Zeuge über NSU-Anschlag in Köln "Ich habe ihn genau gesehen"

Angeklagte Beate Zschäpe: Wusste sie von Anschlagsplänen?
Foto: Andreas Gebert/ dpaEs ist unfassbar! Da kam am 9. Juni 2004 kurz nach 15.05 Uhr einer Passantin in der Nähe der Kölner Keupstraße ein Radfahrer entgegen. Er fiel ihr vor allem deshalb auf, weil er ein silberfarbenes Rad mit beiden Händen ungewöhnlich vorsichtig schob. "Überaus behutsam", sagt sie nun als Zeugin im NSU-Prozess: "Ich hatte das Gefühl, er hätte es am liebsten getragen." Das Rad schien neu zu sein, es habe auch keinen Platten gehabt.
Dasselbe hatte sie damals auch der Polizei gesagt. Doch die zeigte sich davon offenbar nicht sonderlich beeindruckt.
Der Mann habe Sportkleidung getragen, sei etwa so alt wie ihr Sohn (Jahrgang 1977) gewesen, schlank, mit Käppi auf dem Kopf und, weil es heiß war, bekleidet mit einem bläulichen T-Shirt, sagt die Frau vor Gericht. Er habe "angespannt" gewirkt. Auf das Rad habe sie auch deshalb geachtet, weil ihr Mann ein ähnliches im Keller stehen gehabt habe. Auf dem Gepäckträger habe sich eine schwarze, relativ große gewölbte Box befunden, "wie für Motorräder".
Die Annahme liegt nahe, dass es Uwe Mundlos war, der auf dem Gepäckträger wohl den Sprengsatz transportierte, der an jenem Junitag um kurz vor 16 Uhr in der Kölner Keupstraße für eine enorme Verwüstung sorgte. 22 Menschen wurden zum Teil schwer verletzt.
"Wir hatten Blickkontakt"
Die Zeugin war an jenem Nachmittag von einem Fitnessstudio an der Schanzenstraße gekommen und hatte auf dem Weg zu ihrem Auto eine Abkürzung genommen, einen Trampelpfad über ein brachliegendes Gelände hinter der Keupstraße. Dort trieben sich öfter dunkle Gestalten herum, Drogendealer zum Beispiel. Deshalb sei sie besonders aufmerksam gewesen. "Der Mann ging etwa einen halben Meter entfernt von mir vorbei. Wir hatten Blickkontakt. Er war kein unansehnlicher Mann."
Tage später ging die Frau mit zwei Kripobeamten noch einmal jenen Trampelpfad ab, um die Begegnung nachzustellen. Als sie gefragt wurde, ob es sich um einen Türken oder einen Kurden gehandelt haben könnte, verneinte sie. Eher ein Osteuropäer, sagt sie vor Gericht. "Ich sagte der Polizei jedenfalls, dass ich einen Deutschen nicht ausschließe." Sie habe früher in einer Sparkasse gearbeitet und "einen Blick" für Nationalitäten entwickelt.
Dieser Zeugin wurden damals Bildsequenzen gezeigt, die eine Videokamera des Senders Viva von Uwe Böhnhardt aufgenommen hatte, als er gegen 14.30 Uhr zwei Mountainbikes auf der Schanzenstraße schob. Etwa zwölf Minuten später kam er ohne die Mountainbikes zurück, um weitere 20 Minuten später mit Tüten in der Hand wieder vorbeizugehen. In einiger Entfernung folgte ihm Mundlos mit dem mutmaßlichen Tatfahrrad.
Die Zeugin war sich, trotz der schlechten Bildqualität, "ziemlich sicher", in diesem Mann jene Person erkannt zu haben, die identisch war mit dem Radfahrer auf dem Trampelpfad. Warum ging die Polizei diesen Angaben nicht gründlich nach? Wieso verfolgte sie die Hinweise nicht weiter?
Als die Frau sieben Jahre später nach der Enttarnung des NSU im November 2011 die Fotos von Mundlos und Böhnhardt in den Medien sah, "rief das heftige Reaktionen bei mir hervor", sagt sie nun im Münchner Gericht.
"Da war er schon weg"
Eine ähnlich bedeutsame Beobachtung machte ein Feuerwehrmann, der am Nachmittag des 9. Juni 2004 nach seinem Motorrad in einer Werkstatt Ecke Keup-/Markgrafenstraße sehen wollte. Als die Nagelbombe detonierte, befand er sich im Büro des Betriebs und hörte einen lauten Knall. Er verließ das Gebäude, um mit einem Leih-Motorrad wieder heimzufahren.
"In dem Moment kommt in großem Bogen aus der Keupstraße ein Radfahrer wie ein Besessener um die Kurve gerast in meine Richtung - Panik im Gesicht! Ich habe ihn genau gesehen." Der Mann habe eine halblange Treckinghose getragen, Sandalen und eine Sonnenbrille. Der Mann sei regelrecht "geflogen" und "blitzartig" vorbeigeschossen. "Ich hatte Angst, dass er mir in mein Motorrad fährt! Ich drehte mich um und rief ihm noch ein paar schmutzige Kölner Worte hinterher, aber da war er schon weg."
Als im Kölner "Express" am nächsten Tag Bilder aus den Videoaufnahmen abgedruckt waren, habe er sofort gedacht: "Das isser!" Warum wurden diese Beobachtungen nicht ernst genommen? Warum kam niemand auf die Idee, den Kölner Anschlag mit anderen ungeklärten Attentaten auf Menschen ausländischer Herkunft in Verbindung zu bringen, bei denen ähnliche Radfahrer in Sportkleidung aufgefallen waren?
Nur einmal sei er von der Polizei vernommen worden, sagt der Zeuge. "Dann aber kam nichts mehr", obwohl er doch eine ziemlich genaue Beschreibung des offensichtlich flüchtenden Radfahrers abgegeben hatte. "Stattdessen wurde ich gefragt, was ich in der Keupstraße zu suchen hatte. Als ob ich die Bombe abgelegt hätte!"