Neonazi-Aussteiger im NSU-Prozess Der außergewöhnliche Zeuge

Beate Zschäpe vor dem OLG: Unterkühlt nach der Sommerpause
Foto: Peter Kneffel/ dpaZu einer Versöhnung mit Beate Zschäpe ist es in den Sommerferien offenkundig nicht gekommen. Das Verhältnis der Angeklagten im NSU-Prozess zu ihren Verteidigern Anja Sturm, Wolfgang Stahl und Wolfgang Heer wirkt am ersten Tag nach der vierwöchigen Verhandlungspause so unterkühlt wie zuvor. Mathias Grasel, Zschäpes in jeder Hinsicht jüngster Verteidiger, ist auch an diesem, dem 225. Prozesstag der Einzige aus ihrem Verteidigerquartett, dem sich die 40-Jährige im Saal A101 des Oberlandesgerichts München (OLG) intensiv zuwendet.
Zwei Zeugen hat der Senat unter Vorsitz von Richter Manfred Götzl an diesem Tag geladen. Der Zeuge Kay S. muss sich den Fragen der Verteidigung des Mitangeklagten Ralf Wohlleben stellen. S. hatte Wohlleben bei seiner ersten Aussage im April dieses Jahres belastet. Nun hakt dessen Anwalt Olaf Klemke nach. Klemke versucht, den Zeugen zu provozieren, zu nerven, zu reizen. Doch S. lässt sich nicht beirren. "Ich habe mich entschlossen, das zu sagen, was ich weiß", sagt der Zeuge. Kay S. wirkt aufrichtig, von Belastungseifer getrieben wirkt er nicht.
Kay S. ist ein außergewöhnlicher Zeuge. Er gehörte in den Neunzigerjahren zur rechten Szene in Jena, heute arbeitet er als Angestellter im Strafvollzug in Thüringen. Er kennt die Hauptangeklagte Zschäpe von damals. Auch Ralf Wohlleben, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gehörten zu seinem Bekanntenkreis. Anders als die meisten Zeugen aus jenem Umfeld spricht Kay S. vor Gericht. Im April gestand er im NSU-Prozess überraschend , 1996 an einer rechtsradikalen Tat beteiligt gewesen zu sein.
Im April 1996 hatte Ignatz Bubis, damals Vorsitzender des Zentralrats der Juden, Weimar besucht. Am Tag seiner Anreise hing an einer Autobahnbrücke nahe Jena ein Puppentorso mit einer Schlinge um den Hals und einem Davidstern mit der Aufschrift "Jude" auf Brust und Rücken. Die Puppe war verkabelt mit einer Bombenattrappe, ein Verkehrszeichen mit der Aufschrift "Vorsicht Bombe" übermalt.
Beschimpft als "Verräter"
"Die Linken machen so viel, wir müssen auch mal was machen, damit wir in die Medien kommen", habe Mundlos damals zu ihm gesagt, sagt Kay S. an diesem Mittwoch vor Gericht. Auf Nachfrage sagt er auch, dass Mundlos ein "Fan" der Zeichentrickfigur "Paulchen Panther" gewesen sei. Das menschenverachtende Bekennervideo des "Nationalsozialistischen Untergrunds" enthält neben Fotos der zehn Mordopfer zahlreiche "Paulchen Panther"-Sequenzen.
Fingerabdrücke auf der Bombenattrappe neben dem Puppentorso brachten Böhnhardt damals vor Gericht. In erster Instanz wurde er verurteilt, das Landgericht hob das Urteil auf. Kay S., Wohlleben, Zschäpe und Mundlos hatten ihm ein Alibi gegeben. Er habe vor Gericht damals gelogen, sagte Kay S. im April im NSU-Prozess. Sie alle hätten bei der Aktion mitgemacht. Kay S. sagte auch, dass Wohlleben ihn im Januar 1998, nach dem Untertauchen der drei mutmaßlichen NSU-Terroristen, um Geld für Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe gebeten habe. S. habe zunächst eine Spende zugesagt, dann aber doch kein Geld gegeben.
"Schönen Gruß von Böhnhardt! Denk dran, du hast damals eine Falschaussage gemacht." Das habe Wohlleben zu ihm gesagt, sagt Kay S. an Mittwoch im Gerichtssaal. Auf Nachfrage eines Nebenklagevertreters bestätigt der Neonazi-Aussteiger zudem, dass er als "Verräter" beschimpft worden sei. 2001 habe er eine Morddrohung erhalten: Er solle aufpassen, dass er nicht mal in der Saale liege. Von wem die Drohung kam, wisse er heute nicht mehr.
Bei seiner Vernehmung beim Bundeskriminalamt hatte Kay S. von der Puppentorso-Aktion noch nichts berichtet. Klemke wirft dem Zeugen deshalb "ein taktisches Verhältnis zur Wahrheit" vor. Mit seinem Antrag auf Vereidigung des Zeugen hat der Verteidiger keinen Erfolg. Richter Götzl schickt Kay S. am frühen Nachmittag unvereidigt nach Hause. Klemkes Kommentar: "Alle Belastungszeugen werden hier heiliggesprochen."
Verwirrung um angebliche Taxifahrt
Zuvor berichtete ein anderer Zeuge, Patrick H., von einer Taxifahrt mit Zschäpe. H. stiftet mit seiner Aussage vor Gericht allerdings mehr Verwirrung, als dass er aufklärt. Der heute 29-Jährige war 2011 Taxifahrer in Zwickau. Anders als es die Polizei nach seiner Vernehmung vermerkt hat, sagt er jetzt, er sei mit Zschäpe von der Frühlingsstraße in Zwickau, dem mutmaßlich letzten NSU-Versteck, zum Bahnhof gefahren und habe dort mit ihr im Auto gewartet. Nach etwa zehn Minuten seien Mundlos und Böhnhardt ins Taxi gestiegen. Er habe die drei dann zurück in die Frühlingsstraße gefahren.
Der Zeuge spricht vor Gericht konsequent von "Mundstuhl", wenn er Mundlos meint. Bei der Polizei hatte er ihn laut Vermerk noch gar nicht erwähnt. Dort soll er zudem gesagt haben, er habe Zschäpe am 16. Juni 2011 schlicht zum Bahnhof gefahren. Die Ermittler haben Hinweise darauf, dass Zschäpe am 16. Juni 2011 mit dem Zug ins niedersächsische Haste gefahren sein könnte. Der Ort liegt 16 Kilometer von Lauenau entfernt, dem Wohnort des Mitangeklagten Holger G.
Patrick H. habe Böhnhardt drei, vier Wochen zuvor vom Bahnhof abgeholt, notierte die Polizei nach seiner Vernehmung.
An diesem Tag aber bleibt Patrick H. bei seiner neuen Version. Er datiert die angebliche Taxifahrt mit Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos auf den "26.11.". Am 26. November 2011 aber saß Zschäpe längst im Gefängnis. Und Mundlos und Böhnhardt waren tot.