Mordprozess Aufmarsch der Rockerheere

600 Hells Angels und Bandidos, mehr als tausend Polizisten: Vor dem Landgericht Münster hat einer der spektakulärsten Prozesse des Jahres begonnen. Zwei Rocker sind angeklagt, einen Rivalen erschossen zu haben.

Münster - "Die dreckige Horde fuhr mit einer gepflegten Arroganz, sich ihres Rufs als verkommenste Motorradgang in der Geschichte der Christenheit sehr wohl bewusst." So beschrieb der US-Autor Hunter S. Thompson in seinem Buch "Hell's Angels" das Auftreten der harten Kerle. Das war Mitte der Sechziger, in Kalifornien.

40 Jahre später, im Münsterland, reisen die berüchtigten Rocker in silberfarbenen Familienkutschen an, manche kommen sogar mit dem Bus. Motorräder sucht man heute Nachmittag vor dem backsteinroten Münsteraner Landgericht vergeblich. Vielleicht ist es den "Höllenengeln" zu kalt.

Dennoch ist die Kulisse in der ansonsten weihnachtlich idyllischen Stadt eindrucksvoll: 600 Rocker, zu etwa gleichen Teilen gestellt von den Hells Angels und ihren Konkurrenten Bandidos, dazu mehr als 1000 Polizisten: Absperrgitter, Leibesvisitationen, Sicherheitsschleusen, ernste Gesichter - es geht grimmig zu vor dem Landgericht.

"Nicht auf Krawall aus"

"Wir sind nicht auf Krawall aus", beruhigt ein Hüne in Hells-Angels-Kutte und roter Mütze, der sich selbst als "Vizepräsident Django" vorstellt. "Dass die Bandidos und wir uns nicht mögen, ist wirklich kein Geheimnis." Diese Wahrheit soll später noch auf sehr handfeste Art und Weise deutlich werden.

Die gegenseitige Antipathie lässt sich aber schon im Saal 23 des Gerichts beobachten. Dort hocken hinten links im Zuschauerraum zwei Dutzend Bandidos, in der Mitte etwa ebenso viele Polizisten, und rechts haben die Angels Platz gefunden. Die verfeindeten Gruppen würdigen sich keines Blickes - und werden dafür unverhohlen bestaunt. Die wenigen "zivilen" Besucher, die Journalisten und Justizwachtmeister beäugen die verlebten Gesichter, die langen Haare, die zerschlagenen Nasen und vor allem die reich verzierten Kutten. "AFFA" ist auf einer zu lesen, was für "Angels forever, forever Angels" steht.

Vielleicht zeigt sich in den neugierigen Bürger-Blicken auch das Interesse an einer aussterbenden Spezies. Nach Einschätzung von Fachleuten wie dem Münsteraner Kriminologen Klaus Boers sind Rockerbanden Relikte einer vergangenen Zeit. Inzwischen seien die wilden Kerle meist ältere Herren, von denen sich einige mit klassischen Rotlicht-Geschichten finanzierten - Schutzgelderpressung, Prostitution und Drogenhandel. "Das reicht wohl, um davon zu leben", so Boers. "Von Gang-Strukturen, wie sie in Amerika vorherrschen, sind wir weit entfernt."

"Begeisterte Motorradfahrer"

"Ganz nette Leute" nennt hingegen Rechtsanwalt Thomas Klein im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE die Rocker, nur seien sie eben "begeisterte Motorradfahrer". Klein vertritt den Bandido Heino B., 48, aus Bremen. Der gelernte Dachdecker und sein Biker-Kumpel Thomas K., 36, sind die Angeklagten im Prozess und somit Auslöser des Auftriebs. Sie müssen sich seit heute vor der Zweiten Großen Strafkammer wegen gemeinschaftlichen Mordes verantworten. Das Duo soll am 23. Mai den Hells Angel Robert K., 47, in dessen Motorradgeschäft im westfälischen Ibbenbüren mit fünf Schüssen aus einer Pistole vom Kaliber 7,65 Millimeter getötet haben.

"Wir gehen davon aus, dass Thomas K. der Schütze war", so Staatsanwalt Stefan Lechtape zu SPIEGEL ONLINE. "Wir haben etwa zehn Indizien zusammentragen können, auf die sich unsere Anklage stützt." Das hält K.s Pflichtverteidiger Jens Meggers für zu wenig: "Es gibt keine Zeugen, keine DNA-Spuren, keine Fingerabdrücke, kein Geständnis. Das reicht nicht aus. Ich werde auf Freispruch plädieren", sagt der Jurist SPIEGEL ONLINE.

Meggers kritisiert gleich zu Beginn der Verhandlung, dass seinem Mandanten K., einem breitschultrigen Kerl mit harten Zügen und kurzen Haaren, auf der Fahrt ins Gericht die Augen verbunden und die Ohren verschlossen worden seien. "Unmenschlich" nennt er dieses Vorgehen. Aus der Hells-Angels-Ecke im Publikum höhnt es lautstark und pseudo-mitleidig: "Ooooooh!"

Zu früh gefreut

Der Vorsitzende Richter Michael Skawran tritt den Vorwürfen des Anwalts entgegen. "Das sind keine unmenschlichen Bedingungen." Er habe diesem Vorgehen der Polizei zugestimmt, werde seine Entscheidung aber nun noch einmal überdenken. Und im Übrigen: "Wenn unsere Referendare Klausuren schreiben, tragen sie sechs Stunden lang Ohrenstöpsel."

Keine zehn Minuten nach diesem Wortgefecht ist der Verhandlungstag bereits beendet. Die Rocker setzen ihre grimmigen Gesichter auf und ziehen geordnet ab. Die Polizisten atmen durch. "Endlich", seufzt ein Beamter. Er freut sich zu früh.

Denn wenig später heulen schon wieder Sirenen durch die Innenstadt. Kurz vor der Autobahn sind die bis dahin zu vorzüglich getrennten Rockergruppen zufällig doch noch aufeinandergeprallt. Etwa 40 Männer prügeln sich, ein Bandido wird verletzt. Hundert Polizisten schlichten schließlich.

"Das Schlimmste aber ist", sagt ein Beamter aus Münster, der seinen Namen nicht nennen möchte, "am Donnerstag geht der ganze Zirkus von vorne los." Die Kammer hat 20 Verhandlungstage angesetzt - und die Rocker wollen wiederkommen.

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