Betrugsermittlungen im rechten Milieu Razzia bei ehemaligen V-Leuten

Wegen gewerbsmäßigen Bandenbetrugs ermittelt die Staatsanwaltschaft Gera gegen 13 Beschuldigte, mehrere von ihnen mit Bezug zu "rechter Klientel". Unter ihnen sind der frühere V-Mann Tino Brandt und ein weiterer Ex-Spitzel des Thüringer Verfassungsschutzes. Nun gab es umfangreiche Durchsuchungen.
Razzia in Rudolstadt: Schadenersatzforderungen im siebenstelligen Bereich

Razzia in Rudolstadt: Schadenersatzforderungen im siebenstelligen Bereich

Foto: Carolin Lemuth/ dpa

Gera - Die Razzia war offenbar generalstabsmäßig geplant: In einer konzertierten Aktion durchsuchte am Mittwochmorgen ein Großaufgebot der Polizei mehrere Wohn- und Geschäftsräume in Thüringen und Sachsen. Ermittelt wird gegen 13 Beschuldigte wegen des Verdachts auf "gewerbsmäßigen Bandenbetrug".

Wie ein Sprecher der Staatsanwaltschaft dem SPIEGEL bestätigte, seien mehrere Verdächtige der "rechten Klientel" zuzuordnen. Zum Kreis der Beschuldigten zählen den Angaben zufolge auch zwei frühere V-Leute des thüringischen Landesamts für Verfassungsschutz (LfV).

Bei der Razzia wurden Unterlagen, Computer und Speichermedien beschlagnahmt. In Rudolstadt wurden zudem Waffen entdeckt, die im Besitz eines 37-Jährigen waren. Die Fahnder stießen unter anderem auf eine Machete, zwei Streitäxte, zwei Schreckschusspistolen, ein japanisches Schwert und eine Armbrust mit Köcher und sechs Pfeilen.

Nach SPIEGEL-Informationen laufen die Betrugsermittlungen bereits seit dem vergangenen Jahr: Eine große deutsche Versicherung hatte Strafanzeige erstattet; ihr war aufgefallen, dass drei ostdeutsche Firmen - zwei aus dem thüringischen Rudolstadt und eine aus Leipzig in Sachsen - jeweils kostspielige Unfallversicherungen für ihre Mitarbeiter abgeschlossen hätten.

Bald sei es dann vermehrt zu angeblichen "Arbeitsunfällen" oder "anderen Schadensfällen im privaten Bereich" gekommen. Merkwürdig schien zudem, dass die geschädigten Mitarbeiter meist erst kurz vor den Unfällen angestellt worden und trotz "leichtgradiger Verletzungen" für lange Zeit arbeitsunfähig geworden seien.

Als die Versicherung bei den angeblichen Unfallopfern nachfragte, sei zudem aufgefallen, dass manche von ihnen noch nicht einmal etwas zu ihrem Aufgabengebiet in den Firmen, zu ihren Vorgesetzten oder dem Hergang der angeblichen Unfälle hätten sagen können.

Die Schadensersatzforderungen dagegen gingen offenbar in den siebenstelligen Bereich: Mehr als eine Million Euro sollen die Firmen nach Erkenntnissen der Fahnder insgesamt gefordert haben.

Ein groß angelegter Versicherungsbetrug?

Bei den Ermittlungen wurde außerdem festgestellt, das für zwei der Firmen "keine" und bei der dritten nur "marginale" Geschäftstätigkeiten feststellbar waren. Trotzdem sollen sie auch Subventionen des Landwirtschaftsamts Rudolstadt und der Erfurter Agentur für Arbeit erhalten haben.

Vor dem Hintergrund der jüngsten Ermittlungen sprach Thüringens Justizminister Holger Poppenhäger (SPD) von einer möglichen "neuen Qualität der Geldbeschaffung der Neonaziszene". Dem SPIEGEL sagte Poppenhäger, dass er seinen Amtskollegen aus Bund und Ländern bei der nächsten Justizminister-Konferenz über das Verfahren berichten werde. "Es ist zu prüfen, ob es vergleichbare Vorgänge auch in anderen Bundesländern gibt", so der Politiker.

Die Spezialisten der Kripo hatten in den vergangenen Wochen die Firmen und die vermeintlichen Unfallopfer überprüft und konnten den Kreis der Verdächtigen schließlich auf 13 Personen eingrenzen. Dabei stießen sie auf politisch höchst brisantes Terrain vor: Zwei der Beschuldigten entpuppten sich als einstmals führende Aktivisten der ostdeutschen Neonazi-Szene - die gleichzeitig als Top-Quellen vom thüringischen Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) geführt wurden.

Bei einem der Beschuldigten handelt es sich um Tino Brandt, den früheren Chef des rechtsextremistischen "Thüringer Heimatschutzes", dem einst auch die mutmaßlichen Terroristen der Zwickauer Zelle angehörten und der von 1994 bis 2001 unter dem Decknamen "Otto" als V-Mann für das LfV wirkte .

Ebenfalls unter Betrugsverdacht steht ein ehemaliger Kollege Brandts, der einstige Neonazi-Führer Thomas Dienel aus Leipzig. Seine politische Karriere führte den 50-Jährigen in DDR-Zeiten von der FDJ zur SED und nach der Wende weiter zur NPD und diversen militanten Neonazi-Kameradschaften in Thüringen. 1995 ließ er sich vom Erfurter LfV anwerben, dem er unter dem Decknamen "Küche" zu Diensten war , bevor er 1997 - offenbar nicht ganz freiwillig - den Staatsdienst quittierte.

Die Bundesanwaltschaft wurde informiert

Knapp 25.000 Mark soll Dienel damals als Informationshonorar vom LfV erhalten haben. Zuletzt lebte er in einem Hinterhaus im Leipziger Stadtteil Gohlis. Offenbar bewegte sich der einstige Geheimdienstspitzel inzwischen auf anderen Geschäftsfeldern: Im aktuellen Betrugsverfahren taucht Dienels Name im Zusammenhang mit der Leipziger Casting-Agentur German Scout & Models auf, die sich laut interner Geschäftsunterlagen unter anderem mit der Akquise von Pornodarstellern befasste - und die ebenfalls mehrere "Arbeitsunfälle" gemeldet haben soll.

Neben Dienel und Brandt ermittelt die Staatsanwaltschaft Gera gegen elf weitere Beschuldigte, darunter Familienangehörige Brandts und zwei Männer, die - wie mehrere andere Verdächtige - der rechten Klientel zuzuordnen seien. So führte einer der Männer auf seiner Facebook-Seite die Nazi-Gruppe "Lunikoff Verschwörung" als Lieblingsband auf und empfahl "Mein Kampf" zur Lektüre. Auch ein zweiter Beschuldigter warb via Facebook für Rechtsrock - in diesem Fall für die verbotene Gruppe "Landser".

Die rechtsextremen Verbindungen elektrisierten die Fahnder. Unter anderem gehen sie dem Verdacht nach, ob ein Teil der mutmaßlich ergaunerten Versicherungsgelder womöglich in die Neonazi-Szene geflossen sein könnte. Nach vorläufigen Berechnungen der Ermittler gingen von den Versicherungen insgesamt rund 700.000 an die Beschuldigten - ein Großteil davon, mehr als 400.000 Euro, sei in bar abgehoben oder per Geldautomat ausgezahlt worden.

Nach SPIEGEL-Informationen ist auch die Karlsruher Bundesanwaltschaft, die seit November gegen die Zwickauer Terrorzelle ermittelt, über das Thüringer Betrugsverfahren informiert, genau wie das Erfurter Justizministerium.

Zu den Betrugsvorwürfen der Staatsanwaltschaft wollte sich Brandt auf SPIEGEL-Anfrage zunächst nicht äußern. Er betonte jedoch, mit Waffen "niemals etwas zu tun gehabt" zu haben. Auch Dienel lehnte eine Stellungnahme zu den Betrugsvorwürfen ab; er wolle sich zuerst anwaltlichen Rat einholen, sagte er am Telefon.

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