Eine Expertenkommission empfiehlt, Gerichten bei Mordfällen mildere Urteile zu ermöglichen. Richtig so: Eine Reform des Paragrafen 211 ist überfällig. Die Vorschläge aber gehen zu weit. Der Tatbestand Mord sollte nicht gestrichen werden.
Strafgesetzbuch: Justizminister Heiko Maas will den Mord-Paragrafen reformieren
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Das Landgericht Dresden hatte vor kurzem über die Tötung eines Mannes zu entscheiden: Er wollte im Zuge sadistischer Sexspiele von seinem Partner umgebracht werden. Das Gericht sah Mordmerkmale als erfüllt an, laut Gesetz hätte es eine lebenslange Freiheitsstrafe verhängen müssen. Doch der Angeklagte wurde zu achteinhalb Jahren Haft verurteilt.
Der Fall zeigt: Mord ist nicht gleich Mord. Das hat schon der BGH Anfang der Achtzigerjahre erkannt und die sogenannte Rechtsfolgenlösung für außergewöhnliche Fälle kreiert. Darauf können sich Richter also berufen - aber warum nicht längst schon auf ein neues Gesetz, das bei Mord mehr differenziert?
Viele Juristen halten eine Reform des Paragrafen 211 im Strafgesetzbuch für überfällig. Sie haben recht, auch aus einem anderen Grund: "Mörder ist, wer...", wie es darin heißt, ist Sprachgebrauch von Roland Freisler, jenem berüchtigten Straftrichter der Nazi-Zeit. Diese braune Soße hat im Tatstrafrecht eines Rechtsstaats nichts zu suchen.
Mehr Entscheidungsfreiheit für Richter
Und sie könnte in absehbarer Zeit getilgt werden: Eine von Justizminister Heiko Maas eingesetzte Expertenkommission hat Vorschläge erarbeitet. Demnach soll das Wort "Mord" gänzlich gestrichen und durch das unbestimmt-technische Konstrukt "Tötungsdelikt" ersetzt werden.
Das scheint auf den ersten Blick sinnvoll: Es gibt Taten, die machen fürchten angesichts der Vorstellung, der Täter könnte je wieder in Freiheit kommen. Bei anderen ist die Wiederholungsgefahr so gut wie ausgeschlossen. Die Pflicht zur Höchststrafe ist ein zu enges Korsett für die Richter.
Das Ziel also ist richtig, der vorgeschlagene Gesetzestext aber hat Tücken. Geht es nach den Experten, soll die Lösung heißen: "Wer einen Menschen tötet, wird mit einer Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren oder mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft."
Allein die Richter sollen also im Einzelfall entscheiden, ob eine lebenslange Freiheitsstrafe angebracht ist oder nicht. Anders gesagt: Die Gerichte könnten fortan Verrenkungen vermeiden, wollten sie von der Einheitsstrafe lebenslang absehen.
Das wäre einerseits ein Gewinn, andererseits: Wann ist dann lebenslang die richtige Strafe? Ein verbindliches Leitprinzip fehlt. Gut möglich, dass sich anknüpfend an die bisherige Auslegung der Mordmerkmale doch Fallgruppen herausbilden würden, die sich von der bisherigen Praxis kaum unterschieden. Viel gewonnen wäre damit nicht, und von Reform sollte dann besser nicht groß getönt werden.
Größere Klarheit für die Gerichte ließe sich auch erreichen, führte man beim Tatbestand Mord wie beim Totschlag einen "minder schweren Fall" ein. Damit bliebe der Mord dem Strafgesetzbuch erhalten und fiele nicht mit dem vergleichsweise blassen Totschlag unter einen Paragrafen. Es gibt eben Taten, auf die der Staat nicht mit übergroßer Milde reagieren darf.
Warum nicht noch mehr streichen?
Begrüßenswert ist die Empfehlung, künftig die Tötung aus "rassistischen Beweggründen" als Mord zu ahnden. Bisher behalfen sich die Gerichte hier mit den schwammigen "sonstigen niedrigen Beweggründen". Den Unwert solcher Taten auch im Strafgesetzbuch klar zu benennen, wäre ein Fortschritt.
Kritisch zu sehen ist allerdings die ablehnende Haltung der Kommission, die umstrittenen Mordmerkmale "sonstige niedrige Beweggründe" und "Heimtücke" zu streichen. Gerade ersteres, das problematischste, weil unbestimmteste unter den Mordmerkmalen, ist Grundlage für 60 Prozent aller Urteile, in denen auf eine lebenslange Freiheitsstrafe erkannt wird. Da haben die Richter freie Hand. Überzeugend war das Ergebnis nicht immer.