Fall Peggy K. Spuren des Todes
Um 13.31 Uhr am vergangenen Samstag tut sich endlich eine konkrete Spur im Vermisstenfall Peggy K. auf, von dem es über Jahre hieß, er sei Deutschlands mysteriösester. Vielleicht ist er auch so prominent, weil er mit einem sagenhaften Polizeiskandal verbunden ist und weil Dutzende Privatleute und Journalisten nie aufgehört haben, nach der Wahrheit zu suchen. Nun sind Ermittler ihr aller Wahrscheinlichkeit nach einen großen Schritt näher gekommen.
Im Unterholz eines Waldstückes westlich der Verbindungsstraße zwischen Rodacherbrunn und Nordhalben, wo Thüringen an Bayern grenzt, stieß ein Pilzsammler am frühen Samstagnachmittag auf Knochenteile und Kleidungsreste. Er alarmierte die Polizei in Saalfeld. Die Beamten fanden in der Nähe des Fundorts weitere Teile des offensichtlich menschlichen, relativ kleinen Skeletts. Sofort erinnerten sich die Ermittler an den Vermisstenfall Peggy K. Das damals neunjährige Mädchen war im Mai 2001 mitten im oberfränkischen Lichtenberg, nur etwa 15 Kilometer von Rodacherbrunn entfernt, zwischen der Schulbushaltestelle und ihrem Elternhaus spurlos verschwunden.
Das Ergebnis der rechtsmedizinischen Untersuchung liegt noch nicht vor. Aber aufgrund der Kleiderreste am Fundort sind die Experten überzeugt, dass die sterblichen Überreste höchstwahrscheinlich von Peggy stammen.
Das Mädchen lebte mit seiner Mutter Susanne, der kleinen Schwester und dem türkischen Stiefvater in einem alten, hellblauen Haus direkt am Marktplatz in Lichtenberg. Die Mutter machte Schichtarbeit im Altenheim, oft war niemand da, wenn Peggy von der Schule nach Hause kam. Dann ging sie hinauf in die Wohnung der Nachbarn, eines Ehepaars, beide enge Freunde von Mutter Susanne. Am 7. Mai 2001 hatte Peggy einen Schlüssel. Die Nachbarn waren zu Hause.
Peggy wurde 50 Meter vor der Haustür von mehreren Zeugen zum letzten Mal gesehen. Die Polizei errechnete später, dass das Mädchen für den Weg rund 30 Sekunden gebraucht hätte. Peggy kam aber nie zu Hause an.

Der Fall Peggy K.: Eine Neunjährige verschwindet
Was war passiert? Entführte sie ein unbekannter Kinderfänger mit dem Auto? Traf sie ihren späteren Mörder, einen Nachbarn, einen Freund? Lief sie einfach weiter und setzte sich in einer der örtlichen Gaststätten zum Mittagessen, was gelegentlich vorkam? Oder ging sie ins Haus und kam dort zu Tode? Wurde sie von der Verwandtschaft des eifersüchtigen Stiefvaters in die Türkei entführt? All diese Theorien wurden diskutiert, Belege ließen sich nicht finden. (Die Chronologie zum Fall Peggy finden Sie hier).
Mit Peggy war ihr Schulranzen verschwunden und offenbar eine Barbiepuppe. Mehr wusste man bislang nicht.
Geständnis ohne Wert
Drei Sonderkommissionen haben in den vergangenen 15 Jahren versucht, den Fall Peggy zu klären. Die erste glaubte am Ende an Täter aus dem familiären Umfeld, doch die Beweise fehlten. Der politische Druck stieg: Bayerns damaliger Innenminister Günther Beckstein setzte die Soko Peggy II ein. Es durfte nicht sein, dass im sichersten Bundesland der Republik am helllichten Tag ein Kind spurlos verschwindet.
Die zweite Soko erreichte ein Geständnis des geistig behinderten Ulvi K. Die Eltern des jungen Mannes betrieben die Sportgaststätte in der Nachbarschaft von Peggys Elternhaus. Peggys Mutter Susanne hatte der Polizei mitgeteilt, sie habe Ulvi K. im Verdacht.
Er gestand nach stundenlangen Vernehmungen, in denen teilweise das Aufnahmegerät defekt und sein Anwalt nicht zugegen war, Peggy verfolgt und erwürgt zu haben, um einen sexuellen Missbrauch an ihr zu vertuschen. Nur: Wo war die Leiche? Wie schaffte es ein Mann mit der Intelligenz eines siebenjährigen Kindes, eine Leiche spurlos verschwinden zu lassen? In einem Zeitfenster von nicht einmal zehn Minuten?
Die Fragen stellten sich nur Ulvi K.s Familie und seine Anwälte. Die Justiz verurteilte ihn wegen Mordes, obwohl er sein Geständnis, das einzige Beweismittel, widerrufen hatte. Ulvi K. kam 14 Jahre in die Psychiatrie, wegen Mordes und weil er Kindern in Lichtenberg öfter sein Geschlechtsteil gezeigt hatte.
Ermittlungen mit Bagger
Eine Bürgerinitiative und zwei Buchautoren deckten später auf, dass das Geständnis sehr stark einer Hypothese der Soko zum Tathergang ähnelte. Ulvi K. hatte also genau das ausgesagt, was die Beamten ihm zuvor zum Ablauf der Tat erzählt hatten. In einem neuen Prozess wurde Ulvi K. vom Mordvorwurf freigesprochen.
Nach dieser Blamage wurde der Fall Peggy der Staatsanwaltschaft Bayreuth übergeben, die eine neue Ermittlergruppe einsetzte. Sie deckte ein sehr merkwürdiges Umfeld rund um das Elternhaus in Lichtenberg auf. In einem benachbarten Gasthof soll sich regelmäßig eine Clique getroffen haben, die an Kinderpornografie interessiert war.
Auf der anderen Straßenseite wohnte ein Mann, der wegen sexuellen Missbrauchs kleiner Mädchen verurteilt worden war. Bei ihm ließen die Ermittler den Vorgarten ausschachten und baggerten sich zum Keller durch, wo Peggy Leiche vermutet wurde. Ohne Ergebnis.
Unter Verdacht war auch der pädophile Neffe eines Bewohners des Hauses, in dem Peggy lebte. Der Nachbar passte häufig auf Peggy auf, der Neffe war der Polizei schon 2001 aufgefallen. Seine Aussage, wo er zur Zeit von Peggys Verschwinden gewesen sei, erwies sich als falsch.
Der Neffe, ein Mann aus der Nähe von Halle, hatte engen Kontakt zu Peggy, schmuste mit ihr und trug ihr Bild um den Hals. Auf seinem Computer fand sich

Der Fall Peggy K.: Eine Neunjährige verschwindet
Kinderpornografie. Wegen sexuellen Missbrauchs seiner kleinen Tochter und einer Freundin von Peggy wurde der Neffe später zu einer Haftstrafe verurteilt. Den Mord an Peggy bestritt er vehement.
Nachbar unter Verdacht
Dann geriet der Onkel des Mannes, Peggys Nachbar, selbst ins Visier der Beamten. Der Mann will am Tag von Peggys Verschwinden mittags, als das Mädchen auf dem Weg zum Haus war, im Internet gesurft haben. Seine Frau schlief angeblich im Nebenzimmer. Auf dem Computer fand sich ebenfalls Kinderpornografie. Ob der Nachbar oder sein Neffe diese heruntergeladen hatte, ließ sich nicht klären.
Die Soko Peggy III ließ das Telefon des Nachbarn überwachen. Es fiel auf, dass der Mann ungefragt allen möglichen Bekannten auch Jahre nach dem Verschwinden stets erzählte, er habe mit dem Fall Peggy nichts zu tun. Die Überprüfung seines Computers ergab, dass die Tastatur in der Zeit, als Peggy nach Hause ging, lange Zeit nicht betätigt worden war. Bis heute gilt der Mann als Hauptverdächtiger, doch nachweisen konnte man ihm nichts.
Fakt sei, dass Peggy um 13.20 Uhr am 7. Mai 2001 zum letzten Mal gesehen worden sei, heißt es in einem Protokoll der Kripo Bayreuth. Der Nachbar sei "ziemlich brutal eng an Peggy dran" gewesen zu diesem Zeitpunkt. "Wie wahrscheinlich ist es, dass jetzt der große Unbekannte kommt und das Mädchen abcatcht?" Trotzdem wurden die Ermittlungen gegen den Nachbarn eingestellt.
Nun nimmt die Soko Peggy IV ihre Arbeit auf. Vielleicht weisen die Leichenteile den Ermittlern endlich die Spur zum Täter.