In Arrest verbrannter Oury Jalloh Der ewige Skandal

Teilnehmer der Pressekonferenz in Berlin
Foto: Wolfgang Kumm/ dpaIn wenigen Monaten, am 7. Januar, jährt sich der Feuertod Oury Jallohs zum 14. Mal. Anfang 2005 war der junge Asylbewerber aus Sierra Leone in einer Arrestzelle der Dessauer Polizei verbrannt. Angeblich soll der an einer feuerfesten Matratze fixierte Mann den Brand selbst gelegt haben.
Der Fall wirft bis heute Fragen auf: Ist die Version der Polizei stimmig? Wer trägt juristische, moralische oder politische Verantwortung? Verbirgt sich ein noch größerer Skandal hinter Jallohs Tod? All das ist bis heute unklar, trotz immer neuer, mitunter haarsträubender Wendungen (mehr dazu lesen Sie hier).
Dabei war in den vergangenen Monaten Bewegung in den Fall gekommen: Die in Sachsen-Anhalt regierende Koalition aus CDU, SPD und Grünen setzte zwei Sonderermittler ein und wies die Generalstaatsanwaltschaft an, eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu prüfen. Die Sonderermittler dürfen ihre Arbeit erst aufnehmen, wenn die Generalstaatsanwaltschaft nicht mehr ermittelt - und deren Prüfergebnis lässt seit Monaten auf sich warten.

Verstorbener Asylbewerber: Der Fall Oury Jalloh
Wird die Aufklärung verschleppt? In diese Richtung geht die Kritik der Linken , die im Landtag neben der AfD die einzige Oppositionsfraktion stellt. Die Abgeordnete Henriette Quade kritisiert, dass sich die Ermittlungen seit Jahren hinziehen. Sie und ihre Kollegen fordern seit Langem einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss.
Es gebe institutionellen Rassismus und strukturelle Probleme bei der Polizei, sagt Quade dem SPIEGEL: "Zur politischen Aufarbeitung gehört mehr, als den Fall Oury Jalloh aufzuklären."
Die langsame Ermittlungsarbeit ist auch einer der Gründe, weshalb Außenstehende aktiv geworden sind: Aus der "Initiative in Gedenken an Oury Jalloh" ist eine "Internationale Unabhängige Untersuchungskommission" hervorgegangen, die auf einer Pressekonferenz in Berlin nun erste Ergebnisse ihrer Arbeit vorgestellt hat.
Der im Januar gegründeten Kommission gehören unter anderem die Rechtsprofessorin Iyiola Solanke von der Universität Leeds an, außerdem ein Arzt, Brandexperten sowie mehrere auf Menschenrechte spezialisierte Anwälte; Akteneinsicht haben sie allerdings nicht. Wie wollen sie neue Erkenntnisse zutage fördern?
"Eine Systematik struktureller Gewalt"
Unter anderem mit Nachforschungen im Umfeld der Dessauer Polizei. Beate Böhler, eine der Anwältinnen der Angehörigen Jallohs, spricht an diesem Vormittag auf der Pressekonferenz über Fälle von Polizeigewalt, "die in dieser Dichte und dieser Härte einzigartig sind". Beamte hätten nach dem Feuertod des Asylbewerbers den Tatort manipuliert, in Dessau habe es "eine generelle regelmäßige Missachtung von gesetzlichen Vorschriften" gegeben.
Böhler verweist auf zwei andere Todesfälle in Dessau: Im Dezember 1997 war Hans-Jürgen Rose ums Leben gekommen, nachdem er kurz zuvor in Gewahrsam der Polizei gewesen war. Fünf Jahre später starb Mario Bichtemann in einer Arrestzelle wegen einer zuvor erlittenen Kopfverletzung. Die bis heute nicht aufgeklärten Todesfälle Rose, Bichtemann und Jalloh verweisen laut Böhler auf ein grundsätzliches Problem bei der örtlichen Polizei.
"Es ist davon auszugehen, dass hier eine Systematik struktureller Gewalt und institutioneller Straflosigkeit vorliegt", sagt die Soziologin Vanessa Eileen Thompson von der Universität Frankfurt, sie spricht von einem "Oury-Jalloh-Komplex".

Mitglieder der Jalloh-Initiative in Berlin
Foto: Wolfgang Kumm/ dpaDa eine Aufklärung von rechtsstaatlicher Seite nicht mehr zu erwarten sei, versuche nun die Kommission herauszufinden, "was wirklich passiert ist".
Das ist ein hoher Anspruch: Unklar ist etwa, wie sich Ungereimtheiten und Parallelen in allen drei Fällen zu einem Gesamtbild zusammenfügen lassen - und ob die Generalstaatsanwaltschaft oder die beiden Sonderermittler dem überhaupt Beachtung schenken werden.
Die schwarz-rot-grüne Regierungskoalition hat vor einigen Monaten die renommierten Juristen Manfred Nötzel und Jerzy Montag beauftragt, alle Ermittlungsakten im Fall Jalloh auf Unstimmigkeiten und Fehler zu prüfen. Montag, der auch Grünen-Politiker ist, hatte sich unter anderem als Sonderermittler im Bundestag mit dem rechtsterroristischen "Nationalsozialistischen Untergrund" und der Rolle des V-Manns "Corelli" befasst. Nötzel war Generalstaatsanwalt in München und galt bis zu seiner Pensionierung im Februar als einer der erfolgreichsten Strafverfolger der Republik.
Der Arbeitsauftrag der beiden umfasst pikante Fragen: Wurden Ermittlungsbehörden beeinflusst? Haben die Verantwortlichen ordentlich mit den Beweismitteln gearbeitet? War es nachvollziehbar, dass die Staatsanwaltschaft Halle die Ermittlungen einstellte, obwohl der Dessauer Oberstaatsanwalt einen Mord durch Polizisten für wahrscheinlich hielt?
Der Fall Jalloh: Mord, Totschlag, Unglück?
Bislang sind Nötzel und Montag im Fall Jalloh jedoch tatenlos: Vorrang hat die Arbeit der Generalstaatsanwaltschaft, die sämtliche Unterlagen aus der Zeit seit 2005 nochmals sichtet. Seit Januar seien zwei Kollegen mit fast nichts anderem beschäftigt, sagt Behördensprecher Klaus Tewes dem SPIEGEL. Die Ermittler müssten auch eigene Nachforschungen anstellen, das koste zusätzliche Zeit. "Ich hoffe, dass wir in den nächsten zwei Monaten zu einem Ergebnis kommen."
Eine Wiederaufnahme des Verfahrens wäre eine große Überraschung, wahrscheinlicher ist ein anderes Szenario: Sollte die Generalstaatsanwaltschaft keine neuen Ermittlungen einleiten, wären die Sonderermittler am Zug.
Ob bei all dem die Unabhängige Kommission eine größere Rolle spielen wird, hängt wohl davon ab, ob die Experten zu neuen, belastbaren Erkenntnissen gelangen. Eines werden die Forscher aber wohl in jedem Fall bewirken: So bald wird es nicht ruhig werden um diesen ewigen Justizskandal.