NSU-Prozess Spuren in Schutt und Asche

Sollte Beate Zschäpe gedacht haben, sie könne mit der Brandlegung in der Wohnung in Zwickau alle Spuren beseitigen, hat sie sich geirrt. Im NSU-Prozess nannte ein BKA-Beamter die zahlreichen DNA-Spuren, die sich im Schutt fanden.
Zerstörte Wohnung in Zwickau (November 2011): DNA-Spuren auf Katzenimpfpässen

Zerstörte Wohnung in Zwickau (November 2011): DNA-Spuren auf Katzenimpfpässen

Foto: Hendrik Schmidt/ dpa

Am Nachmittag leeren sich die Zuschauerreihen. Und von den Prozessbeteiligten kämpft nicht nur der Angeklagte Holger G. gegen die Müdigkeit an, reibt sich die Augen, gähnt. Und doch ist der 230. Verhandlungstag ein wichtiger Tag im NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München.

Carsten Proff, Sachverständiger für forensische DNA-Analytik beim Bundeskriminalamt (BKA), erstattet an diesem Mittwoch sein Gutachten. Auch bei der Identifizierung der Toten nach dem Absturz der Germanwings-Maschine im März hat er geholfen. Im NSU-Komplex hat der 42-Jährige zahlreiche DNA-Spuren untersucht. Sie fanden sich an Waffen, Kleidung, Stadtplänen, Dokumenten und anderen Gegenständen in der Wohnung von Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos in der Frühlingsstraße in Zwickau und im Wohnmobil in Eisenach, in dem sich Böhnhardt und Mundlos am 4. November 2011 erschossen. Die Spuren hat er mit der DNA der mutmaßlichen NSU-Terroristen verglichen.

An neun Waffen, einer Handgranate und vielen Patronen, die im Brandschutt der Frühlingsstraße und im Wohnmobil lagen, hat der Gutachter DNA-Spuren von Mundlos und Böhnhardt nachgewiesen. Von Zschäpe hingegen findet sich keine einzige Spur an der Pumpgun, dem Maschinengewehr, den Pistolen und Revolvern. An einem Revolver findet sich die DNA-Spur einer bisher unbekannten Person.

"Ein schönes Einzelmuster"

Unter den Waffen, über die der Gutachter an diesem ersten Tag seiner Befragung spricht, sind auch die Dienstwaffen der Polizistin Michèle Kiesewetter und ihres Kollegen Martin A. Im letzten Versteck des NSU an der Frühlingsstraße finden die Ermittler auch eine graue Trainingshose. An der Hose klebt Blut. Es stammt von Kiesewetter, sagt der Gutachter. Zahlreiche DNA-Spuren und benutzte Taschentücher in den Taschen der Hose lassen keinen Zweifel daran, dass es Mundlos war, der die Jogginghose getragen hat. Kiesewetter wurde im April 2007 in Heilbronn erschossen. Viereinhalb Jahre lang haben ihre Mörder die mit Blut besudelte Hose aufbewahrt.

Auch an einer Sturmhaube, wie sie bei den Raubüberfällen des NSU zum Einsatz kam, finden sich deutliche Spuren von Böhnhardt. Der Gutachter hebt eine DNA-Spur am Mund- und Nasenbereich besonders hervor, nennt sie "ein schönes Einzelmuster" - und entschuldigt sich sogleich für seine Schwärmerei als Biologe.

Der Gutachter berichtet weiter von zwei Katzenimpfpässen. Auf den Pässen steht der Name von Mandy S., einer Bekannten der drei, die DNA-Spuren aber stammen von Zschäpe. Auch an einer Jacke, einem T-Shirt und Fahrradhandschuhen aus dem Wohnmobil finden sich ihre DNA-Spuren, ebenso an der Öffnung einer Wasserflasche.

Die Flasche lag im Wohnmobil in einem Unterschrank. Auch Böhnhardts DNA haftet an ihr. Es sei naheliegend, sagt der Gutachter, dass wohl beide aus der Flasche getrunken haben. Aber ob Zschäpe im Wohnmobil aus der Flasche getrunken hat oder Böhnhardt die Flasche vielleicht von ganz woanders mitgenommen hat, darüber sagt das Gutachten nichts aus. Der Sachverständige betont: Er stelle lediglich fest, dass es DNA-Spuren gibt. Wie sie an einen Ort gekommen sind, dazu könne er nichts sagen.

DNA mit beschränkter Beweiskraft

Noch komplizierter wird die Sache, wenn es um DNA-Spuren des Mitangeklagten André E. geht. Der mutmaßliche NSU-Unterstützer hat einen eineiigen Zwillingsbruder. Eine Tatsache, vor der der forensische DNA-Analytiker kapitulieren muss. DNA-Muster von eineiigen Zwillingen sind identisch. "Kommt ein eineiiger Zwilling als Spurenverursacher in Betracht, dann können wir nicht unterscheiden, welcher Zwilling es ist", sagt der BKA-Experte. Ein Lächeln huscht über das Gesicht von Herbert Hedrich, Verteidiger von André E.

Stunde um Stunde verliest DNA-Experte Proff Nummern von Asservaten, benennt Wahrscheinlichkeiten, spricht von Mischspuren, Abrieben, Teilmustern. Nur sporadisch nennt er den Fundort der einzelnen Asservate, nicht immer sagt er, was für ein Gegenstand sich hinter der Nummer verbirgt. Der Gutachter macht es den Zuhörern im Saal nicht leicht, ihm zu folgen. Je länger er spricht, umso monotoner wird seine Stimme und umso schläfriger sein Publikum. Nur der Vorsitzende Richter Manfred Götzl schreibt bis zum Ende des Verhandlungstages konzentriert mit.

Erstaunlich wach wirkt auch Beate Zschäpe. Die 40-Jährige hat ihre Ellenbogen auf den Tisch gestützt und ihr Kinn auf ihre Hände. Vor ihr steht ein Laptop, auf dem sie das Gutachten mitzulesen scheint. Daran, dass sie am 4. November 2011 den Brand in ihrer Wohnung in der Frühlingsstraße gelegt hat, gibt es längst keine Zweifel mehr. Wenn sie damals glaubte, damit alle Spuren vernichtet zu haben, wurde sie an diesem Tag einmal mehr vom Gegenteil überzeugt.

Zschäpe muss sich seit Mai 2013 unter anderem wegen Mittäterschaft an zehn Morden, schwerer Brandstiftung, drei Mordversuchen, zwei Sprengstoffanschläge und 15 Raubüberfällen vor Gericht verantworten. Bei einer Verurteilung droht ihr eine lebenslange Freiheitsstrafe, die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld und möglicherweise Sicherungsverwahrung.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten