
Schüsse auf Migranten: Rechtsextremist tötet afrikanische Straßenhändler
Rechtsextremes Attentat von Florenz Die kruden Ideen des Signor Casseri
Sein Auto hat er in zweiter Reihe geparkt. In der Nähe der Florentiner Piazza Dalmazia stellt der dickliche Mann mit den raspelkurzen Haaren seinen grauen Polo ab. Drei senegalesische Händler haben Handtaschen, Feuerzeuge und Hemden auf dem Boden ausgebreitet. Mehrmals läuft Gianluca Casseri vor ihnen auf und ab. Dann sagt er: "Jetzt seid ihr dran."
Aus einer Tasche zieht der 50-Jährige einen Revolver der Firma Smith & Wesson. Er schießt. Vier- oder fünfmal. Dann liegen drei Männer auf dem Boden. Samb Modou, 40, und Diop Mor, 54, sind auf der Stelle tot. Moustapha Dieng, 34, überlebt schwerverletzt.
Etwa drei Stunden später folgt das nächste Attentat, diesmal nur wenige Schritte vom Dom entfernt. Casseri verletzt zwei Senegalesen. Er flüchtet in eine Tiefgarage, wird von der Polizei entdeckt und schießt sich selbst in den Hals. Der Mann ist tot. Zurück bleiben weinende, schreiende Passanten, fassungslose Angehörige und eine aufgepeitschte Öffentlichkeit.
Staatspräsident Giorgio Napolitano spricht am Mittwoch von einem "barbarischen Mord". Der Bürgermeister von Florenz versucht zu beschwichtigen. "Es handelt sich nicht um die Aktion einer Gruppe, sondern um die ausländerfeindliche und wahnsinnige Tat eines Einzelnen", sagt Matteo Renzi. Die große senegalesische Gemeinschaft lebe seit Jahren ohne Probleme in der Stadt. Viele Bürger hätten ihrer Solidarität Ausdruck verliehen und würden am Samstag an einem Protestzug teilnehmen. Das traditionell linke Florenz besitze "ausreichend Antikörper" gegen Rassismus.
Wahnsinn oder Rassismus?
Im ganzen Land stellt man sich nun die Frage: Wer ist dieser "italienische Breivik", der Mann, der zwei Schwarzafrikaner und sich selbst erschoss? Ein irrer Einzeltäter oder ein gut in die rechtsextremen Netzwerke eingebetteter Überzeugungstäter?
1961 wird Casseri in dem kleinen Dorf Cireglio in der Provinz Pistoia geboren, "als der Mensch den Weltraum eroberte und sich der Himmel bei der größten Mondfinsternis des 20. Jahrhunderts verdunkelte", tönte er ganz apokalyptisch in einer Selbstbeschreibung, die auf einer dem Schriftsteller Tolkien gewidmeten Hompage, soronel.it, zitiert wird.
Als er zwölf Jahre alt ist, liest er die übersinnlichen Horrorgeschichten des US-Autors Howard Lovecraft und beginnt, sich für Fantasy-Literatur zu interessieren. Er wird Buchhalter, gründet 2001 nebenbei eine eigene Zeitschrift "Die Schwelle". Seine weltanschaulichen Ansichten verbirgt er nicht: In dem Aufsatz "Die Protokolle des Weisen von Alexandrien" wettert er gegen eine jüdische Weltverschwörung und leugnet den Holocaust. Im Internet schwadroniert er über die "arische Rasse" und soll einen Artikel mit der Überschrift "Dracula, der Krieger Wotans" verfasst haben.
"Wenn man seine Schriften liest, erkennt man unschwer, dass er gefährdet ist, das hat bloß keiner erkannt", sagte der Psychoanalytiker Stefano Pallanti der Florentiner Zeitung "La Nazione". "Das ist kein Wahnsinn, das ist Rassismus", warnte die Soziologin Chiara Saraceno in der "Repubblica".
Casseri galt laut Arbeitskollegen und Weggefährten als introvertiert, verschlossen und depressiv. "Er ist der klassische einsame Wolf", sagt Saverio Ferrari, Rechtsextremismusexperte aus Mailand und Betreiber des antifaschistischen Watch-Blogs Osservatore democratico. "Solche Täter pflegen ihre kruden Ideen im Stillen und beschließen an einem bestimmten Punkt, zur Tat zu schreiten. Dann glauben sie, im Auftrag einer ganzen Gruppe zu handeln, ihrem Hass auf die Zustände Ausdruck zu verleihen."
Heldenverehrung und Delirium im Netz
Casseri ist nach Jahren der Isolation mit den Morden und seinem Suizid tatsächlich zum Helden in der rechten Szene avanciert: Als wahren Italiener, den "weißen Helden", dem Ruhm und Respekt gebührten, verehren die Macher der rassistischen Website stormfront.org den Attentäter. Casseri habe "aufgeräumt", man sei ihm zu Dank verpflichtet.
Auf Facebook formierte sich eine Unterstützertruppe unter dem Namen "Gianluca ist für uns gestorben". Mehr als 6000 Menschen gefällt die Seite, auf der neben "Sieg Aille"-Rufen in fehlerhaftem Italienisch geschrieben steht: "Florenz war nur der Anfang, wir werden ganz Italien säubern." Das totale "faschistische Delirium" sei ausgebrochen, schrieb die "Stampa" am Mittwoch.
Für die Rechten sind die Gründe für das Massaker offensichtlich: Die Situation sei schon lange unhaltbar geworden, die multiethnische Gesellschaft ticke "wie eine Zeitbombe, die kurz vor dem Explodieren steht", heißt es auf der antisemitischen Site NonConforme.
"In den vergangenen zehn Jahren beobachten wir einen sprunghaften Anstieg rechter Strömungen in ganz Europa", sagt der Experte Ferrari. In Italien würde der Faschismus alter Schule langsam abgelöst durch die noch radikaleren und gefährlicheren Symbole des Neonazismus.
Die ideologische Heimat des Killers
Eine der neueren neofaschistischen Gruppierungen ist Casa Pound. Hier soll der Attentäter von Florenz seine ideologische Heimat gefunden haben. Die Organisation wurde nach dem Schriftsteller Ezra Pound benannt, der als glühender Bewunderer Mussolinis galt. In den vergangenen zwei Jahren konnte die Truppe eine vielköpfige Anhängerschaft um sich versammeln. Etwa 50 Büros gibt es landesweit, Tendenz steigend. Casa Pound gibt sich trendig und jung, besetzt Häuser und demonstriert gegen Mietwucher, inszeniert Theaterstücke und unterhält eine eigene Studentenorganisation.
In Deutschland ist das Interesse an der modern daherkommenden Truppe groß: Laut Patrick Gensing vom Norddeutschen Rundfunk hat die NPD Nordsachsen bereits 2010 einen Vortrag über Casa Pound gehalten. Auch im "NPD-Bildungswerk für Heimat und nationale Identität" war die neofaschistische Organisation aus Italien bereits Thema. Dort interessierte man sich für das Konstrukt einer "Kulturrevolution von rechts", die vor allem jüngere Wähler ansprechen könnte.
"Casa Pound hat es geschafft durch die Verbindung von Pop-Kultur und Neofaschismus ein für junge Leute attraktives Umfeld zu schaffen", sagt der Hamburger Historiker Volker Weiß. "Dazu gehört auch die Verbindung von Ästhetik und Gewalt, wie sie im italienischen Faschismus Tradition hat."
"Herrenloser Hund"
Zwar habe Casa Pound eine klar ablehnende Haltung zur "Massenimmigration", man sei aber gegen Fremdenfeindlichkeit und diskriminierende Gewalt, hieß es am Mittwoch auf der Website.
Die Neofaschisten versuchten, die Rolle des Attentäters von Florenz innerhalb der Organisation herunterzuspielen. "Gianluca Casseri war ein Sympathisant von Casa Pound Italia, wie Hunderte andere in der Toskana", heißt es weiter. Der Mann sei nicht militant gewesen. Er habe manchmal den Sitz der Gruppe in Pistoia besucht. Im Hinblick auf eine psychische Erkrankung der Attentäters hieß es: "Wir fragen niemanden nach einer Bescheinigung seiner mentalen Unversehrtheit."
"Der hatte mit uns nichts zu tun, das war ein herrenloser Hund", sagte einer der Aktivisten am Mittwoch. Dabei schrieb Casseri für die von Casa Pound betriebene Seite Ideodromo. Doch von den mindestens fünf Artikeln ist am Mittwoch keiner mehr abrufbar. "Casa Pound will Spuren verwischen, das ist eindeutig", sagt Saverio Ferrari. "Die Verbindung Casseris zu der Organisation war nicht zufällig." So habe der spätere Attentäter noch im Juni dieses Jahres in Mailand an der Eröffnung einer Casa-Pound-Filiale teilgenommen. "Das war sein Umfeld, hier wurde er indoktriniert."
Ob Casseri sich unter Umständen vom Terror des deutschen Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) habe inspirieren lassen? "Das ist gut möglich, aber nicht belegt", sagt Ferrari. "Fest steht, dass die europäische radikale Rechte gut vernetzt ist. Es gibt immer wieder auch NPD-Mitglieder, die nach Italien kommen, um sich mit den hiesigen Gesinnungsgenossen auszutauschen."
Immer wieder wurde Italien in den vergangenen Jahren wegen seines Umgangs mit nichteuropäischen Ausländern gerügt. Das feige Attentat sei "das Ergebnis einer Politik, die aus Hass, Faschismus und Rassismus gemacht ist", sagte der Imam von Florenz, Izzedine Elzir.
Doch die Attentate scheinen Behörden und Öffentlichkeit zumindest kurzfristig aufgerüttelt zu haben: Am Mittwoch nahm die Polizei in Rom fünf Rechtsextremisten fest. Den Ermittlungen zufolge gehörten sie der verbotenen faschistischen Organisation "Militia" an. Gegen mindestens acht Verdächtige wurden Ermittlungen eingeleitet, wie die Behörden mitteilten. Es habe zudem zahlreiche Hausdurchsuchungen gegeben.
"Die schrecklichen Morde können einen Anstoß geben, endlich nachzudenken und Konsequenzen zu ziehen", hofft Rechtsextremismusexperte Ferrari. "So oder so, Italien wird reagieren."