NSU-Prozess Die schwierige Suche nach der Wahrheit

NSU-Prozess in München (Archiv)
Foto: Johannes Simon/ Getty ImagesEs ist mühsam, aber doch immer wieder aufschlussreich: Jeder Polizeizeuge im NSU-Prozess, der nach dem Suizid der mutmaßlichen Rechtsterroristen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos Angaben zum Tatort, einem Wohnmobil in Eisenach, macht, trägt einen Mosaikstein zum Gesamtbild über das Ende der Terrorzelle bei. Selbst wenn noch viele Fragen offen sind und möglicherweise nie beantwortet werden.
So auch am Mittwoch, dem 269. Verhandlungstag des Verfahrens. Zwei Kripobeamte aus Gotha hatten am 5. November 2011, also einen Tag nachdem das Wohnmobil mit Mundlos und Böhnhardt in Flammen aufgegangen war, den Auftrag bekommen, darin nach dem Bargeld zu suchen, das tags zuvor von zwei Bankräubern - vermutlich Böhnhardt und Mundlos - aus einer Eisenacher Sparkasse erbeutet worden war. Und sie sollten nach weiteren Waffen suchen. Ebenso sollten Spuren im Führerhaus festgestellt werden, um herauszufinden, wer das Wohnmobil gefahren hatte.
Am 4. November waren schon eine Pistole sowie zwei Pumpguns und die Dienstwaffen der getöteten Polizistin Michele Kiesewetter und ihres schwerverletzten Kollegen Martin A. im Innern des ausgebrannten Wagens entdeckt worden - ein Fund, der den Ermittlern schlagartig die Augen öffnete, dass man es nicht nur mit gewöhnlichen Bankräubern zu tun hatte, sondern mutmaßlich mit Verdächtigen ganz anderen Kalibers.
Denn Kiesewetter und ihr Kollege waren am 25. April 2007 in Heilbronn von bis dahin Unbekannten überfallen worden. Die Polizeiwaffen waren wie vom Erdboden verschwunden. Und nun tauchten sie in einem ausgebrannten Wohnmobil in Eisenach auf. Warum führten die Täter sie mit sich? Als Trophäen?
Hochgerüstet zum Banküberfall
Die Beamten berichteten nun, wie sie neben den am Tag zuvor bereits gesicherten Waffen noch eine Maschinenpistole fanden, die auf der Sitzbank rechts neben dem Tisch des Wohnmobils lag. Diese Waffe hatte eine Ladehemmung; im Auswurfschaft klemmte eine Patrone. Gaben die Uwes auf, weil sie glaubten, der anrückenden Polizei nun ausgeliefert zu sein? Hinten im Wohnmobil lag auf dem oberen Bett eine Pistole. In einem Rucksack fanden die Ermittler eine Übungshandgranate und eine Schreckschusspistole.
Bei dem Überfall in Eisenach hatten Mundlos und Böhnhardt mehr als 70.000 Euro erbeutet. Außerdem führten sie Tausende Euro, darunter noch mit Banderolen der Sparkasse Arnstadt versehene Geldbündel, mit sich. Wusste Beate Zschäpe, die das gemeinsame Heim in der Zwickauer Frühlingsstraße hütete, von dem neuerlichen Überfall?
Das Wohnmobil war auf den Namen des Mitangeklagten Holger G. gemietet worden. Dessen Verstrickung in die rechte Szene brachte die Ermittler zu der Vermutung, es möglicherweise mit Rechtsextremen zu tun zu haben.

Wohnmobil in Eisenach: Tatort des Suizids von Mundlos und Böhnhardt
Foto: SPIEGEL ONLINEWozu führten die mutmaßlichen Täter so viele Waffen mit sich? Wollten sich die beiden Uwes absetzen? Was war geplant? Wusste Beate Zschäpe von eventuellen Ausstiegsplänen? Der Senat, der die dem NSU zugeschriebenen Verbrechen verhandelt, stellte schon Anfang Januar entsprechende Fragen an Zschäpe, die sie mit Hilfe ihres Anwalts Mathias Grasel erst in der kommenden Woche in schriftlicher Form zu beantworten beabsichtigt.
"Warum taten Sie das?"
Ein völlig anderes Prozessverhalten wählte der mit Zschäpe, Ralf Wohlleben, André E. und Holger G. mitangeklagte Carsten S.
Er hatte sich zu Beginn des Prozesses im Mai 2013 ausführlich zum Vorwurf der Beihilfe zum Mord an neun Menschen ausländischer Herkunft geäußert. Dabei schilderte er, wie er in jungen Jahren in Kontakt mit der rechtsextremen Szene Thüringens gekommen war, wie er dabei Wohlleben kennengelernt und laut Anklage in dessen Auftrag den Kontakt zu den damals untergetauchten Mundlos, Zschäpe und Böhnhardt gehalten hatte. S. soll die Tatwaffe Ceska 83 im Auftrag Wohllebens in einem Jenaer Szeneladen gekauft und an die Untergetauchten weitergegeben haben.
Wohlleben bestreitet dies vehement. Er gibt zwar zu, von dem Wunsch der beiden Uwes nach einer Waffe gewusst zu haben. Doch er schiebt dabei Carsten S. die aktive Rolle zu. Böhnhardt habe S. den entscheidenden Tipp gegeben, wo dieser eine scharfe Schusswaffe besorgen könne, so Wohlleben in seiner am 251. Verhandlungstag vorgetragenen Einlassung zur Sache. Er, Wohlleben, habe keine scharfe Waffe besorgen wollen, weil er angeblich nicht zu Böhnhardts eventuellem Suizid habe beitragen wollen.
Er habe nur Carsten S. geraten, im Jenaer Szeneladen "Madley" nach einer solchen Waffe zu fragen und sich dabei auf ihn, Wohlleben, zu berufen. "Warum taten Sie das? Das passt für mich nicht zusammen", fragte damals Jacob Hösl , der Verteidiger von S. "Ich ging davon aus", antwortete Wohlleben, "dass es dort keine scharfen Waffen zu kaufen gibt".
Carsten S. äußerte sich am Mittwoch noch einmal korrigierend zu einzelnen Aussagen von Zeugen, die ihm bewusst oder unbewusst eine bestimmendere Rolle damals zuschrieben, als er sie heute darstellt. So widersprach er zum Beispiel Äußerungen über seine angebliche Führungsfunktion innerhalb der NPD Ende der Neunziger. S. stellt sich heute eher als eine Art Laufbursche Wohllebens und Überbringer von Nachrichten dar. War er mehr? Nach wie vor besteht er darauf, von Wohlleben das Geld für die Tatwaffe Ceska bekommen zu haben, was dieser bestreitet.
Was ist die Wahrheit? Letztlich wird es auf die Einschätzung des Senats ankommen, wem er mehr Glauben schenkt und wessen Darstellung ihm lebensnäher erscheint.
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Artikels hieß es, in der Wohnung in der Zwickauer Frühlingsstraße lagerten zur Zeit des Banküberfalls in Eisenach 190.000 Euro. Dies ist nicht korrekt: Es wurden nur Banderolen zu Banknoten im Wert von 189.000 Euro gefunden, die Summe des gefundenen Bargelds betrug aber nur 1315 Euro. Wir haben den Artikel entsprechend korrigiert.