Mutmaßlicher NSU-Helfer André E. Ende der Freiheit

Tätowierte Finger von André E. (Mai 2013)
Foto: Kai Pfaffenbach/ REUTERSAuf acht seiner Finger hat er sich jeweils einen Buchstaben tätowieren lassen. Sie ergeben das Wort: Freiheit. Beim Prozessauftakt im Mai 2013 ballte André E. stolz seine beiden Hände zu Fäusten, legte sie nebeneinander auf den Tisch. Viele seiner Tätowierungen sind verfassungsfeindlich, rassistisch, menschenverachtend; sein Körper ist übersät davon. Die acht Buchstaben aber sollte jeder sehen.
Sie waren mehr als eine Botschaft. Sie waren eine dreiste Forderung, vor allem aber waren sie Ausdruck seiner Haltung: André E., der bis zuletzt den "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) unterstützt haben soll, habe nichts Unrechtes getan; er habe unrechtmäßig sechs Monate in Untersuchungshaft gesessen.
So spazierte André E., 38, gelernter Maurer, Vater dreier Kinder, viereinhalb Jahre lang als freier Mann ins Münchner Oberlandesgericht. Er erschien zu jedem der 382 Verhandlungstage: überpünktlich, mit Sonnenbrille, betont gut gelaunt.
Als Bundesanwalt Herbert Diemer am Dienstag für André E. das Strafmaß forderte, entglitten dem Hardcore-Neonazi kurzzeitig die Gesichtszüge: Zwölf Jahre Haft wegen Beihilfe zum versuchten Mord. Aufgrund der hohen Strafmaßforderung und der Höhe der zu erwartenden Strafe bestehe Fluchtgefahr, verkündete Diemer - und beantragte, André E. noch im Gerichtssaal verhaften zu lassen.
André E. wollte auf den Schrecken eine Zigarette rauchen. Erst auf Intervention seines Verteidigers Michael Kaiser wurde ihm dies gewährt - aber nur in Begleitung eines Justizvollzugsbeamten, der ihm ab diesem Zeitpunkt an die Seite gestellt war. Am Nachmittag dann wurde seine Reisetasche aus dem Hotel geholt, André E. kam in Gewahrsam und verbrachte die Nacht im Gefängnis Stadelheim.
Um 15 Uhr fand nun der Haftprüfungstermin in Sitzungssaal A101 statt, in dem auch der NSU-Prozess verhandelt wird. In laufenden Verfahren ist das die gängige Praxis, sonst finden derartige Termine im Zimmer des Haftrichters statt. Und so entschied nun Richter Manfred Götzl, der Vorsitzende im NSU-Prozess, über den Haftbefehl gegen André E.

André E. im NSU-Prozess
Foto: JOERG KOCH/ EPA-EFE/ REX/ ShutterstockFür den Erlass eines Haftbefehls muss ein dringender Tatverdacht vorliegen. So versuchten André E.s Verteidiger, diesen notgedrungen in einen hinreichenden Tatverdacht umzuargumentieren.
Es half nichts. Nach 18 Uhr wurde bekannt, dass André E. in Untersuchungshaft kommt. Er gilt ab jetzt als dringend tatverdächtig und seine Verurteilung als sehr wahrscheinlich.
André E. macht erst einmal eine Pause von der Freiheit.
Die acht tätowierten Buchstaben auf seinen Fingern müssen für die Angehörigen der zehn Mordopfer, für die Überlebenden der zwei Bombenanschläge und der 15 Raubüberfälle, die dem NSU angelastet werden, eine Provokation, eine Erniedrigung, auch eine Drohung gewesen sein.
Ausgerechnet André E. hielt ihnen diese Botschaft entgegen. Jener Mann, der den mutmaßlichen Terroristen bis zum allerletzten Tag die Treue gehalten haben soll; den Beate Zschäpe als ersten angerufen haben soll, als sie wusste, dass Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos tot waren; jener Mann, der lange nach Enttarnung des NSU an exponierter Stelle im Wohnzimmer ein Porträt der beiden toten Kumpanen hängen hatte, verziert mit altdeutscher Schrift und einer umgedrehten Lebensrune.
André E. war nach Ansicht der Bundesanwaltschaft mehr als ein Helfer oder ein Unterstützer des NSU: Er soll ein Mitwisser gewesen sein, der das Gefährlichkeitspotenzial der untergetauchten Neonazis kannte und von ihren Taten wusste. E. selbst schwieg im NSU-Prozess als einziger Angeklagter eisern.
Den Anklägern zufolge ist E. der Beihilfe zum versuchten Mord, zum Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion, zum Raub und zur schweren Körperverletzung überführt. Er soll für den NSU dreimal Wohnmobile angemietet haben: Böhnhardt und Mundlos sollen damit zwei Banküberfälle in Chemnitz begangen und den ersten Sprengstoffanschlag in Köln verübt haben. André E. soll zudem BahnCards beschafft und Beate Zschäpe bei der Polizei als seine Ehefrau ausgegeben haben.
Zudem ermöglichte er nach Ansicht der Bundesanwaltschaft dem Trio mit Tarnidentität ein konspiratives Versteck: Er soll für sie eine Wohnung angemietet, seine Personalien und die seiner Ehefrau Susann zur Verfügung gestellt haben.
"Er erging sich nicht in Weinerlichkeit"

Tattoo von André E.
Foto: Matthias Schrader/ APAndré E. war dem Plädoyer der Bundesanwaltschaft auffallend lässig gefolgt, teils gar amüsiert; mehrfach hatte er Oberstaatsanwalt Jochen Weingarten zugenickt, als wollte er signalisieren: "Stimmt, aber nachweisen könnt ihr mir nichts!"
Als Bundesanwalt Diemer am Dienstag monierte, dass André E. im ganzen Verfahren keinerlei Reue gezeigt habe, nickte dieser wieder. Seine Gesinnungskameraden auf der Zuschauertribüne zeigten sich beeindruckt von seiner Impertinenz.
Weingarten sagte in seinem Plädoyer über André E.: "Er erging sich nicht in Weinerlichkeit wie Wohlleben." Auch Ralf Wohlleben soll nach Meinung der Bundesanwaltschaft wegen Beihilfe zum Mord in neun Fällen für insgesamt zwölf Jahre in Haft.
Wohlleben sitzt seit November 2011 in Untersuchungshaft, er hat fast die Hälfte der geforderten Strafe bereits abgesessen. Oft werden Gefangene nach zwei Dritteln ihrer Freiheitstrafe entlassen. Sollte Wohlleben wie von der Bundesanwaltschaft gefordert verurteilt werden, könnte er in zwei Jahren freikommen. Für André E. ginge es im Fall einer Verurteilung erst richtig los.