Nebenkläger im NSU-Prozess "Frau Zschäpe, hatten Sie Angst vor Mundlos oder Böhnhardt?"

Die Nebenkläger im NSU-Prozess haben Hunderte Fragen - erstmals durften ihre Anwälte sie nun stellen.
Hauptangeklagte Zschäpe, Anwalt Grasel

Hauptangeklagte Zschäpe, Anwalt Grasel

Foto: Tobias Hase/ dpa

Hunderte Fragen, alle an Beate Zschäpe: Ein Nebenklagevertreter nach dem anderen trägt der Hauptangeklagten im NSU-Prozess vor, was er wissen will. Stunde um Stunde stellen die Anwälte der Familien der zehn Mordopfer und die Anwälte der Überlebenden der Bombenanschläge ihre Fragen vor dem Oberlandesgericht München. Dass der Senat ihnen an diesem Tag zum ersten Mal nach gut drei Jahren Gelegenheit zum Fragen gibt, nutzen sie in aller Ausführlichkeit.

Allerdings sagt Zschäpes Wahlverteidiger Hermann Borchert gleich zu Beginn: "Es ist vorauszusehen, dass die Fragen wohl nicht beantwortet werden." Den Grund für diese Entscheidung verrät er auch auf Nachfrage außerhalb des Saals nicht.

Schon am Ende ihrer Einlassung im Dezember 2015 hatte Zschäpe angekündigt, ausschließlich Fragen des Gerichts, nicht aber der Nebenklagevertreter zu beantworten. Doch was macht Zschäpe, wenn der Senat die Fragen der Nebenklagevertreter übernimmt und der Vorsitzende Richter Manfred Götzl sie ihr erneut stellt? "Wenn sich das Gericht einige Fragen herauspickt und zu eigen macht, werden wir selbstverständlich unser Wort halten und die Fragen beantworten", sagt Borchert vor dem Gerichtsgebäude. Ein Hoffnungsschimmer.

Fast 300 Verhandlungstage, fast alle Fragen offen

Anwalt Sebastian Scharmer stellt Zschäpe die erste Frage der Nebenklagevertreter. "Frau Zschäpe, wissen Sie, warum und wie Enver Simsek, Abdurrahim Özüdogru, Süleyman Tasköprü, Habil Kilic, Mehmet Turgut, Ismail Yasar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubasik, Halit Yozgat und Michèle Kiesewetter als Mordopfer ausgesucht wurden?"

Diese Frage quält die Familien der Opfer bis heute ganz besonders. Warum wurden ihr Bruder, ihr Vater, ihr Sohn, ihr Ehemann, ihre Tochter erschossen? Eine für sie befriedigende Antwort haben sie bislang nicht erhalten. Zu befürchten ist, dass sie sie wohl nie bekommen werden.

Nach inzwischen 295 Verhandlungstagen sind bei den Nebenklagevertretern - gelinde gesagt - nicht wenige Fragen offen geblieben. Sie haben den Eindruck, dass Zschäpe in der Einlassung im Dezember 2015 und in den Antworten auf Fragen des Senats in den Folgemonaten kaum irgendetwas aufgeklärt hat.

Die Anwälte wollen von Zschäpe Informationen über etwaige Kontakte zum Verfassungsschutz, zum Leben im Untergrund, über mögliche Unterstützer des NSU. Sie fragen nach Bezügen von Zschäpe und deren Gefährten Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt zu den Städten, in denen die beiden Uwes auch nach Angaben von Zschäpe Bomben legten und Morde verübten.

"Frau Zschäpe, hatten Sie Angst vor Mundlos oder Böhnhardt?"

Sie fragen unter anderem nach Bezügen zu Hamburg, Nürnberg, Rostock. Sie fragen nach Zschäpes möglichem Wissen über jedes einzelne Verbrechen, das den drei mutmaßlichen Rechtsterroristen in der Anklage zur Last gelegt wird.

Sie fragen nach etwaigen bislang unbekannten Wohnungen, nach Handys, deren Verbleib, nach Fahrzeugen, Kalendereintragungen, der Existenz unbekannter Depots, auch nach einem Kinderschuh im Wohnmobil, in dem Mundlos und Böhnhardt am 4. November 2011 starben. Es ist ein rasanter Ritt durch Asservate, Akten, Zeugenvernehmungen und gut drei Jahre Prozessgeschehen.

  • "Frau Zschäpe, haben Sie Kenntnis von weiteren Taten, die nicht in der Anklageschrift aufgeführt sind?"
  • "Frau Zschäpe, haben Sie Kenntnis von dem Grund, warum Mundlos und Böhnhardt nach dem Mord an Halit Yozgat soweit bekannt nicht mehr mit der Ceska 83 getötet haben sollen?"
  • "War nach dem Mord an Halit Yozgat in Kassel zwischen Mundlos, Böhnhardt und Ihnen ein Thema, dass sich ein Verfassungsschützer am Tatort aufgehalten hat?"
  • "Frau Zschäpe, woher wissen Sie, dass Uwe Mundlos die Morde fotografiert hat? Welche der Morde hat er fotografiert?"
  • "Frau Zschäpe, haben Sie zwischen dem 4. und 8. November 2011 Geld oder andere Gegenstände an Orten hinterlegt oder versteckt? Wenn ja, wo und was?"
  • "Bitte schildern Sie Ihre und die Einstellung von Mundlos und Böhnhardt zu Türken, Griechen und Juden."
  • "Wie ist Ihre persönliche Einstellung gegenüber Polizeibeamten? Wie die von Mundlos und Böhnhardt?"
  • "Haben Mundlos oder Böhnhardt nach dem Untertauchen Beziehungen zu Frauen oder Männern geführt? Gibt es Kinder von Mundlos oder Böhnhardt?"
  • "Frau Zschäpe, hatten Sie Angst vor Mundlos oder Böhnhardt?"

Die ersten Stunden hört Zschäpe aufmerksam zu, wirkt den Nebenklagevertretern fast zugewandt. Neben ihr versucht ihr Verteidiger Mathias Grasel mitzuschreiben. Ununterbrochen tippt er in die Tasten seines Laptops. Irgendwann beschwert er sich: "Ich kann einiges, aber nicht Steno." Ein paar Anwälte haben ein Einsehen und reichen ihre Fragen schriftlich nach. Andere bemühen sich, zumindest ihr Lesetempo zu drosseln.

Gegen Nachmittag mehren sich die Wiederholungen. Nicht jeder Anwalt macht sich die Mühe, bereits gestellte Fragen aus seinem eigenen Katalog zu streichen.

"Werden die Fragen sofort beantwortet?", hatte Richter Götzl schon zu Beginn gefragt. Die Antwort von Verteidiger Borchert: "Mit Sicherheit nicht." Selbst für den Fall, dass man die Fragen beantworten wolle, würde dies Monate dauern.

Falls es endlich Antworten gäbe, würden dies die Familien der Opfer sicher in Kauf nehmen.


Zusammengefasst: Im Münchner NSU-Prozess konnten die Nebenkläger erstmals der Hauptangeklagten Beate Zschäpe Fragen stellen. Diese Gelegenheit wurde ausgiebig genutzt. Offen ist allerdings, ob Zschäpe die Fragen beantwortet. Dies scheint am ehesten wahrscheinlich, wenn der Senat um den Vorsitzenden Richter Manfred Götzl sich die Fragen zu eigen macht und sie selbst an Zschäpe richtet.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten