"NSU 2.0"-Drohmails Rechte Trittbrettfahrer
Seit knapp zwei Jahren sind hessische Ermittler damit beschäftigt, den "NSU 2.0"-Komplex aufzulösen. Nun hat die Frankfurter Staatsanwaltschaft erneut eine Festnahme in dem Fall gemeldet. Ein Ex-Polizist aus Bayern und seine Frau sind verdächtig, Drohbotschaften versendet zu haben. Der 63-Jährige wies die Vorwürfe gegenüber dem SPIEGEL zurück.
Fest steht auch nach dieser Festnahme: Die Arbeit ist noch lange nicht vorüber, das Verfahren komplex. Der Überblick.
Worum geht es in dem Komplex "NSU 2.0"?
Immer wieder verschicken Unbekannte rechtsextreme Drohschreiben mit diesem Kürzel. Die Ermittler des hessischen Landeskriminalamts (LKA) haben bislang Informationen über mindestens 69 solcher Schreiben. Diese richteten sich an 27 Personen und Institutionen in insgesamt acht Bundesländern, sagte Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU). Neun betroffene Personen wohnten in Hessen. Unter den Empfängern sind unter anderem die Kabarettistin Idil Baydar und die Linkenpolitikerin Janine Wissler.
Die Frankfurter Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz bekam das erste Schreiben dieser Art, das öffentlich bekannt wurde. Das Fax enthielt Informationen, die nicht öffentlich verfügbar sind.
Eine Spur führte zu fünf Polizisten und einer Kollegin des 1. Frankfurter Polizeireviers. Unmittelbar vor dem Versenden des ersten Faxes waren dort Daten über die Anwältin abgefragt worden. Die Beamten sollen außerdem in der Chatgruppe "Itiotentreff" Hitlerbilder und Hakenkreuze geteilt haben. Sie wurden suspendiert, die Staatsanwaltschaft Frankfurt ermittelt.
Was ist über die beiden neuen Verdächtigen bekannt?
Es handelt sich um einen 63 Jahre alten ehemaligen Polizeibeamten aus Bayern. Hermann S. ist laut Staatsanwaltschaft bereits in der Vergangenheit wegen rechts motivierter Straftaten aufgefallen und seit 16 Jahren pensioniert. Ebenfalls verdächtig ist seine 55 Jahre alte Ehefrau. Nach SPIEGEL-Informationen geht es um sechs Mails, die im Juli 2020 verschickt wurden. Die Nachrichten gingen unter anderem an Bundestagsabgeordnete. Über die Empfänger machten die Ermittler auf Anfrage keine weitergehenden Angaben.
Gegen den ehemaligen Polizisten ist außerdem ein Disziplinarverfahren eingeleitet worden. "Auch ein Beamter im Ruhestand darf sich nicht extremistisch betätigen", teilte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) mit. "Sollte sich der Verdacht bestätigen, drohen dem ehemaligen Beamten harte dienstrechtliche Sanktionen bis hin zur Aberkennung des Ruhegehalts."
Gibt es einen Zusammenhang zu früheren Fällen?
Offenbar nicht. Eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft sagte, in diesem Fall gehe es nicht um einen Verdächtigen, der für seine Nachrichten polizeiliche Abfragesysteme missbraucht habe. Nach SPIEGEL-Informationen liegen den Ermittlern bislang auch keine Hinweise darauf vor, dass der pensionierte Polizist aus Bayern Kontakt zu den verdächtigen Beamten in Frankfurt hatte.
Offenbar handelt es sich um einen Trittbrettfahrer, der die große Aufmerksamkeit suchte, die mit der Verwendung des Rubrums "NSU 2.0" inzwischen einhergeht. Nach Erkenntnissen der Ermittler gibt es inzwischen eine unüberschaubare Zahl an Drohungen mit dem Kürzel.
Warum dauern die Ermittlungen bis heute an?
Auch zwei Jahre nach der ersten Drohbotschaft haben die Strafverfolgungsbehörden keine Anklage gegen Verdächtige erhoben. Ein Grund: Die Nachrichten wurden fast immer über einen russischen Internetdienstleister und unter Einsatz von Verschlüsselungssoftware verschickt. Ein Rechtshilfeersuchen der Frankfurter Staatsanwaltschaft an russische Sicherheitsbehörden blieb nach Auskunft hessischer Ermittler bisher unbeantwortet.
Dem Pensionär aus Bayern kamen die Ermittler wohl auf die Spur, weil er seine Drohnachrichten unter Einsatz eines Pseudonyms verschickt hatte, unter dem er schon in der Vergangenheit unter anderem als Autor eines rechtsradikalen Blogs aufgetreten war. Der Beschuldigte hingegen spricht von einer "Intrige". Sein Pseudonym sei bekannt und imitiert worden.
Gibt es weitere Beschuldigte?
Zu der genauen Zahl der Beschuldigten machte die Frankfurter Staatsanwaltschaft keine Angaben. Doch die beiden nun vorläufig Festgenommenen sind nicht die einzigen Verdächtigen.
So wurde im Juni 2019 ein Frankfurter Polizist vorläufig festgenommen. Er steht im Verdacht, eine Drohbotschaft an die Juristin Basay-Yildiz verschickt zu haben. Er kam kurze Zeit später frei. Die Staatsanwaltschaft führt ihn noch immer als Beschuldigten.