V-Mann Carsten Sz. im NSU-Prozess "Hallo, was ist mit dem Bums?"

Carsten Sz. war ein schwerkrimineller Neonazi und Spitzel für den Verfassungsschutz, Deckname "Piatto". Im NSU-Prozess trat er nun als Zeuge auf und berichtete über rechtsextreme Waffennarren.
V-Mann "Piatto": 50.000 Euro vom Verfassungsschutz

V-Mann "Piatto": 50.000 Euro vom Verfassungsschutz

Foto: Marc Müller/ dpa

Kann man einen Rechtsextremisten, der eine Horde Neonazis aufhetzt, damit sie einen Nigerianer fast zu Tode prügeln, in den Dienst des Staates stellen und zum V-Mann machen? Der brandenburgische Verfassungsschutz konnte es. Er ließ sich auf eine Zusammenarbeit mit dem gewalttätigen und schwerkriminellen Skinhead Carsten Sz. ein und gab ihm den Decknamen "Piatto".

Viele Jahre lang lieferte Carsten Sz. Informationen aus der Szene, angeblich gab er mehr als 250 brauchbare Hinweise. Im Juni 2000 wurde er enttarnt. Weggefährten von damals sinnen noch immer auf Rache. Der 44-Jährige befindet sich in einem Zeugenschutzprogramm und lebt an einem geheimen Ort.

Vor dem Münchner Oberlandesgericht erschien Carsten Sz. nun mit einer dunklen Kurzhaarperücke, ein Halstuch über Mund und Nase gezogen, eine Rechtsanwältin an seiner Seite.

Waffe als Statussymbol

Der gebürtige Berliner gilt als wichtiger Zeuge im NSU-Prozess. Er soll am 9. September 1998 seinem V-Mann-Führer gemeldet haben, dass der in der Neonaziszene bekannte Jan W. Kontakt zu den untergetauchten Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe habe - und ihnen Waffen besorgen solle. Dass das Trio einen Überfall plane, um Geld zu erbeuten und dass die "Blood and Honour"-Sektion Sachsen mit Konzerten und dem Verkauf von rechtsextremer Musik Geld für die drei gesammelt habe.

Die Nebenklage glaubt, dass "Piatto" mit mehreren Unterstützern über Unterbringung und Finanzierung der drei Neonazis gesprochen hat. Ist er gar selbst in die Beschaffung von Waffen für das Trio verwickelt?

"Persönlich waren mir die drei Personen nicht bekannt", sagt Carsten Sz. Seine Kontakte zur "Informationsgewinnung" hätten sich auf das Ehepaar Michael und Antje P. aus Limbach, Thomas S. und Jan W. beschränkt - alle Mitglieder von "Blood and Honour", Sektion Sachsen. Laut Sz. der größte und aktivste Verband des "bestorganisiertesten Hardliner-Netzwerks" von Menschen, die "weit rechtsaußen" waren und "daraus keinen Hehl machten".

Jan W. habe an der Spitze gestanden, die Fäden in der Hand gehalten und sei "immer gut vernetzt" gewesen. Für einen Spitzel wie Carsten Sz. der ideale Kontaktmann. Doch an seine Meldungen bezüglich der mutmaßlichen Terroristen, die untergetaucht waren, kann sich Carsten Sz. nicht erinnern. "Zu lange her." Die Informationen, die er damals seinem V-Mann-Führer gemeldet habe, müssten aber stimmen.

"Jeder wollte Waffen"

"Ging es auch mal um das Besorgen von Waffen?", will der Vorsitzende Richter Manfred Götzl wissen. "Das war in der Szene tagesaktuell", antwortet Carsten Sz. "Waffen wurden verherrlicht, jeder wollte sie haben, jeder hat darüber gesprochen. Das gehörte zum guten Ton und galt als Statussymbol."

"Haben Sie konkrete Informationen dazu bekommen, dass Waffen beschafft werden sollten für wen auch immer?", fragt Götzl. "Konkret nicht." "Ist jemand an Sie herangetreten?" - "Aus diesem Umfeld nicht." - "Sind Sie selbst darauf angesprochen worden, ob Sie eine Waffe besorgen können?" - "Zu lange her, ich kann das nicht mehr sagen." Ob und wie Jan W. Geschäfte mit Waffen betrieben habe, wisse er nicht. "Er war genauso waffenbegeistert wie ein Großteil der Szene."

Die Szene habe mit einem Zusammenbruch der BRD gerechnet und sich für den "Tag X" und die zu erwartenden "bürgerkriegsähnlichen Zustände" wappnen wollen. Zudem habe die rechte Szene viele Gegner gehabt: Hammerskins, Linke, Straßenbanden.

Laut Ermittlungsakten ging eine SMS von Jan W.s Handy auf ein Handy, das der Verfassungsschutz Carsten Sz. zur Verfügung gestellt hatte, mit dem Inhalt: "Hallo, was ist mit dem Bums?" Auch daran kann sich der Zeuge am Mittwoch nicht erinnern, räumt aber ein, dass mit "Bums" auch Waffen gemeint sein könnten. Details - erneut Fehlanzeige.

Carsten Sz. hat sich selbst als V-Mann bei der Potsdamer Behörde beworben, wie er vor Gericht sagt. "Lapidar mit einem Brief." Zu einem Zeitpunkt, als er in Haft saß - wegen versuchten Totschlags.

Als V-Mann in die Freiheit

Mit einer Gruppe von Neonazis hatte er im Mai 1992 den nigerianischen Lehrer Steve E. durch Wendisch-Rietz, einem Dorf in Brandenburg, gehetzt. Carsten Sz. fungierte damals als Rädelsführer: Er stachelte die rechtsextreme Meute so an, dass sie Steve E. fast zu Tode prügelten und beinah im Scharmützelsee ertränkt hätten. Der Asylbewerber erlitt schwerste Kopfverletzungen und überlebte nur knapp.

Das Landgericht Frankfurt (Oder) verurteilte Carsten Sz. 1995 zu acht Jahren Haft und bescheinigte ihm eine "menschenverachtende, tief verfestigte rechtsradikale Gesinnung". Er habe seine Kumpel in einen regelrechten "Tötungsrausch" getrieben.

Trotzdem kam er knapp drei Jahre später in den offenen Vollzug, um seine V-Mann-Tätigkeit ausüben und Bericht erstatten zu können. Er galt als wichtige Quelle und kassierte für seine Dienste 50.000 Euro. Mit seiner Arbeit als V-Mann habe er "die Seite gewechselt" und mit seiner "politischen Gesinnung gebrochen", sagt Carsten Sz. im Zeugenstand.

Nach Angaben des brandenburgischen Innenministeriums soll Carsten Sz. einige militante Kameradschaften verpfiffen haben, etwa 120 Neonazis mit hohem Gewaltpotenzial seien seinetwegen aufgeflogen. Die zurzeit vor dem OLG München angeklagten mutmaßlichen NSU-Helfer gehören nach seiner Befragung am Mittwoch vor Gericht nicht dazu.

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