Prozess in München Was die Heilpraktikerin und den NSU-Helfer verbindet

Sie besuchte ihn im Gefängnis, er schrieb ihr Briefe und Karten: Der Prozess gegen eine Heilpraktikerin in München zeigt deren enge Verbindungen zum NSU-Umfeld.
Von Wiebke Ramm, München
Angeklagte Susanne G. vor Gericht: »Mein Kampf« auf dem Nachttisch

Angeklagte Susanne G. vor Gericht: »Mein Kampf« auf dem Nachttisch

Foto: Frank Hoermann / SVEN SIMON / picture alliance

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Als André E. wegen des Verdachts in Untersuchungshaft sitzt, dem Nazi-Terrortrio »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU) bei einem Sprengstoffanschlag in Köln behilflich gewesen zu sein, besucht ihn Susanne G. im Gefängnis.

Rund zwei Jahre später ist sie hinter Gittern und er frei. Im September 2020 kommt Susanne G., 55, in Untersuchungshaft – wegen des Verdachts der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat. André E. hingegen ist längst wieder in Freiheit: Das Oberlandesgericht (OLG) München hat ihn zwar verurteilt, aber nur wegen Unterstützung des NSU, nicht wegen Beihilfe zum versuchten Mord.

Der Kontakt ist innig

Seit April muss sich nun Susanne G. vor dem Staatsschutzsenat des OLG München verantworten. Der Generalbundesanwalt ist überzeugt, dass die Heilpraktikerin vorhatte, mit einer sogenannten Benzinhandbombe einen Anschlag auf Muslime, Polizisten oder Politiker zu begehen.

Zuvor soll sie einer muslimischen Gemeinde, zwei Kommunalpolitikern und einem Flüchtlingshilfeverein Drohkarten geschickt haben. Im Herbst 2020 wurde sie festgenommen.

Der Generalbundesanwalt hat Susanne G. als Einzeltäterin angeklagt. Demnach hat sie ihre mutmaßliche Terroraktion ganz allein geplant und auch durchführen wollen. Helfer, Mitwisser, Unterstützer sind den Behörden nicht bekannt. Es sei »keine Einwirkung des NSU oder dessen Unterstützer« auf die Taten ersichtlich, die Susanne G. vorgeworfen werden, sagt ein Beamter des bayerischen Landeskriminalamtes (LKA) am Donnerstag vor Gericht. Der Kontakt der Angeklagten zum NSU-Umfeld ist jedoch innig.

Hakenkreuzflagge im Schlafzimmer

Zunächst schreiben sich André E., 41, und Susanne G. nur Briefe. Elf Briefe und zwei Grußkarten hat Susanne G. von André E. nach Kenntnis der Behörden erhalten.

Der erste Brief, den die Ermittler kennen, stammt von September 2017, als E. gerade in Untersuchungshaft gekommen war. André E. schrieb über seine Familie, sein Motorrad, auch über »Ängste und Pläne« und seine »politischen Ansichten«. Was genau André E. der Angeklagten schrieb, führt der LKA-Mann vor Gericht nicht aus. »Ihr Verhältnis erscheint als freundschaftlich«, stellt er fest.

André E. und Susanne G. verbindet einiges. Susanne G. schmückte ihr Schlafzimmer mit einer Hakenkreuzflagge und hatte auf ihrem Nachttisch Hitlers »Mein Kampf« und das Buch »Der Jude als Weltparasit« liegen. Auf ihrem Oberkörper hat sie sich »Staatsfeind« tätowiert, dazu zwei Maschinenpistolen. André E. hat auf seinem Bauch »Die Jew Die«, »Stirb, Jude, stirb«, stehen. Im NSU-Prozess hat er seinen Verteidiger erklären lassen, er sei »ein Nationalsozialist, der mit Haut und mit Haaren zu seiner politischen Überzeugung steht«.

Gemeinsam im schwarzen Jeep

Sowohl Susanne G. als auch André E. waren oder sind Anhänger von Rockerklubs. Susanne G. gehörte zum MC Gremium, André E. zum Invictus Germanitas MC. Maik E., der Zwillingsbruder von André E., engagiert sich für die Neonazi-Kleinstpartei »Der III. Weg«, in der auch Susanne G. bis März 2020 Mitglied war.

In einem seiner Briefe lädt André E. Susanne G. ein, ihn nach seiner Haftentlassung zu Hause zu besuchen. Tatsächlich sehen sich die beiden schon am Tag seiner Freilassung. Susanne G. holt André E. am 11. Juli 2018 von der Justizvollzugsanstalt München-Stadelheim ab, gemeinsam fahren sie in ihrem schwarzen Jeep Cherokee davon. Sie trafen sich weiterhin, feierten nach Behördenerkenntnissen zusammen seinen Geburtstag. Unter den Gästen war auch Ralf Wohlleben, 46 Jahre alt, ein weiterer Helfer des NSU.

Wegen Beihilfe zum Mord in neun Fällen wurde Wohlleben im NSU-Prozess verurteilt. Er soll den NSU-Terroristen bei der Beschaffung der Waffe geholfen haben, mit der Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt neun Menschen türkischer und griechischer Herkunft erschossen.

Susanne G. schrieb auch Wohlleben Briefe ins Gefängnis, den ersten Briefkontakt registrierten die Ermittler im Oktober 2015. »Susl« nennt Wohlleben sie in seinen Briefen. Insgesamt 34 Briefe schrieb er ihr. Auch Wohlleben ist seit 2018 wieder auf freiem Fuß. Die Adressen von Wohlleben und André E. hatte Susanne G. 2020 in dem Navigationsgerät ihres Autos gespeichert. Im September 2020 bat sie um Erlaubnis, dass sowohl André E. als auch Wohlleben sie in der Untersuchungshaft besuchen dürften.

Susanne G. hatte offenkundig engen Kontakt nicht nur zu André E. und Ralf Wohlleben, sondern auch zu deren Familien. Auf ihrem Handy fanden die Ermittler etwa 20 Fotos nicht nur von den beiden Männern, sondern auch von ihren Ehefrauen, von Wohllebens Töchtern und dem Zwillingsbruder von André E.

Doch dass sich Susanne G. mit André E. oder Wohlleben bei ihren Begegnungen womöglich über Anschläge unterhalten hat, darüber haben die Zeugen von Verfassungsschutz, Bundeskriminalamt, Landeskriminalamt und örtlichen Polizeidienststellen, die das Gericht an diesem Tag hört, keine Erkenntnisse.

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