
Polizistenmorde in NRW: Der Fall Berger
Polizistenmorde in NRW Der ewige Verdacht
Die Rede des nordrhein-westfälischen Innenministers war erwartbar und fast frei von Überraschungen: Bislang gebe es keine Erkenntnisse, dass es Verbindungen zwischen der Neonazi-Szene an Rhein und Ruhr und der Zwickauer Terrorzelle gebe, sprach Ralf Jäger im Landtag. Die Überprüfungen dauerten an. Es folgten die üblichen Versatzstücke solcher Vorträge: "klare Antworten", "größte mögliche Transparenz", "auf keinem Auge blind sein" - so weit, so fade.
Doch Jäger streifte in seinen Ausführungen ein Thema, das hohe Sicherheitskreise vorübergehend durchaus in Erstaunen versetzte. Der SPD-Politiker aus Duisburg, der kurz vor der Love-Parade-Katastrophe in seiner Heimatstadt ins Amt gekommen war, erwähnte en passant einen elf Jahre alten Kriminalfall aus dem Ruhrgebiet, mit dem die Behörden eigentlich schon abgeschlossen zu haben schienen: den des dreifachen Polizistenmörders Michael Berger nämlich.
Am 14. Juni 2000 tötete der 31-Jährige in Dortmund den Polizisten Thomas G. Der Beamte und seine Kollegin, der ins Bein geschossen wurde, hatten den Wagen angehalten, weil Berger nicht angeschnallt war. Der Schütze flüchtete zunächst. Bei Waltrop ermordete er kurz darauf die Beamten Ivonne H. und Matthias L., die ihn zu stoppen versucht hatten. Später richtete er sich selbst.
Die Fragen, die sich die Öffentlichkeit damals stellte, lauteten: War Berger verrückt, nur verrückt? Freunde berichteten, er sei ein Polizeihasser gewesen - weil seine Ex-Freundin offenbar vor ihm mit einem Beamten liiert war. Oder tötete der Mann, weil er seine Enttarnung fürchtete?
Fest steht: Jetzt soll sich das Landeskriminalamt den Fall noch einmal vornehmen. Dabei wird es auch mögliche Bezüge zu der sogenannten Zwickauer Zelle gehen.
Die Gerüchte leben wieder auf, Berger sei ein V-Mann gewesen
Der Polizistenmörder Berger war früher nicht nur Mitglied bei den rechtsextremistischen Republikanern und der Deutschen Volksunion, die gerade in Dortmund besonders großen Zulauf hat. Er sympathisierte auch stark mit der NPD - und war bei Nadis gespeichert, dem Informationssystem der Verfassungsschützer.
In der einschlägigen Ruhrgebietsszene wurde kolportiert, Berger sei ein Polizeispitzel gewesen - weil der Staatsschutz von seiner Waffensammlung gewusst habe, ohne einzuschreiten. Ein Sprecher des nordrhein-westfälischen Innenministeriums sagte dem SPIEGEL seinerzeit: "Berger war kein V-Mann."
Doch inzwischen leben die Gerüchte wieder auf. Die Duisburger Abgeordnete der Linkspartei, Anna Conrads, sagte im Landtag: "Mysteriös bleibt bis heute die Rolle von Michael Berger." Der sei ein "mutmaßlicher V-Mann" gewesen und solle Bekannten gegenüber erklärt haben, er halte es nicht mehr aus, für den Geheimdienst zu arbeiten. Der Dortmunder Radiosender 91,2 meldete gar, seine Recherchen im Milieu und in Behördenkreisen hätten ergeben, dass Berger "ein bezahlter V-Mann des Verfassungsschutzes war".
Ein Sprecher des Innenministeriums in Düsseldorf wies diese Darstellungen auf Anfrage jedoch zurück und stellte eine Gegenfrage: "Glauben Sie ernsthaft, das wäre dann nicht schon längst öffentlich geworden?"
Den Dauerverdacht indes nährt auch der Umstand, dass ein enger Vertrauter des Polizistenmörders sich seinerzeit als Spitzel verpflichtet hatte. Der Dortmunder Sebastian S. belieferte nach Erkenntnissen der Ermittlungsbehörden bereits vor Jahren die Nazi-Szene seiner Heimatstadt mit Drogen und Waffen. Außerdem pflegte er Kontakte zum Neonazi-Netzwerk Blood and Honour.
Ein Verfahren vor dem Landgericht ergab im Sommer 2007 dann eher zufällig, dass der Gastronom S. sich zudem als Informant des Innenministeriums verdingt hatte. Zeitweilig bestand sogar der Verdacht, der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz habe seinen V-Mann vor Maßnahmen der Polizei gewarnt. Doch ein Ermittlungsverfahren dazu verlief im Sande.
"An der These vom braunen Terrorismus ist was dran"
Michael Berger jedenfalls mag sich im Sommer 2000 vorgekommen sein wie ein Kämpfer. Sein Arsenal bestand aus Totschlägern, einer Splitterhandgranate, Jagdgewehren, Revolvern - und einer ungarischen Pistole. Schießen hatte er als Panzergrenadier bei der Bundeswehr gelernt. Nach seiner Entlassung jobbte er als Taxifahrer und Vertreter für Feuerlöscher. Zuletzt arbeitete er in einem Autohaus. Doch er ließ sich krankschreiben - wegen Depressionen: "Ich habe keinen Bock mehr", sagte er Kollegen. "Mir ist das alles zu viel."
Auf einer Party seiner Anwältin, bei der er plötzlich auftauchte, fiel Berger, der 1,91-Meter-Mann, den Gästen auf: Er trug einen Ring mit Hakenkreuz. Bei anderer Gelegenheit hatte er sich in die Haare des Hinterkopfs zwei Achten einrasieren lassen - das Geheimsymbol der Neonazis. Die Acht steht für den achten Buchstaben im Alphabet, das H. 88 heißt: "Heil Hitler". Berger erzählte von der Dortmunder Kneipe Schützeneck, einem bekannten, mittlerweile geschlossenen Treff Rechtsradikaler. Sein "bester Freund", berichtete er, sei "der SS-Siggi".
SS-Siggi, das ist Siegfried B., einst Chef der "Borussen-Front", die in den achtziger Jahren Ausländer durch Dortmund jagte. Bei der Fußball-Europameisterschaft vor 16 Jahren war der frühere Adlatus des Extremistenführers Michael Kühnen Anführer der deutschen Gewalttäter, die zum "Frankreich-Überfall" aufriefen - er galt den Hooligans unter den Neonazis lange Zeit als Idol.
"An der These vom braunen Terrorismus", sagte dem SPIEGEL seinerzeit Bernd Wagner, in Berlin Leiter des Zentrums Demokratische Kultur und früher Staatsschützer, sei "was dran". Der diplomierte Kriminalist, der Postillen und Internetseiten rechter Gruppen auswertet, warnte sogar ausdrücklich: "Da klumpt sich was zusammen." Viele Rechte, so Wagner vor elf Jahren, dächten über terroristische Kampfformen nach: "Die Militanz ist groß."
Keine drei Monate später wurde in Nürnberg der Blumenhändler Enver S. erschossen. Es scheint der erste Mord des Trios Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe gewesen zu sein.