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Prozess um toten Ouri Jallow Vier Rätsel für die Richter

Hätte Ouri Jallow gerettet werden können? Der mysteriöse Todesfall des Asylbewerbers in einer Dessauer Polizeizelle wird jetzt noch einmal aufgerollt. Der Bundesgerichtshof hat Zweifel am bisher geschilderten Tathergang - und deckt eklatante Ungereimtheiten auf.
Von Christian Rath

Ein Mensch verbrennt im Polizeigewahrsam. Gefesselt an Händen und Füßen soll der betrunkene Asylbewerber Ouri Jallow seine eigentlich nicht entflammbare Matratze aufgerissen und angezündet haben. Dass die Öffentlichkeit und die Justiz in einem solchen geradezu unglaublichen Fall besonders genau hinsehen, versteht sich von selbst. Zurecht hat der Bundesgerichtshof (BGH) jetzt den Freispruch für den diensthabenden Polizisten Andreas S. aufgehoben und eine neue Verhandlung anberaumt. Zu groß waren die Widersprüche in den Ermittlungen.

Der 4. Strafsenat des BGH hatte in diesem Fall weniger Rechtsfragen zu klären, als sich vielmehr mit den Gesetzen der Logik zu beschäftigen. Sehr präzise überprüfte er die Annahmen des Landgerichts Dessau, die zum Freispruch des Polizisten geführt hatten und stieß dabei immer wieder auf Lücken und Unglaubwürdigkeiten.

Angeklagt war S. weil er den Alarm des Rauchmelders zunächst ignoriert hatte und erst später nach Ouri Jallow schaute. Das Landgericht sah darin jedoch keine Pflichtwidrigkeit, weil es schon häufiger Fehlalarme gegeben hatte. Außerdem nahmen die Dessauer Richter an, dass Jallow auch dann nicht mehr zu retten gewesen wäre, wenn S. sofort geholfen hätte.

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Der Fall Ouri Jallow: Tauziehen vor Gericht

Foto: Peter Endig/ picture-alliance/ dpa

Der BGH befand nun aber, dass bei einem Rauchmelderalarm sofort reagiert werden muss - vor allem, wenn ein gefesselter und hilfloser Mann in der Zelle liegt. S. habe eindeutig pflichtwidrig gehandelt.

Nun muss in einem neuen Prozess festgestellt werden, ob Ouri Jallow vielleicht doch hätte gerettet werden können, wenn der Beamte S. früher reagiert hätte. Vier wesentliche Punkte sind zu klären:

  • Der Rauchmelder der Zelle wird noch einmal zu untersuchen sein. Die Dessauer Richter gingen nämlich davon aus, dass der Alarm erst nach Ausbrechen des Feuers ausgelöst wurde. Möglicherweise, so der BGH, reagierte das Gerät aber schon deutlich früher, als Jallow die Matratze angekokelt haben soll.
  • Außerdem fragten sich die Karlsruher Richter, ob ein Mensch bei Ausbrechen eines Feuers nicht notgedrungen schreie und Polizist S. vielleicht schon deshalb früher auf die Notlage hätte aufmerksam werden können.
  • Schließlich zweifelte der Senat an der Aussage der Hauptzeugin, einer Polizistin, dass S. nach dem Alarm des Rauchmelders nur etwa zehn Sekunden mit Telefonaten beschäftigt war, bevor er sich auf den Weg in den Zellentrakt im Keller machte. Hier müsse das Aussageverhalten der Zeugin noch einmal überprüft werden, die zunächst von einer deutlich längeren Verzögerung gesprochen hatte - und dann möglicherweise unter dem Gruppendruck ihrer Kollegen die Darstellung veränderte.
  • Die grundsätzlichste Frage des BGH betrifft aber den Ablauf des Geschehens. Kann es wirklich sein, dass Ouri Jallow seine Matratze selbst angezündet hat? Zwar sei in Versuchen nachgewiesen worden, dass der gefesselte Mann ein Feuerzeug aus seiner Hosentasche hätte herausholen können. Auch das stufenweise Inbrandsetzen der Matratze sei ausprobiert worden. Eine wesentliche Lücke in der Beweisführung sah der BGH jedoch darin, dass nicht untersucht worden sei, ob Jallow die Matratze auch entzünden konnte, obwohl er mit der Hand an der Zellenwand fixiert war.

Freunde des verbrannten Asylbewerbers glauben, dass Jallow von rassistischen Polizisten angezündet wurde. Das hält der BGH aber zu Recht für unwahrscheinlich. Es ist wahrscheinlicher, dass der Schwerbetrunkene in seiner Zelle zündelte, um auf sich aufmerksam zu machen, und ihm dann das Geschehen außer Kontrolle geriet.

So stringent der BGH nun die Lücken in der bisherigen Beweisführung aufdeckte, so konsequent umschiffte er auch das heikle Thema Rassismus. Dabei könnte dies der Schlüssel zum Verständnis für die Lässigkeit sein, mit der Polizist S. den Rauchmelder aus der Gewahrsamszelle erst einmal ignorierte. Das Leben des gefesselten Afrikaners schien ihm vielleicht nicht vorrangig?

"Alles klar. Schönes Wochenende"

Welch zynischer Ton auf der Dessauer Wache an diesem Tag herrschte, hat später ein Mitschnitt enthüllt. Als gerade die Rettungsdienste alarmiert wurden, entspann sich folgender Dialog: "Hat er sich aufgehangen, oder was?" - "Nee, da brennt's" - "Wieso?" - "Weiß ich nicht, die sind da runtergekommen, da war alles voller schwarzer Qualm." - "Ja, ich hätte fast gesagt: 'Gut. Alles klar, schönes Wochenende, ciao ciao!'"

Doch trotz dieser Auslassung in der Argumentation des BGH überwog bei den Freunden von Ouri Jallow jetzt die Freude über das Karlsruher Urteil. Endlich, so ihr Gefühl, geht jemand dem Flammentod mit der gebotenen Hartnäckigkeit nach.

Allerdings warnte die Vorsitzende Richterin Ingeborg Tepperwien auch vor übertriebenen Hoffnungen. "Der Ausgang der neuen Hauptverhandlung ist völlig offen." Sollte sich das Geschehen nicht mehr aufklären lassen, gelte der Grundsatz "Im Zweifel für den Angeklagten".

Auch die Tatsache, dass S. und die anderen Polizisten der Dessauer Wache bisher wenig zur Wahrheitsfindung beigetragen haben, ändere daran nichts. "Ein rechtsstaatliche Prozess ist auch dann möglich, wenn Angeklagte und Zeugen lügen, das ist das tägliche Brot des Strafrichters", so Tepperwien.

(Az.: Bundesgerichtshof 4 StR 413/09, Landgericht Dessau Roßlau 6 Ks 4/05)

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