Plädoyer im Fall des falschen NSU-Nebenklägers Betrüger oder Betrogener

Der Angeklagte vor Gericht (Archivbild)
Foto: Henning Kaiser/ dpaNicht Betrug, sondern lediglich »Nachlässigkeiten« seien seinem Mandanten vorzuwerfen. Anwalt Ralph Willms habe bis zuletzt nicht gewusst, dass er zweieinhalb Jahre lang im NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München eine Frau vertreten hat, die es nie gab, sagt sein Verteidiger. Im Prozess um das erfundene NSU-Opfer hat die Verteidigung am Donnerstag vor dem Landgericht Aachen Freispruch beantragt.
Niemand habe es jemals für möglich gehalten, dass eine Nebenklägerin erfunden werde, um Geld zu verdienen, sagt Verteidiger Peter Nickel in seinem Schlussvortrag, »auch der Angeklagte nicht«. Anwalt Willms sei bis zuletzt »gutgläubig« gewesen, dass es die Mandantin namens Meral Keskin gebe und sie wirklich Opfer des Nagelbombenanschlags in der Kölner Keupstraße geworden sei.
»Ein unglaublicher Vorgang«
Willms sei kein Betrüger, sondern Betrogener. Er sei von dem tatsächlichen Anschlagsopfer, Atilla Ö., getäuscht worden. Atilla Ö. habe ihm Meral Keskins Existenz vorgegaukelt. Ihm sei es »in unvorstellbarer Art und Weise gelungen«, nicht nur Willms, sondern letztlich auch das Oberlandesgericht München davon zu überzeugen, dass es Meral Keskin gibt. »Ein unglaublicher Vorgang, der in der Justizgeschichte wohl einmalig ist.« Willms habe Atilla Ö. vertraut. »Ich war naiv. Ich war saudoof«, zitiert der Verteidiger seinen Mandanten.
»Im guten Glauben« habe Willms im Jahr 2013 die Zulassung der Nebenklage für Meral Keskin beim Oberlandesgericht München beantragt. »Im guten Glauben« habe er im selben Jahr auch die Entschädigung der Bundesregierung in Höhe von 5000 Euro für Opfer des NSU beim Bundesamt für Justiz beantragt. Insgesamt mehr als 211.000 Euro hat Willms für das Phantom-Mandat erhalten.
Für die Staatsanwaltschaft ist das Betrug im besonders schweren Fall.
Für die Verteidigung ist Willms zum Opfer von Atilla Ö. geworden. Ö. sei es nur ums Geld gegangen. Willms habe Atilla Ö. die 5000 Euro Entschädigung und zusätzlich noch »mindestens 3000 Euro« gezahlt.
Atilla Ö. kann sich zu den Vorwürfen nicht mehr äußern. Er starb 2017.
»Getäuscht und belogen«
Atilla Ö. habe Willms getäuscht und belogen. Atilla Ö. habe ihm auch das gefälschte Attest gegeben, mit dem Willms Meral Keskins Zulassung zur Nebenklage beantragt hatte. Das Original ist auf Atilla Ö. ausgestellt. Die Fälschung ist eine angerissene DIN-A4-Seite. Der obere Teil mit dem Namen und der Anschrift von Atilla Ö. ist abgerissen, der Name Meral Keskin ist handschriftlich ergänzt. Nicht Willms, sondern Atilla Ö. habe das Attest gefälscht. Willms habe sich das »haarsträubende Attest« gar »nicht groß« angeschaut, sagt sein Verteidiger. Der Anwalt habe es einfach an seine Büromitarbeiterinnen weitergereicht, die es dann kopiert und ans Oberlandesgericht München geschickt hätten.
Es gibt eine Vielzahl an Ungereimtheiten und Auffälligkeiten im Fall Meral Keskin. Nach Ansicht der Verteidigung sind all die Widersprüche derart offenkundig, dass dies nicht gegen, sondern vielmehr für Willms spreche. »Wenn mein Mandant hätte betrügen wollen«, sagt Nickel, hätte er das geschickter angestellt.
Nach Aufdeckung des NSU-Skandals im Oktober 2015 begab sich Anwalt Willms in psychiatrische Behandlung. Ärzte sollen eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert haben. Einerinnerungslücken seien eine Folge dieser Störung. Und mit diesen Erinnerungslücken erklärt Nickel nun widersprüchliche Angaben von Willms, ob und wie oft er seine angebliche Mandantin getroffen und wie viel Geld er Atilla Ö. bezahlt haben will. »Das ist keine Taktik oder Schutzbehauptung, sondern Ausdruck einer psychischen Erkrankung.«
Zwei weitere Fälle der Anklage betreffen das Loveparade-Verfahren vor dem Landgericht Duisburg. In einem dieser Fälle ist Willms wegen versuchten Betrugs angeklagt. Wieder soll er die Zulassung eines falschen Nebenklägers beantragt haben. Diesmal existierte der Mann zwar, allerdings soll auch er kein Opfer der Loveparade-Katastrophe geworden sein. Damals hakte die zuständige Staatsanwaltschaft nach, woraufhin Willms seinen Antrag auf Zulassung der Nebenklage zurückzog. Sein Verteidiger sagt: Auch in diesem Fall habe Willms »nicht in der Absicht gehandelt zu betrügen«.
Am Montag will das Gericht das Urteil verkünden.