NSU-Prozess Die Blockierer vom Verfassungsschutz

Angeklagte Zschäpe im NSU-Prozess: Schwierige Ermittlungen
Foto: Peter Kneffel/ dpaEs muss eine merkwürdige Atmosphäre gewesen sein, als sich im Juni 2006 Mitarbeiter des Polizeipräsidiums Nordhessen und Vertreter des hessischen Landesamtes für Verfassungsschutz gegenübersaßen.
Der Grund des Treffens: Der Mord an Halit Yozgat am 26. April 2006 in dessen Kasseler Internetcafé und die ungeklärte Rolle von Andreas T., der als Verfassungsschützer kurz vor oder während der Tat im hinteren Raum des Cafés gesessen, von dem Mord nach eigenen Angaben aber nichts mitbekommen hatte.
Die Beamten der Kriminalpolizei wollten mit Informanten von T. sprechen, die er als V-Mann-Führer betreute. Den Polizisten war bei ihren Ermittlungen aufgefallen, dass T. in zeitlicher Nähe zur Tat mit Informanten telefoniert hatte. "Wir haben versucht, uns ein Bild von der Rolle von T. zu machen", sagte nun der Polizeibeamte Helmut W. im NSU-Prozess, der 2006 die Mordkommission leitete. Die Reaktion der Verfassungsschützer fiel damals sehr reserviert aus: Sie zeigten kein großes Interesse, die Informanten von T. durch die Polizei vernehmen zu lassen. Man sei "ohne Ergebnis auseinandergegangen", sagte Helmut W. vor dem Münchner Oberlandesgericht.
Für das Interesse der Ermittler an den Informanten von T. gab es stichhaltige Gründe: Der Verfassungsschützer hatte sich in dem Mord, für den die mutmaßlichen Terroristen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) verantwortlich gemacht werden, verdächtig gemacht. So hatte sich T. trotz polizeilicher Fahndungsaufrufe nicht als Zeuge gemeldet. Man habe ihn stattdessen "mühsam ermittelt", so der Polizeibeamte. Elektronische Spuren führten schließlich zu ihm: T. hatte sich am Tag des Mordes für einige Minuten in dem Internetcafé in eine Kontaktbörse eingeloggt und dabei seine Handynummer angegeben.
Merkwürdige Details
Die Polizei ließ damals eine Videorekonstruktion der Abläufe in dem Café erstellen, wie T. sie geschildert hatte. Seine Angaben ließen sich dem Beamten zufolge aber nur schwer mit den Zeiten in Einklang bringen, die über das Computersystem im Internetcafé nachzuvollziehen waren. "Seine Version war sehr unglaubwürdig", so Helmut W. Für ihn und seine Kollegen seien damals zwei Varianten denkbar gewesen. Die eine: T. habe etwas von der Tat mitbekommen, verschweige dies aber. Die andere: T. habe etwas mit der Tat zu tun.
Tatsächlich stand T., bei dem man Pistolen, Munition und Abschriften von Hitlers Machwerk "Mein Kampf" gefunden hatte, zeitweise unter Tatverdacht. Umfangreiche Ermittlungen ergaben allerdings keine Verbindungen zu der Mordserie des NSU, sodass das Verfahren gegen T. eingestellt wurde. Er wurde später in eine andere Behörde versetzt.
Geblieben ist aber der Verdacht, dass der hessische Landesverfassungsschutz in der Causa Andreas T. eine ausgesprochen merkwürdige Rolle spielte und die Ermittlungen erschwerte. So trugen die Aussagen von T., einer ehemaligen Kollegin und von früheren Vorgesetzten vor Gericht nicht zur Aufklärung bei.
Helmut W. schilderte nun zudem merkwürdige Details aus weiteren Verhandlungen zwischen Polizei und dem hessischen Landesamt für Verfassungsschutz: Die Wiesbadener Behörde habe der Polizei angeboten, diese könne sich an Vernehmungen der Informanten von T. nur dann beteiligen, wenn sie ihre Ermittler als Mitarbeiter des Verfassungsschutzes tarnen würde. "Da sahen wir rechtliche Probleme. Auf so etwas wollten wir uns nicht einlassen", sagte W. Auch sein Kollege Jörg T. berichtete vor Gericht von diesem Angebot der Verfassungsschützer.
Den Angaben der beiden Polizeibeamten zufolge ließ die Wiesbadener Behörde stets erkennen, dass eine Vernehmung der Informanten von T. durch Polizisten die Abschaltung der Quellen zur Folge habe. Für das Landesamt würde der Verlust das "größtmögliche Unglück" darstellen, sagte laut Helmut W. ein ranghoher Mitarbeiter des Amtes.
Indirekt drohte das Amt demnach offenbar sogar den Ermittlern: Für die Polizei würde hoher Erklärungsbedarf entstehen, wenn sich herausstellen sollte, dass T. unschuldig sei.
Die hessischen Polizisten blieben bei ihren Gesprächen mit dem Verfassungsschutz dabei, die Informanten von T. "mit offenem Visier" befragen zu wollen. Die endgültige Entscheidung erfolgte vom hessischen Innenministerium: Der Antrag wurde abgelehnt.