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Rainer Wendt: Der Gewerkschaftsboss aus Duisburg

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Polizeigewerkschafter Rainer Wendt Die Posaune aus dem Pott

Rainer Wendt ist der lauteste Polizist Deutschlands, seine Kritiker schelten ihn einen Rechtspopulisten. In Zeiten des Terrors ist der Gewerkschaftsboss gefragt wie nie. Was treibt ihn an?

Irgendwo muss es hier doch was zu essen geben. Rainer Wendt, ein Mann von 1,70 Metern im schwarzen Mantel, mit Halbglatze, Aktentasche, Brille, guckt sich um vor dem Bahnhof von Moers. Die Sonne blendet, Wendt legt als Sichtschutz die Hand auf die Stirn: "Da drüben, Döner, Pizza. Näh, dat is ja jetz nich so..." Lieber erstmal weiter laufen Richtung Innenstadt. Er muss ja sowieso dorthin, zum Termin später, zu den Schülern, er freut sich schon darauf.

Ein paar hundert Meter weiter sieht der 60-Jährige ein Lokal. "Diebels Live", steht über dem Eingang. "Currywurst werden sie haben", sagt er und stapft die Treppe hoch zur Tür. Rainer Wendt, Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, bestellt dann Grünkohl mit Wurst und Kasseler, ein Gericht, das die Kellnerin in einer Bratpfanne an den Tisch trägt.

Bodenständig, deftig, opulent. So mag er das. Beim Essen und im Job. Noch nie war Rainer Wendt so gefragt wie heute. Die Sorge um die öffentliche Sicherheit im Land ist sein Thema. In Berlin ermordet ein Islamist Passanten auf dem Weihnachtsmarkt. In Köln missbrauchen Nordafrikaner an Silvester Frauen. In Freiburg soll ein junger Flüchtling eine Studentin getötet haben.

Aufsehenerregende Fälle, die viele Deutsche bewegen. Sie fragen sich, ob das Land durch die vielen Flüchtlinge unsicherer wird. Und Rainer Wendt ist in seinem Element. Er ist der Botschafter für einen starken Staat.

Rainer Wendt am Bahnhof in Duisburg

Rainer Wendt am Bahnhof in Duisburg

Foto: SPIEGEL ONLINE

Es gebe ein Umdenken in der Politik, behauptet Wendt, seit Köln, seit Berlin, seit Freiburg. "Die Grünen wollen mehr Polizei, die FDP mehr Videoüberwachung." Er habe das schon immer gefordert. "Es muss immer erst etwas lichterloh in Flammen stehen, bevor dem ein oder anderen ein Licht aufgeht."

Seit 15, 20 Jahren schon sei ein "Verlust an Sicherheitsgefühl" zu beobachten. Der gehe "einher mit dem Rückzug des Staates aus der öffentlichen Daseinsvorsorge". Die Zahl der Polizisten sinke. In Berlin etwa, so rechnet Wendt vor, habe es in der Nachwendezeit 28.000 Beschäftigte bei der Polizei gegeben. Heute seien es nur noch etwa 23.000.

Das Gefühl ist Wendt wichtig. Er weiß, dass die Zahl der Gewaltdelikte seit Jahren sinkt. Wer aus Angst nicht rausgehe, werde zwar nicht überfallen - erleide aber einen "Verlust an Freiheit". Dagegen kämpft er an, als Stimme von mehr als 90.000 Beschäftigten der Polizei.

"Lebhaftes, cleveres Kerlchen"

Seine Gegner schelten ihn einen Rechtspopulisten. Wendt findet, "lebhaftes, cleveres Kerlchen", beschreibe ihn am besten. Er hat einen Bestseller geschrieben, "Deutschland in Gefahr", bisher wurden mehr als 50.000 Exemplare verkauft. Der Staat sei zu lasch, schreibt Wendt darin, geißelt "Kuscheljustiz" und "Spaßpädagogik". Das Werk liest sich, als gehe es mit Deutschland bald zu Ende. Wendt schreibt bereits am nächsten Buch.

Der Mann, der Mitglied ist bei CDU und CSU ("Die CSU gefällt mir momentan deutlich besser"), kann immer noch lauter. Lauter als die anderen beiden Gewerkschaften, die für Polizisten eintreten, die fast doppelt so große Gewerkschaft der Polizei und der kleinere Bund Deutscher Kriminalbeamter. Als die Grünen-Politikerin Renate Künast im vorigen Sommer die tödlichen Polizeischüsse auf einen Islamisten in Würzburg hinterfragte, nannte Wendt sie eine "politische Klugscheißerin".

"Wir leben in einer Gesellschaft, in der Lautsein dazugehört", sagt er. "Daran führt kein Weg vorbei." Im vorigen Jahr schrieb die "Bild", Wendt sei Deutschlands bekanntester Polizist. Darüber hat er sich gefreut. "Selbstverständlich bin ich eitel", sagt er. Und die Polizei verteidigen, wann immer es geht, das ist seine Aufgabe. "Da gibt's ja genügend andere, die Fehler ansprechen."

Der Vater von fünf erwachsenen Kindern ist ständig irgendwo auf Sendung, bei Plasberg, Maischberger, Illner, "eigentlich immer" sei er beruflich im Einsatz. Seine Ehefrau, die dritte, lebt in München, Wendt in Berlin, in der Nähe seines Büros. Nach Silvester habe er seine Frau vier Wochen nicht gesehen - die Zeit hätte nicht für ein Treffen am Wochenende gereicht, so Wendt.

Rainer Wendt Ende der Achtziger

Rainer Wendt Ende der Achtziger

Foto: privat

Für den Auftritt in Moers hat er an diesem Januartag um kurz vor acht in Berlin den ICE bestiegen. Die Fahrt an den Niederrhein dauert viereinhalb Stunden, nach dem Auftritt geht es weiter nach Düsseldorf, zur Klausurtagung der Gewerkschaftsspitze. Der Stopp ist Wendt willkommen. "Da kann ich vor den jungen Leuten gleich Werbung für die NRW-Polizei machen, wir brauchen clevere Frauen und Männer zur Verstärkung."

Etwa 100 Schüler der Oberstufe sitzen in der Aula des "Grafschafter Gymnasiums", Wendt nimmt in Anzug, Hemd und Krawatte auf der Bühne Platz. Er sagt, es sei schwierig, geeignete junge Leute zu bekommen. "Sie sind eine hochumworbene Generation." Man wolle "nicht die Reste vom Arbeitsmarkt, sondern das Beste".

Die Schüler haben sich ordentlich vorbereitet, sie werfen Wendt die Stichwörter zu, aus denen er sein Programm entrollt wie ein Teppichverkäufer seine Ware. Deutschland braucht mehr Polizisten. Polizisten brauchen Taser, kleine Elektroschocker, mit denen man Angreifer unschädlich macht. Privatmenschen brauchen keine Waffen.

Wie AfD-nah ist Wendt?

Es dauert 14 Minuten, dann fällt in einer Frage erstmals das Wort Flüchtlinge. Ob durch deren hohe Zahl die Sicherheit in Deutschland leide, will ein Schüler wissen. Wendt sagt: "Der Zusammenhang erschließt sich mir nicht." Wenn mehr Menschen ins Land kämen, stiegen zwar die "Herausforderungen". Aber dass viele Menschen kämen, sei nicht neu. "Deutschland ist eines der sichersten Länder der Welt."

Das klingt erstaunlich nüchtern. Beim Thema Flüchtlinge hat Wendt in den vergangenen anderthalb Jahren am meisten provoziert. In den Augen von Kritikern entlarvte ihn seine Haltung als Gesinnungsgenosse der AfD. Dabei ist schwer zu sagen, was Wendt allein um des Echos willen in die Welt posaunt.

Im Sommer 2015, als die Zahl der Flüchtlinge sprunghaft stieg, plädierte Wendt für einen Grenzzaun. Später rückte er davon ab. Und sagte der "taz": "Der Zaun brachte mir zwei Wochen Aufmerksamkeit. Zwei Wochen Aufmerksamkeit sind zwei Wochen Rederecht."

Ende vorigen Jahres schleifte ein kurdischstämmiger Familienvater in Hameln seine Ex-Frau an der Anhängerkupplung über die Straßen, brachte sie fast um. Wendt sagte, es werde sich ein Richter finden, der dem Mann "wieder eine positive Sozialprognose ausstellen wird".

Am Tag, als die Sätze sich im Land verteilten, war Wendt nicht erreichbar. Am Tag darauf sagte er, man habe ihn falsch verstanden. Der Eindruck, er habe die Justiz attackieren wollen, sei falsch, "und er tut mir leid". War nicht so gemeint. Es ist die Masche der Populisten, die Wendt mit solchem Verhalten bedient.

Manche seiner Argumente sind durchaus plausibel. Klar habe die Polizei die Lage vor der Silvesternacht 2015 in Köln falsch eingeschätzt. "Aber was wäre denn gewesen, wenn die Polizei acht Wochen vor Silvester gesagt hätte: Wir brauchen zehnmal mehr Leute, weil wir damit rechnen, dass Nordafrikaner deutsche Frauen bestehlen, begrapschen und vergewaltigen? Der Polizeipräsident wäre vor Silvester gefeuert worden, nicht hinterher."

Kontrolle ist für Wendt die entscheidende Vokabel, wenn es um Flüchtlinge geht. Von Hunderttausenden wisse man noch immer die Identität nicht. "Kein normal denkender Mensch sagt: Alle Flüchtlinge sind Terroristen. Dass die Rechtsradikalen das behaupten können, liegt nur daran, dass wir die Kontrolle verloren haben."

Wendt mit Schülern in Moers

Wendt mit Schülern in Moers

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Wendt plädiert für Transitzentren in Grenznähe, Kasernen zum Beispiel, in denen Flüchtlinge unterkommen, bis ihre Identität zweifelsfrei geklärt ist. Dazu brauche es mehr Personal. "Es gibt Dolmetscher, die können nach drei Minuten sagen, ob sie einen Syrer vor sich haben oder nicht."

Alles kein Problem - wenn man nur will, findet Wendt. Und natürlich dürfen "alle Flüchtlinge bei uns leben, denen das Gesetz es erlaubt". Von einer Obergrenze hält er nichts. "Das ist Willkür."

Wendt sagt, er mache Wahlkampf für die Unionsparteien in den nächsten Monaten. Die AfD bekämpfe er. "Deutschland hat die AfD noch nie gebraucht", sagt er. "Die können keine Politik machen." Männer wie Björn Höcke, der das Holocaust-Mahnmal ein "Denkmal der Schande" nennt, seien "gruselige Typen". Wendt sagt: "Soviel kann ich gar nicht trinken, dass ich da eintrete."

Wendt hat die AfD verklagt, weil sie ein Zitat von ihm bei Facebook mit ihrem Logo umrahmt hat. Und er bekam die geforderte Unterlassung. Der Parteichefin Frauke Petry habe er gesagt: "Glauben Sie nicht, dass Sie mich an irgendeiner Stelle vereinnahmen können. Sie werden immer auf Widerstand treffen."

Vielleicht macht er es sich damit ein bisschen einfach. Mit seiner Art spielt er der AfD in die Hände. Wendt sagt, er müsse das aushalten, wenn er Beifall von der falschen Seite bekomme. "Das passiert Politikern auch." Er habe mit der AfD nichts zu tun: "Die AfD pauschalisiert und grenzt aus, sie führt eine Debatte über Flüchtlingsverhinderungspolitik."

Abitur an der Abendschule

Wendt ist in einfachen Verhältnissen groß geworden, im Duisburger Arbeiterviertel Meiderich, mit sieben Geschwistern. Die Mutter war alleinerziehend und trug Zeitungen aus. Mit 16 ging er zur Polizei, neben dem Streifendienst holte er später an der Abendschule das Abitur nach. Er weiß, was es heißt, zu kämpfen. Und er weiß, dass er seiner vorlauten Art seine Karriere verdankt. Er sei mit sich im Reinen, sagt Wendt.

Seit Kurzem hat er ein neues Hobby: Er tritt als Laiendarsteller auf, zum Beispiel in der Serie "Rentnercops". Im Sommer wird er bei der "Müritz-Saga" eine Rolle übernehmen, auf einer Freilichtbühne in Waren an der Müritz. Zu seiner Tochter habe er gesagt, Schauspieler sei als Schüler sein Traumberuf gewesen. Da habe die 34-Jährige geantwortet: "Hat doch geklappt."

Wendt, der Selbstdarsteller. Es ist die Rolle seines Lebens.

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