Prozess um Gold-Diebstahl Räuber als Gendarm

Rapper Xatar mit Begleitung bei einer Kinopremiere in Essen: "Ich will Geld"
Foto: Ralph Orlowski/ Getty ImagesHamburg - Der Stiernacken quillt über den Kragen seines schwarzen Hemdes, die wuchtigen Oberarme sind in einen schwarzen Anzug gezwängt. So erscheint Giwar H. am Mittwoch vor dem Landgericht Stuttgart - angeklagt wegen schweren Raubes. Gemeinsam mit vier anderen soll der 28-Jährige einen Transporter in eine Falle gelockt und rund 120 Kilogramm Schmuck und Zahngold erbeutet haben. Es ist eines der spektakulärsten Raubdelikte der vergangenen Jahre, die Beute im Wert von 1,8 Millionen Euro ist verschwunden.
Doch der Prozess gegen die 22 bis 28 Jahre alten Männer aus Bonn endete am ersten Verhandlungstag bereits nach 40 Minuten - die Verteidiger von drei der fünf Angeklagten beantragen die Einstellung des Verfahrens "wegen angeblichen Vorliegens eines Verfahrenshindernisses".
Und das bei einem Coup, der Stoff fürs große Kino liefert: Ein als Polizeiwagen getarnter BMW mit Blaulicht überholt am 15. Dezember 2009 gegen zehn Uhr morgens auf der A 81 zwischen den Anschlussstellen Pleidelsheim und Mundelsheim den Mercedes-Transporter einer Nürnberger Schmuckfirma, einem der größten Goldhändler in Deutschland.
Die Leuchtschrift am Heckfenster der vermeintlichen Zivilstreife befiehlt: "Bitte folgen". Der Fahrer lenkt den Lieferwagen bis zur Autobahnbrücke nahe der Ausfahrt Ludwigsburg-Nord und hält an.
Drei Männer in grüner Uniform und schwarzen Polizeiwesten steigen aus dem BMW, geben sich als Steuerfahnder aus. Es gehe um den Verdacht der Steuerhinterziehung, der Mercedes-Sprinter müsse beschlagnahmt werden. Die angeblichen Zivilbeamten fesseln den Fahrer und seinen Beifahrer mit Handschellen, setzen sie in den BMW und fahren sie zu einem Waldstück bei Oedheim. Der dritte Mann folgt mit dem Goldtransporter.
Weder der Transporter noch das Gold sind versichert
Dort nehmen sie den Gefesselten ihre Portemonnaies mit Bargeld in Höhe von insgesamt 3200 Euro ab und fahren mit Blaulicht davon. Ihren Opfern gelingt es, zur nahe gelegenen Straße zu laufen und ein Auto anzuhalten, dessen Besitzer die Polizei alarmiert.
Bei einem der Opfer handelt es sich um den Schwiegersohn des Nürnberger Goldhändlers. Die Lieferung sollte in die Metallscheideanstalt nach Pforzheim. Weder der Transporter noch die Ware waren versichert.
Die Bande verschwindet mit der Beute.
Wenige Wochen später bekommen die Fahnder einen Tipp: Bei den drei Tätern soll es sich um einen 26 Jahre alten Studenten der Wirtschaftsmathematik, einen 22-jährigen Türken und den 28 Jahre alten Giwar H., handeln. Sie alle wohnen in Bonn. Giwar H. ist auch bekannt als Gangster-Rapper Xatar, Gründer des Labels "Alles oder Nix Records" und eine Größe in der Bonner Türsteherszene. Sein erstes Album landete auf dem Index. In seinem Stadtteil am Brüser Berg genießt er Kultstatus. Laut Polizei wird er von den Teenagern dort verehrt und glorifiziert. "Viele eifern ihm nach", sagt ein Polizeibeamter. "Leider in jeder Hinsicht."
Giwar H., als Sohn einer kurdischen Familie in Iran geboren, gilt als Drahtzieher des Coups. Seine Kontakte reichen weit. Schnell bekommt er Wind davon, dass er verpfiffen wurde. Nachdem ein Mitwisser festgenommen wurde, setzt sich der Rapper mit seinen beiden Komplizen in den kurdisch dominierten Norden des Iraks ab.
Es dauert, bis deutsche Zivilfahnder den drei Flüchtigen auf die Spur kommen. Zwischendrin verschickt Xatar großmäulig Botschaften übers Internet.
Wurden die Gefangenen vom kurdischen Geheimdienst gefoltert?
Am 25. Februar werden der Bonner Musiker und die beiden anderen vom irakischen Geheimdienst geschnappt. Bis Mai sitzen die drei mutmaßlichen Goldräuber in einem Gefängnis in Erbil, der Hauptstadt des kurdischen Autonomiegebiets, bis sie nach Deutschland gebracht werden.
"Nachdem die Ermittler von den deutschen Behörden erfahren hatten, dass die Männer wegen Raubes gesucht werden, wurden sie gefoltert und massiv unter Druck gesetzt", sagt Xatars Verteidiger, Rechtsanwalt Joachim Bremer aus Frankfurt am Main.
Dieser Umstand wurde an diesem ersten Verhandlungstag also geltend gemacht - die deutschen Ermittler hätten die Folter "in Kauf genommen", ein klarer Grund für drei der fünf Verteidiger, die Einstellung des Verfahrens zu beantragen.
Der kurdische Geheimdienst Asaisch habe versucht, mit Gewalt den Aufbewahrungsort der Beute zu erpressen und bei Kooperation die Entlassung in Aussicht gestellt. Doch die drei Festgenommen nannten den Ort nicht. "Ob sie es nicht konnten oder wollten, weiß ich nicht", so Bremer.
Sein Mandant und die beiden anderen Angeklagten mussten sich laut Bremer sechs Quadratmeter große Zellen mit mehr als 30 anderen Gefangenen teilen. "Geschlafen wurde in Etappen, weil es so eng war."
Verhöre seien unter Gewaltanwendung und Folter geführt worden. Xatar und die anderen hätten durch Elektroschocks und erhitzte Metallplatten sichtbare Verbrennungen und Knochenbrüche davongetragen. Stundenlang hätten die Gefangenen in bestimmten Sitzpositionen verharren müssen: In der Hocke, den Kopf nach unten gesenkt, damit das Blut in den Kopf läuft und ein unerträglicher Druck erzeugt wird. Wer sich dann bewegt habe, sei mit dem Gewehrkolben blutig geschlagen worden.
Mit einem Sonderflugzeug nach Deutschland, Sack über dem Kopf
Eine andere Foltermethode sei gewesen, den Kopf der Gefangenen in Behälter zu stecken, die mit Wasser und Eiswürfeln gefüllt waren, die Hände seien dabei gefesselt gewesen. Manchmal seien die Häftlinge an einen Kran gehängt worden.
Die deutschen Ermittler hätten die Gewaltexzesse durch die Zusammenarbeit mit "den Folterknechten" in Kauf genommen. Die deutschen Behörden sollen durch die Erwähnung der mutmaßlichen Höhe der Beute die Tortur regelrecht heraufbeschworen haben.
Die Verteidiger kritisieren auch eine unrechtmäßige "kontrollierte Abschiebung" nach Deutschland. Rechtsanwalt Bremer spricht nicht von Auslieferung, sondern von "Entführung". Es handle sich um einen klaren Verstoß gegen die Menschenrechtskonventionen.
Mit einem Sonderflugzeug hätten neun SEK-Beamte die drei Gefangenen aus der Haft geholt. Jedem sei ein Sack über den Kopf gezogen worden.
Der Staatsanwalt erwiderte, dass Haft im Irak bekanntermaßen nicht deutschen Standards entspreche. Die Zeit in diesem Gefängnis müsse natürlich bei der Strafbemessung entsprechend berücksichtigt werden. "Dies ist aber nicht zwingend ein Verfahrenshindernis", betonte er.
"Freiheit oder Knast - entscheide dich!"
Die Idee für den Raub soll von Donald S. stammen, ein 13-fach vorbestrafter, durch TV-Auftritte bekannter Verbrecher aus Nürnberg. Der 52-Jährige saß in den neunziger Jahren acht Jahre wegen Bankraubs und Geiselnahme in Haft - allerdings tatsächlich unschuldig, weil ein Gutachter ihn fälschlicherweise als Täter identifiziert hatte.
Der 200-Kilo-Mann soll sich im Fall des Goldraubs das Vertrauen des Nürnberger Schmuckhändlers und dessen Mitarbeitern erschlichen und sie über die Gepflogenheiten des Transports ausgehorcht haben. Das Verfahren gegen ihn wurde jedoch abgetrennt - S. leidet an zwei Gehirntumoren. Der Haftbefehl gegen ihn wurde außer Vollzug gesetzt, er gilt als verhandlungsunfähig.
Xatars Karriere scheint der Prozess eher förderlich zu sein: Das Video zu seinem Song "Paragraph 31" erfreut sich im Internet vieler Zuschauer. Der Text des Liedes dreht sich um den Kronzeugenparagrafen und scheint wie für den Kriminalfall geschrieben. Der Rapper singt: "Ich will Geld" und "Freiheit oder Knast - entscheide dich!"
Für das Musikvideo hatte Xatar im Jahr 2007 mit Genehmigung im Kölner Oberlandesgericht drehen dürfen. Neben Giwar H. tritt darin auch einer der anderen Angeklagten und einer der Verteidiger auf. Einem Polizisten wird im Film die Uniform abgenommen, Xatar in den Gerichtssaal gezerrt.
Die Jungs vom Bonner Brüser Berg scheinen ihre Erfahrungen in dem Musikvideo verarbeitet zu haben: Die Angeklagten sind überwiegend vorbestraft, teilweise einschlägig. Gegen den 26-Jährigen, welcher laut Staatsanwaltschaft bei der Planung des Goldraubs beteiligt gewesen sein soll, besteht ein internationaler Haftbefehl wegen mehrfachen Betrugs. Er soll rund 25.000 Uhren im Internet verkauft und einen Gesamtschaden von ca. 1,2 Millionen Euro verursacht haben.
Nur einer der Angeschuldigten hat sich bisher zur Tat geäußert. Alle anderen halten sich bislang an die Maxime, die Xatar bereits in seinem Lied "Paragraph 31" vorgegeben hat und die für den aktuellen Prozess nicht passender lauten könnte: "Schweigen ist Gold".