Urteil gegen rechtsextreme Heilpraktikerin »Ein Anschlag stand unmittelbar bevor«

Angeklagte: Heilpraktikerin Susanne G. vor Gericht (Archiv)
Foto: Sven Hoppe / dpaDieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
Der Senat lässt keinen Zweifel daran, für wie gefährlich er Susanne G. hält. Als die Heilpraktikerin aus Franken im September 2020 festgenommen wurde, hatte sie in ihrem Auto alles, was sie für eine Brandbombe benötigte: Benzin, Plastikflaschen, Feuerwerkskörper, Klebeband. Die Bauteile einer Bombe habe Susanne G. »griffbereit« bei sich gehabt, als sie ihr Haus in Leinburg nahe Nürnberg verließ und untergetaucht war. Das Wort »griffbereit« wiederholt der Vorsitzende Richter Michael Höhne mehrfach.
»Ein Anschlag stand unmittelbar bevor« – davon ist der Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts München überzeugt. »Wäre kein polizeilicher Zugriff erfolgt, würden wir heute nicht über die Vorbereitung eines Anschlags, sondern über dessen fatale Folgen urteilen«, sagt der Richter.
Nur aufgrund der rechtzeitigen Festnahme von Susanne G. sei zu den rechtsextremen Anschlägen in Halle, Hanau und Kassel keine weitere Terrortat hinzugekommen.
Der Senat verurteilt Susanne G. am Freitag wegen Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat, Bedrohung und weiterer Delikte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und ordnet Führungsaufsicht an. Die Richterin und Richter folgen damit der Forderung der Bundesanwaltschaft. Die Vertreter der Nebenklage hatten eine Freiheitsstrafe von acht Jahren beantragt. Die Verteidigung hatte gefordert, Susanne G. von den Vorwürfen der Vorbereitung einer Terrortat und der Bedrohung freizusprechen. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.
»Eintätowiert für die Ewigkeit«
»›Staatsfeind‹ – dieses Wort ziert das Dekolleté der Angeklagten«, sagt Richter Höhne gleich zu Beginn der Urteilsverkündung, »eintätowiert für die Ewigkeit«. Susanne G. trägt weitere Tattoos, die keinen Zweifel an ihrer Gesinnung lassen. Darunter ein Hakenkreuz, den SS-Spruch »Meine Ehre heißt Treue« und die Zahl 88, ein Nazicode für »Heil Hitler«. Der Richter erinnert auch an Susanne G.s Schlafzimmer. Die 55 Jahre alte Heilpraktikerin schlief unter einer riesigen Hakenkreuzfahne.
Wann genau Susanne G. beschloss, ihrer Gesinnung Straftaten folgen zu lassen, habe die Beweisaufnahme nicht klären können. Nach Überzeugung des Senats schritt sie ab Dezember 2019 zur Tat. Das Gericht hat keinen Zweifel daran, dass sie es war, die Drohschreiben an den Landrat im Landkreis Nürnberger Land, an einen Bürgermeister, eine türkisch-islamische Gemeinde und einen Flüchtlingshilfeverein schickte.
Auf der Beileidskarte, die Landrat Armin Kroder erhielt, war sein Geburtsdatum und statt eines Todesdatums ein Fragezeichen vermerkt. Dazu die Todesankündigung: »Erschossen auf der Terrasse des Kroder-Hofs« Es war damals gerade ein halbes Jahr her, dass ein Neonazi den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke auf seiner Terrasse erschossen hatte. Später bekam Landrat Kroder eine weitere Drohkarte: »Letzte Warnung«. Diesmal lag eine scharfe Patrone im Umschlag.
Im März 2020 wurde das Haus von Susanne G. durchsucht. Sie blieb auf freiem Fuß. Im Mai 2020 kaufte sie nach Überzeugung des Gerichts ein einschlägiges Buch. Darin findet sich die Anleitung zum Bau einer sogenannten Benzinhandbombe. Der Richter liest Auszüge vor. Es sind exakt die Dinge, die sich im September 2020 in Susanne G.s Auto fanden. Dass die Bombe funktionsfähig und potenziell tödlich gewesen wäre, hatte ein Sachverständiger im Prozess erklärt.
Über Monate habe sie mögliche Opfer ausgespäht
»Der Senat hat keinerlei Zweifel an der Täterschaft der Angeklagten«, sagt der Richter. Die Angeklagte sei fest entschlossen gewesen, mit dem Brandsatz einen Anschlag auf Politiker, Polizisten oder Muslime zu verüben. Auf ihrem Handy fanden sich Fotos von dem Hof des Landrates und weitere Bilder, die das Gericht als Ausspähungen von Polizisten und der muslimischen Gemeinde wertet. Auf ihrem Handy hatte sie auch das Video des Anschlags im neuseeländischen Christchurch und ein Pamphlet des rechtsextremen Attentäters, der im März 2019 in zwei Moscheen 51 Muslime getötet hat.
Susanne G. hat die Vorwürfe vor Gericht bestritten. Ihre Erklärung für die Dinge in ihrem Auto nennt der Richter »gerade abenteuerlich«. Mit dem Benzin habe sie ihr Motorrad betanken und die leeren Flaschen einfach gegen Pfand zurückbringen wollen. Und die Feuerwerkskörper seien wohl von Silvester übrig geblieben. Eine Bombe habe sie jedenfalls nicht bauen wollen.
Der Senat sieht das anders. »Die Angeklagte war fest entschlossen, einen Anschlag mit tödlichen Folgen für die Opfer zu begehen.« Über Monate habe sie mögliche Opfer ausgespäht. Auch ihr Untertauchen habe sie gewissenhaft vorbereitet.
Trotz NSU-Vertrauten – Senat hält Susanne G. für eine Einzeltäterin
Susanne G. sei »tief integriert in die rechte Szene«. Dennoch habe sich – »trotz umfangreicher Beweisaufnahme« – »kein einziger tatsachenfundierter Anhaltspunkt« ergeben, dass Susanne G. Helfer oder Unterstützer gehabt oder andere über ihre Pläne informiert habe. Der Richter meint Ralf Wohlleben und André E. Die Namen der beiden NSU-Vertrauten spricht er nicht aus.
E. und Wohlleben sind mit Susanne G. gut bekannt. Vernommen wurden sie in dieser Sache nie. Weder von der Polizei noch vor Gericht. Ihre Anwälte hatten ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht geltend gemacht.
Wohlleben und E. müssen sich nicht selbst der Gefahr einer Strafverfolgung aussetzen. Sie dürfen schweigen.
Für den Senat ist Susanne G. eine Einzeltäterin, die den Attentätern von Hanau, Halle, München, Christchurch und Utøya nacheifern wollte. Das Gericht ist überzeugt, dass auch Susanne G. töten wollte.