nur, wenn mit dem Tod der Tochter eine "besondere" Belastung verbunden gewesen sei, "eine besonders nachteilige Verarbeitung des Todes".
Der Anwalt des Vaters, Wolfram Schädler, zeigt sich überrascht, als der Senat gegen seinen Mandanten dann auch noch ins Feld führt, warum dieser nicht seinerzeit schon seinen Anspruch geltend gemacht habe. "Sie waren doch anwaltlich beraten und vertreten!" Möhlmann fassungslos: "Wer soll das gewesen sein? Ich lag während des Prozesses in Lüneburg im Krankenhaus! Mir ist ganz neu, dass ich anwaltlich vertreten gewesen sein soll."
Es ist das alte Lied. Im Gerichtsprotokoll von damals steht, ein Rechtsanwalt habe sich als Vertreter des Nebenklägers von Möhlmann gemeldet. Was hat dieser Anwalt tatsächlich geleistet? Viel offenbar nicht, wenn der Mandant von ihm offenkundig nichts mehr weiß.
Möhlmanns heutiger Anwalt Schädler sagt: "Herr von Möhlmann hatte damals nicht die Möglichkeit, sagen wir mal: sich zivilrechtlich in Szene zu setzen. Es war für ihn nicht realistisch zu sagen, er wolle nun Schmerzensgeld für den Aufenthalt in der Psychiatrie. Bedenken Sie seine subjektive Sicht!" Die ist nicht gerade Sache des Senats. Der Vorsitzende: "Aber dann hatte er drei Jahre Zeit, in denen er eine zivilrechtliche Klage hätte erheben können!"
Soll er weiterkämpfen oder aufgeben?
Und schließlich vergleicht der Senat die Vergewaltigung und Ermordung Frederikes beziehungsweise die Mitteilung darüber mit Verkehrsunfällen, Flugzeugabstürzen oder terroristischen Attentaten. Daraus ergebe sich im Normalfall auch kein Anspruch auf Schadensersatz für die Hinterbliebenen. Der Vorsitzende: "Vergewaltigung und Mord, furchtbar. Aber es geht um den Schaden, den Herr von Möhlmann erlitten hat."
Die Diskussion bewegte sich nun auf immer höherem juristischen Niveau. Man könnte auch sagen: Sie geriet in die Nähe von Haarspalterei. "Es ist nicht nach Herrn von Möhlmanns Leben getrachtet worden", wirft die Beisitzerin ein, "sondern nach dem der Tochter." Juristisch scheint das weniger schlimm zu sein. "Sie sind das Opfer einer Mitteilung, nicht eines Mordes", belehrt der Vorsitzende. Der Gesetzgeber sei berechtigt zu sagen, denkbare Ansprüche müssten irgendwann erledigt, verjährt sein - "aus übergeordneten Gesichtspunkten".
Resultat dieses Gerichtstages: Der Vater ist tief enttäuscht. Soll er weiterkämpfen? Oder aufgeben? Das Recht erreicht die ihm Unterworfenen nicht immer. Der Fall Möhlmann ist dafür ein Paradebeispiel. Am 14. April will der Senat seine Entscheidung verkünden. Überraschend wird sie kaum ausfallen.