Oberlandesgericht München Die Plädoyers im NSU-Prozess beginnen

Mehr als vier Jahre dauert der NSU-Prozess bereits an, nun geht es in die Schlussphase des gigantischen Verfahrens. Die Staatsanwaltschaft wird heute mit ihrem Plädoyer anfangen. Der Überblick.
Beate Zschäpe

Beate Zschäpe

Foto: MICHAELA REHLE/ AFP

815 Zeugen wurden gehört, 42 Sachverständige befragt, an 373 Verhandlungstagen kamen die Prozessbeteiligten in den vergangenen vier Jahren im Münchner Oberlandesgericht zusammen. Seit einigen Wochen war spürbar, dass der Vorsitzende Richter Manfred Götzl aufs Tempo drücken wollte, dass im historischen NSU-Prozess die Schlussphase bald beginnen würde.

Dass es nun so schnell geht, überraschte dann doch. Am Dienstagnachmittag schloss Götzl die Beweisaufnahme und kündigte an: Die Bundesanwaltschaft wird schon an diesem Mittwoch mit ihrem Plädoyer starten.

Der Verhandlungsbeginn wurde auf 11 Uhr verschoben, um zumindest einigen Nebenklägern noch die Möglichkeit zur Anreise zu geben. Längst sind nicht mehr alle bei allen Verhandlungstagen anwesend, doch wenn die Staatsanwaltschaft die Strafe für Beate Zschäpe und die vier anderen Angeklagten fordert, ist das für die Hinterbliebenen der Mordopfer ein wichtiger Termin.

Zu Beginn des Verhandlungstages lehnte das Gericht zunächst den Antrag der Verteidigung ab, das Plädoyer aufzeichnen zu lassen. Dann wurde die Sitzung bis 14 Uhr unterbrochen.

Dass die Plädoyers nun mit so kurzer Vorwarnzeit beginnen, sehen manche Nebenkläger mit gemischten Gefühlen. Das Beschleunigungsgebot lasse dem Gericht wenig Spielraum, sagt Anwalt Önder Bogazkaya, der die Schwester des ermordeten Mehmet Kubasik vertritt. Der Vorsitzende habe durch den etwas späteren Beginn der Verhandlung zu erkennen gegeben, dass er dem Ansinnen der Nebenkläger Rechnung tragen wolle. Es sei aber insbesondere für Nebenkläger aus dem Ausland unmöglich, rechtzeitig anzureisen, etwa aus Visumsgründen.

Fotostrecke

Anwälte, Ankläger, Gutachter: Die wichtigsten Personen im NSU-Prozess

Foto: MICHAELA REHLE/ REUTERS

Bundesanwalt Herbert Diemer zeigte sich erleichtert, dass es nun auf die Zielgerade geht und es keine größeren Zwischenfälle mehr gab, "die den Prozess unter Umständen hätten zum Platzen bringen können".

Diemer wird das Plädoyer in einer Art Vorwort einleiten, ehe Staatsanwältin Anette Greger sich dem "Nationalsozialistischen Untergrund", den angeklagten Taten und der Rolle von Beate Zschäpe widmen wird. Staatsanwalt Jochen Weingarten wird zu einem späteren Zeitpunkt im Fall der vier weiteren Angeklagten plädieren. Insgesamt, so die Schätzung der Anklage, wird ihr Schlussvortrag über mehrere Tage, etwa 22 Stunden, dauern.

Richter Götzl hat das Ziel vorgegeben, das Plädoyer der Anklagebehörde vor Beginn der Sommerpause abzuschließen - das heißt innerhalb von sieben Verhandlungstagen, die bis zum 1. August noch angesetzt sind. Erst nach der vierwöchigen Sommerpause sollen die Nebenkläger und schließlich die Verteidiger plädieren, was noch mal mehrere Wochen dauern wird.

  • Beate Zschäpe muss sich als Mittäterin bei allen zehn Morden verantworten, die Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt zur Last gelegt werden. Mit den beiden inzwischen toten Neonazis soll sie die Terrorvereinigung NSU gebildet haben. Zschäpe ist außerdem wegen schwerer Brandstiftung und Mittäterschaft bei zwei Sprengstoffanschlägen sowie 15 Raubüberfällen angeklagt. Ihr droht eine lebenslange Freiheitsstrafe unter Feststellung der besonderen Schwere der Schuld. Die Staatsanwaltschaft könnte auch eine anschließende Sicherungsverwahrung beantragen. Zschäpe räumte ein, 2011 die Zwickauer Wohnung des Trios in Brand gesteckt zu haben, die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und die Beteiligung an den Morden weist sie zurück. Sie habe immer erst hinterher von den Morden erfahren.
  • Ralf Wohlleben ist wegen der Beihilfe zu neun Morden angeklagt. Er wird verdächtigt, eine Ceska mit Schalldämpfer besorgt zu haben, mit der Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos in den Jahren 2000 bis 2006 acht türkischstämmige Männer und einen griechischstämmigen Mann umgebracht haben sollen. Wohlleben bestreitet den Vorwurf.
  • André E. ist als mutmaßlicher NSU-Helfer angeklagt. Er hat als einziger Angeklagter den ganzen Prozess über geschwiegen.
  • Carsten S. kooperiert mit den Behörden und belastet unter anderem Wohlleben. In dessen Auftrag habe er die Ceska als Bote an Böhnhardt und Mundlos übergeben. S. ist daher ebenfalls wegen Beihilfe zu neun Morden angeklagt.
  • Holger G. muss sich wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung in drei Fällen verantworten. Er soll den untergetauchten Nazis Ausweispapiere überlassen haben, was er einräumt. G. bestreitet, von den Morden gewusst zu haben.

Mindestens 33 Befangenheitsanträge zählte die Geschäftsstelle des Gerichts für die vergangenen vier Jahre. Ganz präzise ließe sich diese Zahl nicht bestimmen, manchmal lehnten Angeklagte nur einzelne Richter ab, manchmal den ganzen Senat. Manchmal stellte nur einer einen Antrag, manchmal schloss sich ein weiterer an. Sämtliche Befangenheitsanträge gegen Richter wurden abgelehnt.

Am Dienstag hatte der Senat noch eine Reihe letzter Anträge abgelehnt, darunter den Wunsch von Zschäpes ersten Verteidigern, die Angeklagte erneut von einem psychiatrischen Sachverständigen begutachten zu lassen. Richter Götzl fragte Zschäpe anschließend, ob sie noch einen Befangenheitsantrag stellen wollte - sie schüttelte den Kopf.

Der Weg zum Ende der Beweisaufnahme und dem Beginn der Plädoyers war damit frei. Bundesanwalt Diemer hatte mitgeteilt, sein Team sei bereit: "Wir können morgen beginnen."

hut/dpa/Thomas Hauzenberger
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten