Polizei vs. Verfassungsschutz Jäger oder Sammler
Es gibt diesen Vermerk des Thüringer Landeskriminalamts, der eigentlich ein Offenbarungseid der Sicherheitsbehörden ist. Darin spekulierte ein Kriminalbeamter schon vor Jahren, ob die verdächtige Rechtsterroristin Beate Zschäpe nicht vielleicht für den Verfassungsschutz spioniert haben könnte - was der Geheimdienst bestreitet.
Unzweifelhaft scheint indes zu sein, dass auch im Fall der Döner-Mörder die Polizisten und Agenten keine Ahnung von dem Treiben der jeweils anderen Behörde hatten.
Und das ist weitaus häufiger der Fall als bekannt.
Ein westdeutscher Kriminalbeamter, eingesetzt in einer polizeilichen Staatsschutzstelle, beschreibt gegenüber SPIEGEL ONLINE die Realität solcher Überwachungsmaßnahmen: "Es gab Einsätze, da stand vor dem Haus der Zielperson ein Streifenwagen, in einer Wohnung gegenüber hockten ein Kollege und ich, in dem Apartment über uns das Landesamt für Verfassungsschutz, nebenan das Landeskriminalamt, und vielleicht waren auch noch das Bundeskriminalamt und das Bundesamt für Verfassungsschutz vor Ort?" Offiziell informiert hätten sich die jeweiligen Behörden nie über ihre Maßnahmen, die Beamten hätten sich eher zufällig kennengelernt: "Beim Schichtwechsel, im Treppenhaus."
Effizienz ist nicht unbedingt eine Maßgabe für Undercover-Amtshandlungen.
So verwundert es auch nicht, dass staatliche Stellen bei ihren Informanten in extremistischen oder schwerkriminellen Kreisen zuweilen den Durchblick verlieren, wer eigentlich auf wessen Gehaltsliste steht. Der SPIEGEL enthüllte vor einigen Jahren den Fall des brandenburgischen V-Mannes Christoph Lauge*. Angeworben in einem Getränkemarkt lebte der Neonazi schließlich in einer Männer-WG, die zum rechtsextremen " Big Brother"-Container geriet: Verfassungsschutz, Polizei und zwei Landeskriminalämter überwachten die Extremisten gleichzeitig.
"Denen geht der Quellenschutz über alles"
Irgendwann bekamen die Lauscher eines LKA sogar zu hören, wie der Verfassungsschützer "Max" seinen V-Mann Lauge vor einer bevorstehenden Polizeiaktion warnte. Plötzlich war klar, dass die Behörden nicht nur nebeneinander, sondern auch noch gegeneinander arbeiteten. Zumal sich die Geheimdienstler äußerst großzügig gezeigt haben sollen, wenn Lauge in Ausübung seiner nachrichtendienstlichen Nebentätigkeit szenetypische Straftaten beging. In solchen Fällen galt wohl der Grundsatz: "Das wollen wir gar nicht wissen."

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Ein erfahrener V-Mann-Führer eines anderen Landeskriminalamts bringt das Spannungsverhältnis zwischen Polizei und Verfassungsschutz auf eine einfache Formel: "Wir sind Jäger, die sind Sammler." Während es den Kriminalisten darum gehe, eine konkrete Gefahr abzuwehren oder eine einzelne Straftat aufzuklären, wollten die Geheimdienstler in erster Linie zuverlässige Informationen beschaffen. Nur im äußersten Notfall schalteten sie die Polizei ein: "Denen geht der Quellenschutz über alles."
Ein Verfassungsschützer verteidigt sich: "Ein Nachrichtendienst, der das seinen Quellen gegebene Versprechen, niemandem deren Identitäten zu verraten, nicht halten kann, wäre in kürzester Zeit im nationalen und im internationalen Bereich arbeitsunfähig." Der Experte erinnert an das Schicksal des Berliner Studenten Ulrich Schmücker. Er wurde in den siebziger Jahren als V-Mann in der linken Terrorszene eingesetzt und aus ungeklärten Gründen enttarnt. Seine Genossen ermordeten ihn.
Der Verfassungsschutz Thüringen zahlte einem V-Mann 200.000 D-Mark
Besonders problematisch wird das zuweilen unkoordinierte Nebeneinander von Polizeidienststellen und Inlandsgeheimdiensten meist, wenn es um V-Leute geht. Steht das V eigentlich für Vertrauen, witzeln Kriminalbeamte nicht ganz zu Unrecht, es sei im Grunde die Abkürzung für Verbrecher. "Die Leute, mit denen wir es hier zu tun haben, sind keine Theologiestudenten", sagt der Ermittler, und das bedeutet: Spitzel werden wieder Straftaten begehen. Straftaten, denen die Polizei nachgehen muss und die sie aufklären soll. In der Theorie.
In der Praxis ...
- ... verantwortete der thüringische Verfassungsschutz V-Mann Tino B. Nazi-Pamphlete,
- ... stellte der Lübecker V-Mann Bastian T. auf einem Friedhof eine überdimensionale Hitler-Gedenktafel auf,
- ... gründete der Spitzel Mirko H. in Hessen einen Nazi-Musikvertrieb.
Die Behörden billigten das. Ihnen war die weiter sprudelnde Informationsquelle wichtiger als eine aufgeklärte Straftat. Also liefen die Ermittlungen ins Leere.
Hinzu kommt, dass V-Leute nur in den seltensten Fällen aus edlen Motiven handeln. Meistens bekommen sie Geld für ihre Dienste, was den Umgang mit ihren Informationen nicht unbedingt erleichtert. Tino B. etwa, dem früheren Kopf des "Thüringer Heimatschutzes", zu dem zeitweilig auch die mutmaßlichen Rechtsterroristen Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe gehört hatten, soll der Verfassungsschutz insgesamt 200.000 D-Mark gezahlt haben. Vor seinen Gesinnungsgenossen warnte er das Amt wohl trotzdem nicht.
Zudem sieht das höchste deutsche Gericht den Einsatz von V-Leuten sehr kritisch. Vor acht Jahren erlebte der Rechtsstaat ein Debakel, als er in Karlsruhe mit seinem Verbotsantrag gegen die NPD scheiterte. Der Grund: Die Verfassungsschützer hatten dem Verfassungsgericht verschwiegen, dass viele ihrer Spitzel in den Führungsgremien der Partei tätig waren. Später kam heraus, dass jeder siebte Top-Funktionär auch für die bundesdeutschen Geheimdienste gearbeitet hatte.
Und in Nordrhein-Westfalen, sicher ist sicher, dienten vor geraumer Zeit sowohl der NPD-Landesvorsitzende als auch sein Stellvertreter dem Staat: Der eine spionierte für das Bundesamt, der andere war dem Landesamt für Verfassungsschutz behilflich. Letzterer allerdings bekam für seine Auskünfte gerade einmal 800 D-Mark im Monat. Immerhin war er als V-Mann günstig, wenn auch vielleicht überflüssig.