Psychosekte Russland stuft Scientology als extremistisch ein

Scientology gerät ins Visier russischer Behörden. Jetzt hat ein russisches Gericht die Schriften von Gründer L. Ron Hubbard auf den Index gesetzt - auf dem auch Hitlers "Mein Kampf" steht. Dabei gibt es in Russland viele weitere Sekten: Eine verehrt Wladimir Putin als wiedergeborenen Apostel Paulus.
Bücher des Scientology-Gründers in Düsseldorf: Künftig in Russland auf dem Index

Bücher des Scientology-Gründers in Düsseldorf: Künftig in Russland auf dem Index

Foto: dapd

Als russische Ermittler im Mai das "Land der Wunder" durchsuchten, ein Privatinternat für Kinder wohlhabender Eltern im Moskauer Umland, stießen sie auf einen ungewöhnlichen Stundenplan. In dem roten Backsteinbau mit Erker wurden nicht nur Mathematik und russische Literatur unterrichtet, sondern auch die Lehren von L. Ron Hubbard, dem Gründer der Sekte Scientology.

Dessen Schriften standen in der kleinen Bibliothek gleich neben klassischen Lehrbüchern, und am Schwarzen Brett hing eine Broschüre der Sekte über die "Straße zum Glück" aus.

Ob sich die Betreiber aber nach russischem Gesetz strafbar gemacht haben, dafür musste erst eine langwierige Prüfung der Scientology-Texte eingeleitet werden. Die Staatsanwaltschaft eröffnete deshalb parallel ein Verfahren wegen "ungesetzlichen Unternehmertums", sicher ist sicher.

Seit Jahren versucht Russland, gegen Scientology vorzugehen

In Zukunft werden es russische Rechtsschutzorgane leichter haben, wenn sie gegen Scientology vorgehen: Ein Gericht hat Scientology-Literatur nun als extremistisch eingestuft. Hubbards Schriften seien "auf die Formierung isolierter Gruppen ausgerichtet," deren Aufgabe "zu einem bedeutenden Teil der Kampf gegen die restliche Welt" sei, heißt es in einem Statement der russischen Generalstaatsanwaltschaft zu dem Urteil.

Russlands Justizministerium wird nun die beanstandeten Werke, darunter ein Buch mit dem Titel "Was bedeutet Scientology", auf den Index "extremistischer Materialien" setzen, zu denen unter anderem auch Adolf Hitlers "Mein Kampf" zählt. Experten schätzen die Zahl der Scientology-Mitglieder in dem östlichen Riesenreich auf 10.000 bis 100.000. Genaue Statistiken gibt es nicht.

Russland sucht seit Jahren nach Wegen, um härter gegen die Sekte vorzugehen. Zunächst versagten die Behörden der "Scientology-Kirche Moskau" eine Neu-Registrierung. Sie wurden dafür aber 2007 vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu einer Geldstrafe verurteilt. Der damalige Präsident Wladimir Putin sandte daraufhin Kreml-treue Jugendgruppen gegen die Organisation aus.

Sekten haben großen Zulauf

Die Mitglieder der "Gemeinsam Gehenden" verteilten Flyer ("Vorsicht, Scientology!") und demonstrierten vor Gebäuden der Sekte in Moskau. Versuche, die Lehren der Sekte als extremistisch einzustufen, scheiterten jedoch bis zuletzt. Noch Anfang Mai ordnete ein Gericht in Sibirien die Streichung von Hubbards Schriften von der Liste des Justizministeriums an.

Auch knapp hundert Jahre nach dem Tod des Wanderpredigers und angeblichen "Geistheilers" Rasputin verzeichnen Sekten in Russland erheblichen Zulauf. Landesweit schätzten Experten wie Alexander Dworkin die Zahl der Sektenmitglieder auf 600.000 bis 800.000.

Nach dem Ende der Sowjetunion erlebte nicht nur die unter den Kommunisten unterdrückte Orthodoxe Kirche eine Renaissance, sondern auch Hunderte religiöser Bewegungen, die das ideologische Vakuum zu füllen suchten. Allein zwischen 1991 und 1999 stieg nach Angaben der Moskauer Tageszeitung "Nesawissimaja Gaseta" die Zahl der Mitglieder der Zeugen Jehowas in Russland von 30.000 auf rund eine Viertelmillion.

In Sibirien wiederum huldigen Tausende Gläubige dem ehemaligen Polizisten Sergej Anatoljewitsch Torop, der sich für den neuen Jesus Christus hält. Und nahe der Wolgastadt Nischni Nowgorod verehrt eine kleine Sekte Russlands Premierminister Wladimir Putin - als wiedergeborenen Apostel Paulus.

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