Lynchjustiz in Pakistan Tod durch den Mob

Demonstration für Mashal Khan in Karatschi
Foto: AKHTAR SOOMRO/ REUTERSSie kamen am vergangenen Donnerstag mit Stöcken auf den Campus. Jemand hatte auch eine Pistole dabei. "Mashal!", riefen sie. Immer wieder: "Mashal!" Es waren wütende junge Männer, Studenten der Abdul-Wali-Khan-Universität in Marden, einer Stadt im Nordwesten von Pakistan, aber auch Mitarbeiter der Universitätsverwaltung. Sie waren gekommen, um Mashal Khan, 23 Jahre alt, zu töten, weil sie gehört hatten, dass er ein "Gotteslästerer" sei, ein "Blasphemist".
Ihnen war zu Ohren gekommen, er sei ein Ahmadi - also einer, den die pakistanische Verfassung offiziell zu einem Nichtmuslim erklärt, obwohl die Ahmadis, eine religiöse Minderheit in Pakistan, sich selbst sehr wohl als Muslime verstehen. Andere wollten gehört haben, wie er den Propheten Mohammed beleidigt habe. Beweise gab es keine.
Khan, Student im Fach Journalismus, hatte mit den Ahmadis nichts zu tun. Aber selbst wenn, warum sollte er dafür sterben? Er war ein kritischer Kopf, ein politischer Mensch. In seinem Studentenzimmer hingen Poster von Marx und Che Guevara, man sieht sie auf Bildern, die die Polizei der Presse gab.
Sie warfen ihn über den Balkon
Der Mob fand Khan im zweiten Stock eines Unigebäudes. Die Männer schlugen auf ihn ein. Und weil die Stöcke anscheinend nicht reichten, rissen die Männer Bretter aus den Möbeln und schlugen damit weiter. Dann feuerte jemand zwei Schüsse auf Khan. Die Männer traten weiter auf den Leblosen ein, warfen ihn über einen Balkon nach draußen, wo weitere Männer auf ihn einprügelten.
Jemand filmte die grausame Tat. Als endlich die Polizei eintraf und die Menge auseinandertrieb, war da nur noch ein blutiger Körper zu sehen. Später versammelten die Täter sich und filmten sich dabei, wie sie sich selbst für ihre Tat feierten. Sie riefen "Allahu Akbar", "Gott ist groß", sangen religiöse Lieder und verlangten, die Leiche zu bekommen, um sie verbrennen zu können. Die Videos kursierten später im Netz, die pakistanischen Medien veröffentlichten sie, jetzt dienen sie der Polizei als Beweismittel.
In mehreren Moscheen priesen Geistliche die Täter und erklärten, es sei rechtens gewesen, Khan zu töten. Einer weigerte sich, den Ermordeten zu beerdigen. Gegen zwei Prediger leitete die Polizei Ermittlungen wegen Volksverhetzung ein.
Insgesamt 59 Menschen sind inzwischen festgenommen worden. "Möglicherweise waren noch mehr an der Tat beteiligt", teilt Salahuddin Khan Mehsud mit, der Polizeichef der Provinz Khyber Pakhtunkhwa. "Unsere Arbeit ist noch nicht abgeschlossen, wir ermitteln in alle Richtungen", sagt er eine knappe Woche nach der Tat.
"Ich konnte nichts tun"

Abdul-Wali-Khan-Universität in Marden
Foto: ARBAB/EPA/REX/ShutterstockZiaullah Hamdard, ein Dozent von Khan, erklärt im Fernsehen, er fühle sich schuldig. "Der Mob war vor meinen Augen, aber ich konnte nichts tun." Vier Tage habe er nicht mehr geschlafen. "Sie haben Mashal nicht einmal die Chance gegeben, sich zu verteidigen und seine Unschuld zu beweisen."
So brutal der Fall auch ist, so gewöhnlich ist er in Pakistan. Der Vorwurf der Blasphemie ist nicht selten - und immer bedeutet er das Ende einer Existenz. Entweder muss der Beschuldigte für den Rest seines Lebens untertauchen, aus Angst vor Lynchjustiz, oder er landet im Gefängnis, wie zum Beispiel die zum Tode verurteilte Christin Asia Bibi, die seit 2009 in Haft sitzt.
Ein Blasphemiegesetz, das Teil des pakistanischen Strafgesetzbuches ist, sieht hohe Strafen für die Beleidigung des Propheten und für die Schändung des Koran vor, für Ersteres sogar die Todesstrafe. Das Gesetz stammt noch aus britischer Kolonialzeit und wurde vom islamistischen Militärdiktator Zia ul-Haq in den Achtzigerjahren erneut zur Anwendung gebracht. Heute wird es vor allem dazu missbraucht, missliebige Personen anzuschwärzen. Wer jemanden einschüchtern will, muss nur mit dem Blasphemievorwurf drohen.
Auch im Fall Khan tauchen jetzt Informationen auf, wonach der Vorwurf der Gotteslästerung nur vorgeschoben wurde. Khan soll Kritik am Management seiner Universität geübt haben. Mehrere Kommilitonen sagen aus, die Hintermänner der Tat seien in den Reihen der Universitätsverwaltung zu suchen. Dozent Hamdard hält das für möglich, er hat gekündigt. Auf den Videos lassen sich inmitten des Mobs tatsächlich mehrere Mitarbeiter der Verwaltung ausmachen, sechs von ihnen wurden bereits festgenommen, weitere suspendiert. Wichtige Zeugen sind zwei weitere Studenten, die ebenfalls vom Mob gejagt wurden, sich aber retten konnten.
Premierminister Nawaz Sharif schwieg vier Tage zu dem Fall, bevor er sich, nicht zuletzt durch die Berichterstattung in den pakistanischen Medien unter Druck gesetzt, doch noch äußerte. Er sei gegen Selbstjustiz und verlange, dass alle an der Tat Beteiligten festgenommen würden. "Die Nation sollte zusammenstehen, diese Straftat verurteilen und Toleranz und die Geltung von Recht in der Gesellschaft fördern", erklärte er. Niemand dürfe das Recht in die eigene Hand nehmen.
Auch das pakistanische Parlament forderte, man müsse gegen die Täter vorgehen. Es ist dasselbe Parlament, das sich weigert, das Blasphemiegesetz abzuschaffen, und das im vergangenen Jahr noch gefordert hat, man müsse für Blasphemie härtere Strafen einführen.