Neonazis vor Gericht Dortmunds Rechtsaußen
Früher waren die Fronten klarer. Da trugen die Nazis Springerstiefel und die Linken lange Haare. Doch diese alten Gewissheiten gelten nicht mehr, wie an diesem Freitagmorgen sehr deutlich wird, als auf der Anklagebank des Dortmunder Amtsgerichts zwei junge Männer Platz nehmen. Der eine, im schwarzen Kapuzenpulli, hat die Haare in die Stirn gekämmt wie ein kreuzbraver Seminarist. Der andere trägt einen modisch-gestreiften Pulli, ein weißes Hemd und ginge locker als Student der Zahnmedizin durch.
Den Behörden jedoch gelten Alexander D., 28, und Dennis G., 26, als führende Köpfe der "Autonomen Nationalisten" in Dortmund mit bundesweiten Kontakten in die rechtsextreme Szene. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen zudem vor, am 1. Mai 2009 einen unangemeldeten Aufmarsch von rund 400 Gewalttätern des rechten Spektrums organisiert und angeführt zu haben. Aus der Gruppe heraus waren Polizisten mit Steinen attackiert worden. Auch eine zeitgleich stattfindende Kundgebung des DGB griff die Horde an. Angeklagt ist das Duo daher unter anderem wegen Landfriedensbruch und Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz.
Ein Dienstgruppenleiter der Dortmunder Polizei wird später vor Gericht sagen, er habe in 22 Jahren noch nie eine Situation erlebt, die derart heikel gewesen sei - dabei habe er ständig mit Hooligans, Rockern und Rechten zu tun. Die Neonazis seien äußerst aggressiv und gewalttätig gewesen und hätten auch ihn angegriffen, als er versucht habe, sie zur Ordnung zu rufen. "Das war ein Mob", so der 49 Jahre alte Polizeihauptkommissar. "An die kamen Sie kommunikativ nicht mehr heran. Keine Chance, Herr Richter, keine Chance."
Das Klischee besagt zwar, Skinheads und Neonazis trieben vor allem im Osten der Republik ihr Unwesen, doch in Wahrheit werden nirgendwo in Deutschland mehr rechte Straftaten gezählt als in dem bevölkerungsreichen Nordrhein-Westfalen. Zwischen 4000 und 5000 Verfahren leiteten die Behörden hier in den vergangenen Jahren jeweils ein. Und Dortmund ist ein Schwerpunkt der Szene.
Alexander D. und Dennis G. - so bieder wie möglich
Der WDR nannte die Stadt einmal eine "Neonazi-Hochburg". Ein Aussteiger sagte dem Sender: "Gerade in Dortmund haben wir uns oft gewundert, wie es sein kann, dass wir solche Dinge tun, wie körperliche Angriffe auf Antifaschisten, ohne dass es Konsequenzen gegeben hat. Dass wir entweder gar nicht festgenommen wurden, es gar nicht zur Anzeige kam oder dass die Anzeige eingestellt wurde."
Vor allem im Stadtteil Dorstfeld haben sich die Rechten in der Vergangenheit breitmachen können. Immer wieder kam es zu systematisch erscheinenden Pöbeleien, Überfällen und Einschüchterungen. Wände wurden beschmiert, Scheiben eingeworfen, Menschen zusammengeschlagen. Eine Familie, die wohl wegen ihres Engagements gegen Nazis wiederholt Opfer der niederträchtigen Attacken geworden war, flüchtete sogar aus der Stadt.
Vor Gericht geben sich die mutmaßlichen Wortführer der Szene nun jedoch so bieder wie nur möglich. Alexander D. und Dennis G. antworten höflich und durchaus eloquent und nur selten schleicht sich Verräterisches in ihre Sprache. So sagt der gelernte Werbetechniker D. etwa, er habe den Mob nicht angestachelt, sondern vielmehr beruhigend auf die Menge eingewirkt, weil er Kinderwägen auf der Mai-Kundgebung des DGB gesehen habe: "Da hatte es ja überhaupt keinen Nutzen, gewalttätig zu sein." Als einer der beiden Staatsanwälte daraufhin nachfragt, korrigiert Alexander D. sich schnell: Gewalt habe natürlich nie einen Nutzen, versichert er.
Auch Dennis G. bleibt am ersten Verhandlungstag unauffällig. Kühl schildert er seine Version der Vorgänge, die sich von der seines Gesinnungsgenossen D. kaum unterscheidet: Der Marsch durch die Innenstadt sei eine spontane Aktion gewesen, auf die sie keinen Einfluss gehabt hätten. An Straftaten hätten sie sich nicht beteiligt und auch die Menge nicht aufgewiegelt, wie ihnen vorgeworfen würde. Der Hauptkommissar erinnert sich da deutlich anders. Zumindest D. habe sich massiv als Einpeitscher betätigt, "ganz definitiv, hundertprozentig", sagt der Beamte.
Polizei geht verschärft gegen Neonazis vor
Während sich viele engagierte Dortmunder im Kampf gegen Rechts jahrelang von den Behörden alleine gelassen fühlten, geht die Polizei unter ihrem neuen Präsidenten Norbert Wesseler mittlerweile entschieden gegen die Szene vor. "Das ist ein ganz wichtiges Thema hier in der Stadt", so Wesseler im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. "Wir stehen ihnen jetzt permanent auf den Füßen."
In Kooperation mit der Justiz solle dafür gesorgt werden, dass sich die Dauer der Verfahren verkürzt und die Extremisten eine schnelle Reaktion des Staates auf ihre Taten erfahren. Zudem habe sich die Polizei besser mit der Stadtverwaltung vernetzt, um die Nazis auch effektiver für Ordnungswidrigkeiten zur Rechenschaft zu ziehen, sagt Wesseler.
Dazu wurde eine 50 Beamte umfassende Sonderkommission "Kein Raum für Rechtsextremisten" (KRfR) in der Staatsschutzabteilung eingerichtet. Anders als bislang werden die Umtriebe der Neonazis künftig nicht mehr nach Delikten sortiert und auf die entsprechenden Fachkommissariate verteilt, sondern nun personenorientiert und zentral von Kennern der Szene bearbeitet. "So sorgen wir dafür, dass Wissen gebündelt wird", sagt Wesseler.
"Wir nehmen Hinweise der Bevölkerung auf extremistische Straftaten sehr ernst", so Wesseler, dessen erklärtes Ziel ist es, den Zulauf der Szene zu stoppen. Dazu würden alle rechtsstaatlichen Mittel ausgeschöpft. Man denke sogar darüber nach, bei bestimmten Gewaltdelikten einen etwaigen Einzug des Führerscheins zu prüfen. Bislang gehe die Strategie auf, sagt Wesseler, die Szene sei extrem verunsichert und verhalte sich seither auffallend ruhig.
Unter den Zuschauern im Gericht: SS-Siggi
Im Gerichtssaal jedenfalls ist es zeitweilig so still, dass man durch das geöffnete Fenster Vögel zwitschern hört. Dabei hocken im Publikum neben einigen NPD-Funktionären auch dumpfe Skinheads. Angetan mit schwarzen T-Shirts, an Hals und Händen und im Gesicht tätowiert, breitschultrig und stiernackig verbreiten sie ein latentes Gefühl der Bedrohung. Darunter ist auch Siegfried B., genannt SS-Siggi.
Einst Chef der "Borussen-Front", die in den achtziger Jahren Ausländer durch Dortmund jagte, galt er den Hooligans unter den Neonazis lange Zeit als Idol. Bei der Fußball-Europameisterschaft vor 28 Jahren war der frühere Adlatus des Extremistenführers Michael Kühnen Anführer der deutschen Gewalttäter, die zum "Frankreich-Überfall" aufriefen. Sein vermeintlicher "Freund" Michael Berger erschoss im Juni 2000 drei Polizisten.
Nach anderthalb Stunden hat SS-Siggi jedoch genug gehört, schnaubend verlässt er den Saal. Und so verpasst der Hüne die einzige vorsichtige Dreistigkeit seines ansonsten aalglatt auftretenden Gesinnungsgenossen Dennis G.
"400 Leute sind doch wie eine Schafherde", so der Staatsanwalt zu den Angeklagten. "Wenn nicht einer sagt 'Da geht es lang', bewegt sich doch keiner."
Dennis G. entgegnet: "Da unterschätzen Sie uns."
Der Prozess wird fortgesetzt.