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Wohnhaus von Jens R. in Münster
Foto: Alexander Koerner/ Getty ImagesDer Amokfahrer von Münster hatte offenbar Vorbereitungen getroffen, noch mehr Menschen zu töten. Nach SPIEGEL-Informationen installierte Jens R. an der Tür einer seiner Wohnungen in einem Mehrfamilienhaus in Münster eine potenzielle Sprengfalle. Sie war allerdings noch nicht funktionsfähig. "Eine zünd- oder explosionsfähige Einrichtung herzustellen, wäre möglich gewesen, allerdings nicht kurzfristig und ohne Aufwand", teilte die Polizei mit. (Lesen Sie hier die ganze Geschichte im neuen SPIEGEL.)
In dem VW Bus, mit dem Jens R. seine Amokfahrt unternommen hatte, fanden die Ermittler eine Fernbedienung sowie zwei Kilogramm "Polenböller". Mit den im vorderen Teil des Fahrzeugs gefundenen Drähten richtig verbunden, hätten diese nach Einschätzung der Ermittler eine erhebliche Explosion verursachen können.
Insgesamt stieß die Polizei bei ihren Nachforschungen zu dem Todesfahrer von Münster auf Materialien, die Schlimmstes vermuten lassen: Neben zwei unbrauchbar gemachten Sturmgewehren des Typs AK-47 fanden sie in unterschiedlichen Wohnungen von Jens R. einen Vorderlader, ein halbes Dutzend Gasflaschen, zwei Behälter mit je 20 Litern Benzin, sechs Behälter mit je zehn Litern einer einschlägigen Flüssigkeit. Des Weiteren wurden Zündschnüre und Kunstharze sichergestellt. Nach Aussagen von Verwandten und Bekannten fühlte sich der 48-Jährige, der wohl unter einer psychischen Erkrankung litt, ständig verfolgt.
Bei den beiden Kalaschnikow-Gewehren handelte es sich um sogenannte Dekorationswaffen. Die Sammlerstücke sind in zwielichtigen Kreisen auch deshalb so beliebt, weil sie sich relativ einfach beschaffen und sich ebenso so leicht wieder in scharfe Kriegswaffen zurückverwandeln lassen. Die islamistischen Attentäter von Paris setzten solche Gewehre ein, als sie im Januar 2015 unter anderem die Redaktion der Satirezeitschrift "Charlie Hebdo" überfielen. Auch in Neonazikreisen sind Dekorationswaffen beliebt.
Der wohl psychisch kranke Jens R. hatte am vergangenen Samstag seinen VW-Bus mit Campingausstattung in eine Menschenmenge in Münster gelenkt. Er verletzte zahlreiche Menschen und tötete zwei. Sich selbst erschoss er mit einer Pistole vom Typ Zastava Mod. 70, Kaliber 7,65 Millimeter. Die Ermittler prüfen nun, woher die in Jugoslawien hergestellte Waffe mit der Seriennummer 42109 stammte. Sie gehen nach SPIEGEL-Informationen Spuren nach Osteuropa nach. R. war mit seinem Wohnmobil häufiger in Bulgarien und in Tschechien unterwegs, womöglich auch auf dem Balkan.
In einem von ihm verfassten Dokument mit dem Titel "Warum?", das den Ermittlern vorliegt, behauptete Jens R., ein Bekannter namens W. habe ihm eine scharfe Waffe angeboten. Daraufhin durchsuchten Beamte am frühen Sonntagmorgen die Wohnung des W. in Telgte bei Münster. Allerdings entdecken sie nichts Belastendes. W., kurzzeitig in Gewahrsam genommen, kam wieder frei.
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Münster trauert: Am Samstagnachmittag raste ein 48-Jähriger mit einem Kleinbus in eine Gruppe Menschen, die vor einem Restaurant in der Altstadt saß. Zwei Personen starben, mehr als 20 wurden verletzt. Mehrere Opfer schweben noch in Lebensgefahr. Mitarbeiter der Gaststätte Kiepenkerl gehörten am Sonntagmorgen zu den ersten, die vor dem Lokal Blumen und Kerzen abstellten und um die Opfer trauerten.
Absperrung vor dem Wohnhaus von Jens R.
Der Betrieb der Gaststätten, vor denen sich die Tat ereignete, ruht im Moment. "Und zwar so lange, bis die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sagen: Wir trauen uns das wieder zu, wir können die Arbeit hier wieder aufnehmen», sagte Martin Stracke, Vorsitzender der Interessengemeinschaft Kiepenkerlviertel.
Am Sonntagmittag kamen Münsters Bürgermeister Markus Lewe, Bundesinnenminister Horst Seehofer und NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (von links nach rechts) gemeinsam zum Tatort. Sie sprachen Opfern und Angehörigen gemeinsam ihr Mitgefühl aus.
"Ich bin heute hier in Münster, um die Solidarität und Anteilnahme der gesamten Bundesregierung zum Ausdruck zu bringen, insbesondere der Bundeskanzlerin", sagte Seehofer. "Wir trauern mit den Angehörigen und Freunden um die Opfer."
In der Nähe des Tatorts erinnern Rosen und Kerzen an den Vorfall. Bei dem Täter handelt es sich um einen Deutschen, die Ermittler gehen nicht von einem politischen Motiv aus.
Schon in der Nacht drückten viele Menschen in Münster ihr Mitgefühl aus, indem sie in der Stadt Kerzen entzündeten. Die Altstadt selbst war zu diesem Zeitpunkt noch großflächig abgesperrt.
Ein Mann trauert am Sonntag am Tatort, beobachtet von zahlreichen Kameras. Der Kiepenkerl ist eines der wichtigsten Wahrzeichen der Stadt. An dem Platz sitzen bei gutem Wetter etliche Gäste, viele Touristen stärken sich dort.
Unter die Trauer in der Stadt mischte sich aber auch Lob - für die Bürger, die Rettungskräfte und die Medien.
Laschet lobte die Besonnenheit und Solidarität der Münsteraner nach der Tat. Es würde sich wünschen, dass "diese besondere Münsteraner Erfahrung einer Friedensstadt" auch diejenigen erreicht hätte, die "ganz schnell bei Twitter und anderswo wieder das Hetzen begonnen haben."
Für die Opfer sei die Religion der Täter egal, sie hätten einen Menschen verloren, sagte Laschet. "Und diesen Respekt sollte man immer im Blick haben."