Neunfacher Mord in München Sein Hass so groß

Tötete David Sonboly neun Menschen, weil er ein Rassist und Rechtsextremist war? Oder handelte es sich doch um den Amoklauf eines Verwirrten? Der Versuch einer Antwort.
Trauernde in München

Trauernde in München

Foto: CHRISTOF STACHE/ AFP

Wer war David Sonboly? Warum tat er, was er tat? Von außen betrachtet scheint in der Welt des Amokläufers von München nichts richtig zusammenzupassen: Er war Deutsch-Iraner und schimpfte auf "Scheiß-Türken". Er war mit einem Afghanen befreundet, sympathisierte zugleich angeblich mit der rechtspopulistischen AfD. Er verehrte den norwegischen Rechtsterroristen Anders Behring Breivik, beschäftigte sich aber auch mit völlig unpolitischen Amokläufern wie Tim K. aus Winnenden.

Hinzu kommt: Sonboly war psychisch krank, und zwar so sehr, dass er für Monate stationär behandelt werden musste. Wahrscheinlich passte in seiner Welt tatsächlich nur wenig zusammen.

Logik und Stringenz versuchen nun diejenigen zu etablieren, die seine unerklärliche Tat erklären wollen, die Schubladen suchen, weil eine gedankliche Sortierung das Grauen vielleicht erträglicher macht. Die "FAZ" schrieb am Mittwoch : "Der Täter von München war ein Rassist mit rechtsextremistischem Weltbild." Das klang sehr simpel - und ist wohl zu einfach.

"Eine rechtsextreme Motivation kann nicht bestätigt werden"

Natürlich gibt es Indizien, die auf extremistische Gedanken Sonbolys hindeuten. Ein 17-Jähriger aus seinem Freundeskreis sagte, der spätere Amokläufer habe einen "Riesenhass auf die meisten Ausländer" entwickelt, weil ihn ein paar Jungs in der Schule "richtig zerpflückt" hätten. Seinen Geburtsnamen Ali Sonboly ließ er - vielleicht als Reaktion auf das Mobbing - in David Sonboly ändern. Er habe dann nicht mehr gewollt, dass er mit Ali angesprochen werde, so der Jugendliche.

Auch der Tatzeitpunkt fiel - wohl nicht zufällig - auf den fünften Jahrestag der Anschläge seines Idols Breivik. In einem Video, das zum Tatzeitpunkt aus einem benachbarten Wohnblock aufgenommen wurde, ist Sonboly auf dem obersten Deck eines Parkhauses zu sehen. Als ein Anwohner in seine Richtung über "Scheiß-Kanaken" schimpft, ruft Sonboly trotzig: "Ich bin Deutscher."

Die "FAZ" hatte zudem unter Berufung auf "Sicherheitskreise", die wiederum die Aussagen namentlich nicht genannter Quellen "aus dem engsten Umfeld" des Amokläufers wiedergaben, berichtet, Sonboly habe sich für Adolf Hitler begeistert und sei stolz gewesen, als Iraner und Deutscher "Arier" zu sein. Die Staatsanwaltschaft München teilte auf Anfrage mit, sie könne derartige Aussagen derzeit nicht bestätigen.

Generell gehen die Ermittler bislang nicht von einer politisch motivierten Tat aus. "Eine rechtsextreme Motivation für die Morde könne nach derzeitiger Erkenntnislage nicht bestätigt werden", sagte der Sprecher der Staatsanwaltschaft München I, Florian Weinzierl. Gleichwohl liefen die Ermittlungen noch.

Ermittlungen zu möglichen Mittätern

Gleiches gilt für Informationen über mögliche Mitwisser oder Mittäter: Ein 16-Jähriger, der sich unmittelbar vor der Tat mit Sonboly traf und ihn aus der Psychiatrie kannte, wusste womöglich davon, dass sein Kumpel eine Glock-Pistole besaß. Der Teenager wurde vernommen, kam jedoch nicht in Untersuchungshaft, weil der Haftrichter den Antrag der Staatsanwaltschaft ablehnte.

In Ludwigsburg nahm die Polizei einen 15-Jährigen fest, der mit Sonboly in Kontakt stand und offenbar selbst Überlegungen anstellte, einen Amoklauf an seiner Schule zu verüben. Bei der Durchsuchung der Wohnung seiner Eltern fanden Beamte eine größere Zahl Kleinkaliberpatronen, mehrere Messer und Dolche, eine größere Menge Chemikalien, Material und Anleitungen zur Herstellung von Sprengmitteln sowie Zeichnungen mit Amokbezügen.

Der Jugendliche gab an, sich mittlerweile von seinen Plänen distanziert zu haben. Ist das glaubhaft? Tauschten er und Sonboly sich über ihre Vorhaben aus? Motivierten sie sich gar gegenseitig?

Wählte Sonboly seine Opfer gezielt aus?

Auch die Auswertung von Aufzeichnungen des Münchner Täters dauern an. Bei Sonboly war eine mehrseitige Schrift gefunden worden, die von Journalisten als "Manifest" bezeichnet worden ist. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft handelt es sich aber eher "um eine weitestgehend ungeordnete Aneinanderreihung von Gedanken, die maßgeblich um die schulische und familiäre Situation des Täters sowie um seine Erkrankung kreisten", so Behördensprecher Weinzierl: "Wir können darin momentan nicht eindeutig eine rechte Gesinnung erkennen."

Sonboly scheint nach allem, was man bislang über ihn weiß, ein Außenseiter gewesen zu sein, der auf seine Ausgrenzung mit unbändiger Wut reagierte. Niemand habe ihn gemocht, sagte sein Bekannter Marco*, 16: "Ali war sehr einsam. Er hatte überhaupt niemanden in der Klasse, der sich mit ihm abgegeben hat." Marco hingegen traf sich einige Male mit Sonboly, einmal davon zum Shoppen im Olympia-Einkaufszentrum. Marcos Clique und andere Jugendliche aus der Gegend hätten oft im McDonald's abgehangen, sagte er, dort, wo Sonboly am Freitag tötete.

Bei dem Amoklauf erschoss David Sonboly im Münchner Einkaufszentrum am Olympiapark neun Menschen, ehe er sich selbst richtete. Alle Opfer hatten einen Migrationshintergrund. Wählte er sie gezielt aus? "Ob und wie der Täter Opfer ausgewählt hat, steht bislang noch nicht fest", so Staatsanwalt Weinzierl. Aus Ermittlerkreisen verlautete jedoch, es deute bislang nicht viel darauf hin.

Womöglich ging der Groll des David Sonboly über Nationalitäten, Ethnien und Fragen der Abstammung hinaus. In einem Chat schrieb er einmal: "Ich hasse alle Menschen."


Zusammengefasst: Nach dem neunfachen Mord in München geht die Staatsanwaltschaft derzeit nicht davon aus, dass David Sonboly aus rechtsextremen Motiven handelte. Zwar sprechen Aussagen aus seinem Umfeld und von ihm selbst dafür, dass er gegenüber Ausländern, speziell Türken, feindlich gesinnt war. Doch Ermittler nehmen derzeit eher an, dass er seine Opfer wahllos erschoss. Aus einem Schriftstück, das er hinterließ, spricht nach Angaben der Staatsanwaltschaft nicht eindeutig eine rechte Gesinnung.

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