Prozessbeginn wegen Völkermords Mutmaßlicher IS-Terrorist schweigt vor Gericht

Ein fünfjähriges Mädchen verdurstete angekettet in der Gluthitze von Falludscha: Gemeinsam mit seiner deutschen Frau soll der Iraker Taha A. dieses Verbrechen begangen haben. Nun steht er in Deutschland vor Gericht.
Aus Frankfurt am Main berichtet Wiebke Ramm

Es ist ein historischer Moment, als die Vertreterin des Generalbundesanwalts am Freitag um 10.07 Uhr damit beginnt, vor dem 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt die Anklage gegen Taha A. zu verlesen. Der Iraker soll Mitglied der Terrormiliz IS gewesen sein. Er ist wegen Völkermordes an der religiösen Minderheit der Jesidinnen und Jesiden, wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, wegen Kriegsverbrechen und Menschenhandel angeklagt. Es ist das erste Mal, dass sich ein mutmaßlicher IS-Terrorist wegen Völkermordes vor Gericht verantworten muss. Ein einfacher Prozess wird es nicht.

Taha A. wurde im August 1992 im irakischen Falludscha geboren. Mit Aktenordner und Atemschutzmaske vor dem Gesicht betritt er gegen 10 Uhr den Saal. Als die Kameraleute und Fotografen verschwunden sind, bittet der Vorsitzende Richter Thomas Sagebiel den Angeklagten, seine Schutzmaske abzunehmen. Die Zuhörerinnen und Zuhörer wiederum werden ermahnt, ihre Masken ordentlich vor Mund und Nase zu tragen.

Dann beginnt Oberstaatsanwältin Anna Zabeck die Anklage vorzutragen.

Taha A. soll sich spätestens im März 2013 dem IS angeschlossen haben. Ab 2015 soll er ein Büro für "schariagemäße Geisteraustreibung" im syrischen Rakka geleitet und derartige Geisteraustreibungen in einem Frauenhaus des IS durchgeführt haben. In diesem Haus soll der Angeklagte auch Jennifer W. aus dem niedersächsischen Lohne kennengelernt haben. 2014 soll sie nach Syrien gereist sein und sich dem IS angeschlossen haben. Jennifer W. und Taha A. sollen im Frühjahr 2015 nach islamischem Recht geheiratet haben und von Rakka nach Falludscha gezogen sein.

Seine Frau Jennifer W. steht in München vor Gericht

Auch Jennifer W., 28, muss sich derzeit vor Gericht verantworten. Vor dem Oberlandesgericht München ist sie unter anderem wegen IS-Mitgliedschaft, wegen Verstoßes gegen das Kriegswaffengesetz und wegen Mordes angeklagt. Die Bundesanwaltschaft wirft sowohl ihr als auch ihrem Mann Taha A. vor, eine nach humanitärem Völkerrecht zu schützende Person "grausam und aus niedrigen Beweggründen" getötet zu haben. Laut Anklage sollen Jennifer W. und Taha A. ein jesidisches Mädchen ermordet haben, das sie als ihre Sklavin hielten. Das Kind soll fünf Jahre alt gewesen sein. Taha A. und Jennifer W. drohen lebenslange Freiheitsstrafen.

Jennifer W. an einem Prozesstag in München im Sommer 2019

Jennifer W. an einem Prozesstag in München im Sommer 2019

Foto: Peter Kneffel/ DPA

Nach Überzeugung des Generalbundesanwalts soll Taha A. im Mai oder Juni 2015 das Kind und dessen Mutter auf einem Sklavenmarkt gekauft haben. Jennifer W. und Taha A. sollen sie als ihr Eigentum betrachtet, sie gedemütigt, geschlagen, ausgebeutet und gequält haben. Die Bundesanwaltschaft ist davon überzeugt, dass Taha A. die beiden gekauft und versklavt hat, um im Einklang mit den Zielen des IS die religiöse Minderheit der Jesiden zu vernichten.

Strafe für Fehler beim Gebet

"Ihre eigene Religion durften sie nicht ausüben", trägt Oberstaatsanwältin Zabeck vor. Mutter und Kind seien gezwungen worden, nach den Regeln des Islam zu leben. Das Haus hätten sie nur selten und nur vollverschleiert verlassen dürfen. Auch das Mädchen habe sich am islamischen Gebet beteiligen müssen und sei bestraft worden, wenn es dabei Fehler machte.

Die Anklage gegen Jennifer W. war bereits fertig, als die Ermittler im März 2019 mithilfe der Jesiden-Organisation "Yazda" die Mutter Nora T. ausfindig machten. Nora T. soll selbst gequält worden und Zeugin des Mordes an ihrer Tochter geworden sein. Die Mutter nimmt an beiden Prozessen als Nebenklägerin teil. Sie wird unter anderem von der Berliner Anwältin Natalie von Wistinghausen vertreten.

Massentötungen an den Jesiden

Nora T. ist aufgewachsen in einem Dorf im Nordirak. Den IS-Terroristen gelten Jesiden als Ungläubige. Im August 2014 soll Nora T. bei einer gezielten Aktion des IS in der Region Sindschar gefangen genommen worden sein. Laut Anklage kam es damals zu Massentötungen von Jesiden, zu Versklavungen, Folter und sexualisierter Gewalt. Als Sklavin wurde Nora T. in der Folge von einem Mann zum nächsten verkauft. Sie wurde vergewaltigt, geschlagen, ausgebeutet.

Auch Taha A. soll immer wieder zugeschlagen haben. Weil sich Jennifer W. von dem Mädchen gestört fühlte. Weil irgendwo ein Glas runterfiel. Weil ihre Tochter "zu wild" war.

Eine dieser Bestrafungsaktionen soll das Kind schließlich nicht überlebt haben. Laut Anklage soll Taha A. im Sommer 2015 das Mädchen im Hof ihres Hauses bei bis zu 50 Grad in sengender Hitze an ein Fenster gekettet haben. "Das Kind verstarb infolge der Misshandlung", trägt die Oberstaatsanwältin vor.

Mehr als zehn Tage lang ist Nora T. bereits in München vor Gericht befragt worden. Nora T. spricht einen kurdischen Dialekt, und sie hat einen Sprachfehler. Lesen und Rechnen hat sie nie gelernt. Ihre Befragung war mühsam, ihre Angaben zum Teil widersprüchlich. Die Frau ist womöglich schwer traumatisiert. Auch zu den Umständen des Todes ihres Kindes machte sie unterschiedliche Angaben. In Frankfurt wird sie nun erneut aussagen müssen. Dort wird sie dann auf ihren mutmaßlichen Peiniger treffen.

Sprengsätze für den IS

Taha A. soll nach dem Tod des Kindes im September 2015 in die Türkei gereist und sich dort weiter für den IS engagiert haben. Noch im Sommer 2018 soll er sich bereit erklärt haben, für den IS Sprengsätze aller Art herzustellen.

Im Mai 2019, da lief in Deutschland bereits der Prozess gegen seine Frau, wurde Taha A. überraschend in Athen festgenommen und im Oktober nach Deutschland ausgeliefert. Mitte November trat er als Zeuge im Prozess gegen Jennifer W. auf. Sein Auftritt als Zeuge war kurz. Er berief sich auf sein Recht zu schweigen.

"Wir werden uns zunächst schweigend verteidigen", sagt auch in diesem Prozess Taha A.s Anwalt, Serkan Alkan, vor dem Oberlandesgericht Frankfurt ganz am Ende des ersten Verhandlungstages auf die Frage des Richters.

Jennifer W. und der FBI-Informant

Auch Jennifer W. hat sich vor dem Gericht in München bislang nicht zu den Vorwürfen geäußert. Dabei war sie schon einmal gesprächiger. Ende 2016 war die heute 28-Jährige nach Niedersachsen zurückgekehrt. Im Juni 2018 wollte sie sich auf den Weg zurück zum IS machen. In ihrer Heimat Lohne stieg sie in das Auto eines vermeintlichen Glaubensbruders. Doch der Mann war ein FBI-Informant, der mit der deutschen Polizei zusammenarbeitete, und das Auto verwanzt.

Jennifer W. vertraute dem Mann. Sie erzählte ihm, von ihrem "kleinem Sklavenmädchen". Und sie sprach über Taha A. "Er hat sie so hart bestraft, dass sie gestorben ist", sagte Jennifer W. Er habe das Kind ohne Wasser in der Hitze angekettet. Dann wurde sie festgenommen.

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