Organisierte Kriminalität "Die Mafia gefährdet unsere Demokratie"

Deutschland, einig Mafia-Land? Gruppierungen der Organisierten Kriminalität bedrohen nach Einschätzung des Polizeigewerkschafters Klaus Jansen massiv die öffentliche Ordnung: "Ich habe den Eindruck, die Mafia wird hier in Ruhe gelassen", sagt er.
Von Jan Grundmann

Berlin - Sie starben in ihren Autos. Dutzende Kugeln durchsiebten die Körper der sechs Italiener. In dieser Nacht im August 2007 erreichte die Fehde zwischen zwei Clans der kalabresischen Mafiaorganisation 'Ndrangheta ihren vorläufigen Höhepunkt - mitten in Deutschland, vor einer Pizzeria in der Duisburger Innenstadt.

Der darauffolgende Aufschrei über die Mafia-Aktivitäten währte nur kurz: Eine deutsch-italienische Ermittlergruppe wurde eilig einberufen, mehr als 30 Kriminelle in Kalabrien verhaftet, Hintermänner und Auftraggeber des Mordes gefasst.

Danach wurde Deutschland wieder zum Ruheraum.

Das bedeute vor allem eines: Die Mafia werde hier in Ruhe gelassen und könne sich ums Geldverdienen kümmern, sagt Klaus Jansen, Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK): "Die Mafia gefährdet schleichend unsere Demokratie." So fehlte in vielen Bundesländern der politische Wille für aufwendige Ermittlungen. "Die Landesregierungen fragen oft nicht, aus welchen dunklen Kanälen Investitionsgelder stammen."

"Kalte Wirtschaftlichkeit" der Mafia-Clans

Der BDK-Chef läuft rot an, mitten in der Pressekonferenz. Jansen ist als Gastredner für den Publizisten Jürgen Roth hier. Der hat jetzt ein Buch über die Mafia-Aktivitäten in Deutschland geschrieben - nach seinen umstrittenen Enthüllungen über den angeblichen "Sachsensumpf", die ihm einen Strafbefehl wegen übler Nachrede einbrachten.

Jansen sucht die Öffentlichkeit für das deutsche Mafia-Problem, deshalb sitzt er neben "Jürgen", wie er den Autor nennt. Die Mafia, so der Ex-Ermittler, sei ein global agierendes Unternehmen, dessen "kalte Wirtschaftlichkeit" weit über Clan-Fehden, Schutzgeld-Erpressungen oder Nachtclub-Eröffnungen hinausgehe. Bloß wolle das in Deutschland kaum einer wissen.

Dabei gibt es immer wieder Hilferufe. So scheint die Ostseeküste nicht nur bei Touristen, sondern auch bei der kalabresischen 'Ndrangheta beliebt zu sein: Die Mafia kaufe sich in Tourismusprojekte auf Rügen und Usedom ein, sagte vor einem Jahr Roland Buck, BDK-Landeschef von Mecklenburg-Vorpommern.

'Ndrangheta - Die kalabrische Mafia

Oder die Warnung aus der Hauptstadt: Berlin sei eines der drei weltweiten Zentren der russischen Mafia - neben London und New York. Das sagte Bernd Finger, Leiter der Abteilung Organisierte Kriminalität im Landeskriminalamt, vor gut drei Monaten in einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung".

Mafia-Bekämpfung hat keine Priorität mehr

Doch das Bundeskriminalamt hat andere Zahlen: Demnach ist die Zahl der Tatverdächtigen und der Ermittlungsverfahren im Bereich der Organisierten Kriminalität seit 2001 rückläufig - also von dem Moment an, als der Anschlag auf das World Trade Center auch die kriminalistische Arbeit in Deutschland erschütterte.

Seit damals hätten Mafiaermittlungen keine Priorität mehr, Beamte seien verstärkt zur Terrorbekämpfung abgezogen worden, so Jansen: "Und wenn nicht ermittelt wird, gehen auch die Zahlen zurück." Neues Personal wachse nur langsam nach. Die frischen Beamten seien zwar gut ausgebildet, doch ohne Erfahrungen mit Organisierter Kriminalität auf internationalem Niveau, so Jansen, der bis 2003 aktiver BKA-Beamter war.

Jansen fordert ein Zentrum zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität ähnlich dem, das zur Terrorabwehr installiert wurde. Denn die Aktivitäten der Mafia aufzudecken, sei länderübergreifende Puzzlearbeit: kleinteilig und langwierig. Bisher, so Jansen, hielten die Landeskriminalämter nur einzelne Stücke in der Hand - und legten sie weg, weil sie das Gesamtbild darin nicht erkennen könnten.

Jansen stockt kurz. Er nimmt Anlauf. Dann hebt der Kriminalist im Gewerkschaftsdienst wieder an. Möglicherweise liege das Problem auch ganz woanders: "Vielleicht will man in Deutschland das Mafia-Problem gar nicht sehen."

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren