Studie zur 'Ndrangheta Kalabrische Mafia scheffelt 53 Milliarden Euro im Jahr

Beschlagnahmtes Kokain in Kalabrien: Hauptwirtschaftszweig der 'Ndrangheta
Foto: © Alessandro Bianchi / Reuters/ REUTERSRom - Die 'Ndrangheta ist die mächtigste italienische Mafia-Organisation: Sie verfügt über exzellente Verbindungen zu Drogenkartellen weltweit sowie zuverlässigen Statthaltern auf allen Kontinenten. Sie arrangiert sich, wenn es ökonomisch Sinn macht, mit der Konkurrenz von Cosa Nostra und Camorra. Und sie verfügt über beeindruckende Geldreserven, die sie geschickt in die legale Wirtschaft pumpt.
Das Forschungsinstitut Demoskopika hat nun versucht, die Einnahmen aus den kriminellen Geschäften der 'Ndrangheta zu beziffern. Das ist ein naturgemäß schweres Unterfangen, weil die ehrenwerte Gesellschaft keine Bilanzen veröffentlicht und im Verschleiern der Transaktionen ihrer Firmen und Strohmänner als geübt und gut beraten gelten darf.
Der Leiter der Studie ist der Wirtschaftswissenschaftler und Tourismusbeauftragte der Region Kalabrien, Raffaele Rio. Er hat bereits ein Buch über "Das Reich der 'Ndrangheta" verfasst und für seinen Bericht laut eigener Aussage Dokumente von Polizei, Justiz, Parlament und Regierung analysiert.
Das Ergebnis weist einen Jahresumsatz der 'Ndrangheta von 53 Milliarden Euro aus - etwa 2,5 Prozent des italienischen Bruttosozialprodukts.
"Ein schweres Hindernis für die Wirtschaft"
In Sachen Drogenhandel ist die 'Ndrangheta führend: Allein 24,2 Milliarden Euro werden hier erwirtschaftet. Mit eiserner Hand kontrollieren die Kalabrier den Kokain-Import aus Südamerika, organisieren den Schmuggel in die Länder der EU.
Aber auch mit Geldwäsche ist hervorragend Profit zu machen: 19,6 Milliarden Euro werden hier laut Demoskopika gescheffelt. Das betrifft auch immer häufiger Deutschland, wo sich die Mafia sicher, weil weitgehend unbeobachtet fühlt. Auf Platz drei der weltweit am meisten von der 'Ndrangheta durchdrungenen Länder steht - nach Australien und Kolumbien - die Bundesrepublik. Hier sollen zwölf Gruppierungen der kalabrischen Mafia vertreten sein.
Im Vergleich zu Rauschgifthandel und Geldwäsche tritt das einstige kriminelle Kerngeschäft im Herkunftsland - Schutzgelderpressung und Wuchergeschäfte- mit 2,9 Milliarden Euro fast in den Hintergrund. Dennoch sind die Folgen verheerend: Etwa 40.000 Unternehmer sollen allein in der Region Kalabrien von der Mafia erpresst werden - das bedeutet Experten zufolge Verluste von mindestens 1,2 Milliarden Euro für die örtliche Wirtschaft.
Immer mehr Unternehmer sind demnach auf die eine oder andere Art geschäftlich mit der Mafia verflochten, auch wenn sie gar nichts mit den Clans zu tun haben. "Die Organisierte Kriminalität in Kalabrien ist ein schweres Hindernis für die Wirtschaft, sie kreiert Monopole, die auf Einschüchterung beruhen, sie verbreitet Angst, sie verursacht Verschwendung und Ineffizienz", sagte der Autor der Studie, Raffaele Rio, dem "Corriere della Calabria". Er wiederholte damit das Mantra der italienischen Behörden, die zwar immer wieder mit Festnahmen und Konfiszierungen von Mafia-Besitz Schlagzeilen machen, aber die Wurzel des Bösen nicht kappen können.
"Omertà" als Erfolgsgarant
Stets vorn dabei sind alle mafiösen Gruppierungen, wenn es um öffentliche Aufträge geht. Dem "Unternehmen 'Ndrangheta" bringen sie 2,4 Milliarden Euro jährlich ein. Erst unlängst wurde gewarnt, dass auch bei der Planung der Expo 2015 in Mailand die ehrenwerte Gesellschaft ihre Hand im Spiel habe - wenig überraschend, seit man weiß, dass die Kalabrier im wirtschaftlich erfolgreicheren Norden Italiens längst Fuß gefasst haben.
Weitere 1,3 Milliarden Euro werden im "traditionellen Geschäftsfeld" Glücksspiel verdient. Geradezu gering nehmen sich im Vergleich dazu die Umsätze aus Waffenhandel (700 Millionen), illegaler Müllentsorgung (670 Millionen) und Prostitution (370 Millionen) aus.
Fälschungen von Markenprodukten bringen weitere 330 Millionen Euro, der Menschenhandel mit illegalen Einwanderern 130 Millionen Euro.
"Die 'Ndrangheta wird inzwischen als 'normale' Komponente der Wirtschaftswelt angesehen", bedauert Rio. Die traditionelle Erpressung von Unternehmern über Brandstiftungen oder Entführungen ginge einher mit sehr ausgeklügelten Methoden der Infiltration legaler Wirtschaftszweige.
"Tradition und Innovation sind die beiden Bollwerke der 'Ndrangheta, der es gelungen ist, ihr kriminelles System dank ihrer guten Anpassungsfähigkeit überallhin zu exportieren."
Der Studie zufolge ist die Organisation mit 400 Gruppen in 30 Ländern aktiv und kann sich auf ein Heer von 60.000 Getreuen verlassen. In der 'Ndrangheta hat die "Omertà", das Schweigegebot, unbedingte Gültigkeit. Während die sizilianische Cosa Nostra durch "Verrat" - also durch die Zusammenarbeit vieler ihrer Adepten mit den Strafverfolgungsbehörden - einen wahren personellen Exodus erlebte, schützt sich die 'Ndrangheta durch enge familiäre Bindungen und Verpflichtungen, aber auch eine weniger hierarchische Organisationsstruktur.
Die Studie von Demoskopika widmete sich ausschließlich den schmutzigen Geschäften der 'Ndrangheta. Der Umsatz aller italienischen Mafia-Organisationen zusammen genommen betrage mehr als 200 Milliarden Euro, warnte Giovanni Brauzzi, Sicherheitsbauftragter des italienischen Außenministeriums, auf einer Konferenz in Brüssel. Zum Vergleich: Das EU-Jahresbudget liegt bei etwa 140 Milliarden.