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Beate Zschäpe und Mathias Grasel, einer der zwei Anwälte
Foto: imago/ Sebastian WidmannAm 419. Verhandlungstag des NSU-Prozesses hat Beate Zschäpes Wahlverteidiger Hermann Borchert sein Plädoyer begonnen - und den Vorwurf zurückgewiesen, seine Mandantin sei Mittäterin an den Morden und Anschlägen des "Nationalsozialistischen Untergrunds" gewesen.
Direkt zu Beginn seiner Ausführungen griff Borchert die Bundesanwaltschaft scharf an. Deren Beweiswürdigung sei "mangelhaft", weil sie sich nur einseitig mit den Beweismitteln auseinandergesetzt habe. Was sie in ihren Plädoyers aufgezählt habe, reiche weder im Einzelnen noch in der Gesamtschau aus, um eine Mittäterschaft seiner Mandantin zu begründen, sagte Borchert vor dem Münchner Oberlandesgericht.
Zschäpes Wunschverteidiger kritisierte, die Ankläger hätten ihre Ausführungen allein dem Ziel untergeordnet, die von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt begangenen zehn Morde als die mittäterschaftlichen Taten von Zschäpe darzustellen. Dies lasse sich aber "weder mit ihrem Charakter noch mit ihren politischen Aktivitäten begründen", sagte Borchert. Er werde ein "völlig anderes Bild" von Zschäpe zeichnen.
Anwalt Hermann Borchert, Beate Zschäpe im Juli 2017
Foto: Pool/ Getty ImagesDie Nebenkläger hatten ihre Plädoyers Anfang Februar abgeschlossen. Bereits im September 2017 hatte die Bundesanwaltschaft für die Beschuldigte Zschäpe lebenslange Haft und anschließende Sicherungsverwahrung gefordert. Die 43-Jährige hat sich nach Überzeugung der Anklage als Mitglied einer terroristischen Vereinigung des zehnfachen Mordes, etlicher Mordversuche durch zwei Bombenanschläge sowie mehrerer Raubüberfälle schuldig gemacht.
Zschäpe sei demnach zwar nicht selbst an den Tatorten gewesen, habe aber im Hintergrund an den Taten von Böhnhardt und Mundlos mitgewirkt. Die Opfer waren überwiegend türkischer und griechischer Abstammung. Bei der Enttarnung der Gruppe hatten sich Böhnhardt und Mundlos im Jahr 2011 das Leben genommen.
Eigentlich sollten die beiden Wunschverteidiger der mutmaßlichen Rechtsterroristin Beate Zschäpe, Hermann Borchert und Mathias Grasel, ihr Plädoyer längst gehalten haben. In der vergangenen Woche hatte sich jedoch durch einen "familiären Notfall" von Borchert der Beginn der Verteidiger-Plädoyers verschoben.
Schon zuvor hatten diverse Befangenheitsanträge, juristische Streitereien und eine kurze Krankheit Zschäpes den Prozess immer weiter verzögert (mehr dazu lesen Sie hier). Zuletzt hatte es zwei neue Befangenheitsanträge des Mitangeklagten André E. gegeben. Diese wurden abgelehnt.
Am Morgen hatte ein neuer Zeuge, den der neue Anwalt des Mitangeklagten André E. vor wenigen Tagen benannt hatte, den Beginn der Verteidiger-Plädoyers weiter verzögert.
Video: Braune Zelle - Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version hieß es, es handele sich um den 418. Verhandlungstag. Außerdem plädierte die Bundesanwaltschaft bereits 2017 und nicht im Februar 2018. Wir haben die Textstellen korrigiert.
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Beate Zschäpe: Sie muss sich als Mittäterin bei allen zehn Morden verantworten, die Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt zur Last gelegt werden. Mit den beiden inzwischen toten Neonazis soll sie die Terrorvereinigung NSU gebildet haben. Zschäpe ist außerdem wegen schwerer Brandstiftung und Mittäterschaft bei zwei Sprengstoffanschlägen sowie 15 Raubüberfällen angeklagt. Zschäpe räumte ein, 2011 die Zwickauer Wohnung des Trios in Brand gesteckt zu haben, die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und die Beteiligung an den Morden weist sie zurück. Sie habe immer erst hinterher von den Morden erfahren. Die Bundesanwaltschaft fordert für Zschäpe eine lebenslange Freiheitsstrafe und anschließende Sicherungsverwahrung. Die Verteidigung fordert maximal zehn Jahre Haft beziehungsweise die sofortige Freilassung Zschäpes.
Ralf Wohlleben: Er ist wegen der Beihilfe zu neun Morden angeklagt. Wohlleben wird verdächtigt, eine Ceska mit Schalldämpfer besorgt zu haben, mit der Böhnhardt und Mundlos in den Jahren 2000 bis 2006 acht türkischstämmige Männer und einen griechischstämmigen Mann umgebracht haben sollen. Wohlleben bestreitet den Vorwurf. Er sitzt seit mehr als fünfeinhalb Jahren in Untersuchungshaft. Die Bundesanwaltschaft beantragte eine Freiheitsstrafe von zwölf Jahren gegen ihn. Die Verteidigung will einen Freispruch.
Andre E.: Er ist als mutmaßlicher NSU-Helfer angeklagt. E. hat als einziger Angeklagter den ganzen Prozess über geschwiegen. Er gilt als überzeugter Neonazi und hat sich seine volksverhetzende Gesinnung, seine antisemitische Überzeugung in die Haut stechen lassen. Auf seinen Bauch ließ er sich in roten Lettern "Die Jew Die" (Stirb, Jude, stirb) tätowieren, darüber offensichtlich das Symbol der Totenkopfverbände der SS. Bundesanwalt Herbert Diemer bezeichnete ihn als den loyalsten Helfer des "Nationalsozialistischen Untergrunds". Er soll etwa Beihilfe zum Bombenanschlag auf ein Lebensmittelgeschäft in der Probsteigasse in Köln geleistet haben, indem er das Wohnmobil mietete, mit dem die Täter nach Köln fuhren. Die Bundesanwaltschaft forderte für E. zwölf Jahre Haft. Die Verteidigung will einen Freispruch.
Carsten S.: Er kooperiert mit den Behörden und belastet unter anderem Wohlleben. In dessen Auftrag habe er die Ceska als Bote an Böhnhardt und Mundlos übergeben. S. ist daher ebenfalls wegen Beihilfe zu neun Morden angeklagt. Er lebt im Zeugenschutzprogramm. Die Bundesanwaltschaft forderte, ihn zu drei Jahren Jugendstrafe zu verurteilen. Die Verteidigung forderte Freispruch.
Holger G.: Er muss sich wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung in drei Fällen verantworten. G. soll den untergetauchten Nazis Ausweispapiere überlassen haben, was er einräumt. Bundesanwalt Herbert Diemer beantragte fünf Jahre Haft für G. Er bestreitet, von den Morden gewusst zu haben. Die Verteidigung schlägt eine Strafe von unter zwei Jahren vor.
Die Ankläger: Bundesanwalt Herbert Diemer, Oberstaatsanwältin Anette Greger und Bundesanwalt Jochen Weingarten halten das Plädoyer.
Zschäpes Altverteidiger: Anja Sturm, Wolfgang Heer und Wolfgang Stahl verteidigen die Hauptangeklagte seit dem ersten Verhandlungstag. Zschäpe hat sich im Laufe des Prozesses mit ihnen überworfen - angeblich wegen der Verteidigungsstrategie. Heer, Stahl und Sturm hielten es für das Beste, dass Zschäpe schweigt. Zschäpe versuchte mehrfach, das Verteidiger-Trio loszuwerden, auch die Anwälte wollten das Mandat abgeben - erfolglos.
Mathias Grasel: Der Rechtsanwalt wurde Zschäpe im Juli 2015 auf ihren Wunsch als vierte Pflichtverteidiger an die Seite gestellt. Die ersten mehr als 200 Verhandlungstage war er nicht im Gerichtssaal gewesen. Grasel gilt als Vertrauensanwalt Zschäpes, der auch ihre ersten Einlassungen im NSU-Prozess verlas.
Hermann Borchert: In seiner Kanzlei begann Grasels Karriere. Borchert ist kein Pflichtverteidiger Zschäpes - das heißt, er wird nicht aus der Staatskasse bezahlt. Die Hauptangeklagte im NSU-Prozess sprach zuletzt nicht mehr mit ihren Altverteidigern, sondern nur noch mit Grasel und Borchert. Sie gelten als die Köpfe hinter der geänderten Verteidigungsstrategie, die mehrere Aussagen Zschäpes beinhaltete.
Richter Manfred Götzl (Mitte) und sein Staatsschutzsenat: Götzl ist seit mehr als 30 Jahren in der Justiz tätig, zunächst als Staatsanwalt, dann als Richter. Zu seinen bekannteren Fällen gehören die Ermordung des Modemachers Rudolph Moshammer oder der Parkhausbesitzerin Charlotte Böhringer. Im NSU-Prozess arbeitete Götzl akribisch und hartnäckig Punkt für Punkt der Beweisaufnahme ab - inklusive durchaus scharfen Ansagen gegenüber den Verteidigern.
Henning Saß: Der Psychiater ist der vom Gericht bestellte Sachverständige. In seinem Gutachten stufte er Beate Zschäpe als voll schuldfähig ein - dabei musste er sich allerdings auf Aktenstudium und seine Beobachtungen im Gerichtssaal verlassen. Die Hauptangeklagte hatte sich geweigert, mit Saß zu sprechen. In seinem forensisch-psychiatrischen und kriminalprognostischen Gutachten schließt Saß auch eine künftige Gefährlichkeit Zschäpes nicht aus. Folgt der Senat seiner Einschätzung, könnte der Angeklagten Sicherungsverwahrung drohen.
Joachim Bauer: Der Psychiater erstellte im Auftrag von Grasel und Borchert ein eigenes Gutachten über Beate Zschäpe - im Gegensatz zu Saß konnte er 16 Stunden mit der Angeklagten sprechen. Bauer attestiert Zschäpe eine dependente (abhängige) Persönlichkeitsstörung und hält sie deshalb nur für vermindert schuldfähig. Nachdem bekannt worden war, dass Bauer der Zeitung "Welt" einen "exklusiven Beitrag" angeboten und von einer "Hexenverbrennung" im Zusammenhang mit dem Verfahren gegen Zschäpe geschrieben hatte, erklärte das Gericht ihn für befangen.
Carsten S.: Er kooperiert mit den Behörden und belastet unter anderem Wohlleben. In dessen Auftrag habe er die Ceska als Bote an Böhnhardt und Mundlos übergeben. S. ist daher ebenfalls wegen Beihilfe zu neun Morden angeklagt. Er lebt im Zeugenschutzprogramm. Die Bundesanwaltschaft forderte, ihn zu drei Jahren Jugendstrafe zu verurteilen. Die Verteidigung forderte Freispruch.
Foto: Andreas Gebert/ dpa