Fotostrecke

Piraterie vor Somalia: No-go-Area auf dem Ozean

Foto: RODGER BOSCH/ AFP

Regatta vor Piratenküste Schwarzes Loch im Weltmeer

Die Volvo Ocean Race gilt als eine der härtesten Segelregatten der Welt. Am Sonntag startet sie in ihre gefährlichste Etappe: Es geht von Kapstadt nach Abu Dhabi, quer durch die schlimmsten Piratengewässer Welt. Die Sicherheitsmaßnahmen sind beeindruckend - und eine Bankrotterklärung.

Ein "logistischer Alptraum" sei das, was die Organisatoren der Regatta zur Absicherung der nächsten Etappen der Volvo Ocean Race in den nächsten Tagen unternehmen, meint Chris Nicholson, Skipper des unter spanischer Flagge segelnden Camper-Teams, aber eine Alternative dazu gebe es nicht. Er wird sich mit seiner Crew in die Sicherheitsmaßnahmen fügen, wie alle sechs teilnehmenden Teams. Denn am Sonntag soll es hinausgehen in Gewässer, die als die gefährlichsten der Welt gelten.

Um das Leben der Crews nicht zu gefährden, brechen die Veranstalter mit allen sonst üblichen Modalitäten des Regatta-Zirkus: Sie haben dem Rennen einen blinden Fleck, einen Ausschluss aller Öffentlichkeit verordnet, die Live-Übertragung des Rennens  wird unterbrochen, die Boote werden regelrecht verschwinden und an einem anderen Ort wieder auftauchen. Es wird eine Etappe mit Unterbrechung, und niemand soll wissen, wo sich Boote oder Crews befinden. Zeitweilig wird das - aus Sicherheitsgründen - noch nicht einmal derselbe Ort sein.

Denn es sind keine erratischen Strömungen, widrige Witterungsverhältnisse oder turmhohe Kaventsmänner, die die Sicherheit der Rennyachten bedrohen könnten. Es sind Kriminelle in flachen, schnellen Booten, die teils von gekidnappten Basisschiffen aus große Teile des Roten Meeres und des indischen Ozeans und die Regionen vor Afrikas Ostküste unsicher machen: bis an die Zähne bewaffnete, zu allem entschlossene Piraten.

Die Volvo Ocean Race mag als eine der härtesten Regatten der Welt gelten, aber es gibt Gefahren, die man nicht verantworten kann: Vor allem ein Rennen durch somalische Gewässer wäre eines gegen die Schnellboote der Piratenbanden.

Kriminalität? Schon eher ein Seekrieg

Denn die Seegebiete vor Somalia und dem Südrand der Arabischen Halbinsel gelten als die schlimmsten Piratengründe der Welt. Das International Maritime Bureau (IMB) der Internationalen Handelskammer ICC hat auf seiner Web-Seite eine Live-Karte, auf der man Angriffe, Angriffsversuche und die Bewegungen verdächtiger Wasserfahrzeuge verfolgen kann . Oder zumindest theoretisch könnte: Vor Somalia und rund um den Südrand der Arabischen Halbinsel stehen die Markierungen so dicht, dass man die Wasserflächen auf den Karten kaum mehr erkennt.

Letztlich ist das höchst sinnfällig: Es signalisiert deutlich "Hier ist kein Durchkommen!" - und das, obwohl sich nicht nur die Europäische Union im Rahmen ihrer Operation "Atalanta"  darum bemüht, das Seegebiet mit Kriegsschiffen zu sichern. Neben den neun EU-Ländern, die sich daran beteiligen, versuchen sich auch Briten, Amerikaner und Einheiten von Anrainerstaaten mit wechselndem Erfolg an dieser Aufgabe.

Vor kurzem entschied sich aus diesem Grund die niederländische Weltumseglerin Laura Dekker für einen Umweg um die Südspitze Afrikas, obwohl doch jeder Umweg ihren angestrebten Rekord, jüngste Weltumseglerin der Welt zu werden, gefährdet. Es war wohl eine kluge Entscheidung: Vorbei ist die Zeit, als die Piraten nur an dicken Brocken interessiert waren.

Menschen sind Ziele

Jahrelang hatten es Piraten vor allem auf Frachter und Tanker abgesehen. Seit einigen Jahren aber gilt unter ihnen die menschliche Fracht der Schiffe als das eigentlich Wertvolle: Lösegelderpressungen sind Teil des Geschäftsmodells Piraterie - zur Not gehen sie dafür auch an Land. Seit 2008 greifen die Piraten vor Afrikas Küsten gezielt auch kleine Ziele an - Yachten, aber auch Feriensiedlungen an der Küste. Im September attackierten sie ein Feriendorf in Kenia, erschossen einen britischen Touristen und kidnappten seine Frau Judith Tebbutt, die sich noch immer in der Hand der Piraten befindet. Rund zwei Wochen später folgte ein Überfall auf eine Kenia vorgelagerte Touristeninsel. Die Piraten nahmen eine französische Rollstuhlfahrerin mit, die kurz darauf starb.

Ganz aktuell befinden sich nach Angaben des IMB, das ein Piraterie-Meldesystem  unterhält und weltweite Statistiken führt, 172 Geiseln in der Hand somalischer Piraten, dazu zehn Schiffe, von denen niemand weiß, wo sie sind.

Allein 2011 griffen die somalischen Kriminellen 230 Schiffe an, kidnappten erfolgreich 26 davon. Zeitweilig befanden sich 450 Menschen als Geiseln in der Hand der somalischen Piraten, 15 starben bei den Attacken auf ihre Boote. Der ganze Irrsinn des Piraten-Problems wird klar, wenn man weiß, dass dies sogar gute Nachrichten sind: Der Erfolg der kriminellen Banden ist klar rückläufig . Immer mehr Attacken stehen immer weniger Erfolgen gegenüber.

Denn so sieht die andere Seite der bisherigen Jahresstatistik aus: In 13 Fällen konnten die Angriffe entweder abgewehrt oder die Ziele von Marinebooten oder Kriegsschiffen aus wieder befreit werden. "Nur" in einem Fall wurde die gesamte Besatzung getötet, in einem anderen Fall wurde die Crew gekidnappt - am aufgebrachten Schiff waren die Piraten gar nicht interessiert. In nur sieben Fällen gilt als bestätigt, dass Lösegelder bis zu zweistelliger Millionenhöhe gezahlt wurden.

Piraterie ist nicht nur Armutskriminalität, sondern ein lukratives Geschäft

Doch es geht um weit mehr Geld. Einer Studie  des in Dubai ansässigen internationalen Beratungsunternehmens Geopolicity zufolge richteten somalische Piraten im letzten Jahr einen Schaden von bis zu acht Milliarden Dollar an, verdienten damit insgesamt bis zu 200 Millionen Dollar. Das erklärt die Motive: Es ist nicht nur der Druck der Armut in dem permanent von Krisen, Katastrophen und politischer Instabilität gebeutelten Land, es ist auch die Aussicht auf relativen Reichtum. Ein Pirat verdient im günstigsten Fall mehr als das 150fache eines Durchschnittssomaliers. Für manche von ihnen geht es um weit mehr als die Sicherung eines Lebensunterhalts.

Das ist eine starke Motivation. Dass die Erfolgsquoten der Piraten sinken, hat darum auch nichts mit einem Nachlassen der Piraten-Aktivitäten zu tun - im Gegenteil. Innerhalb der nächsten zwei Jahre, befürchten Experten, könnte sich die Zahl der Seepiraten sogar noch einmal verdoppeln. Zeitgleich wächst die Brutalität der Vorkommnisse. Anfang 2011 schockierten Piraten damit, dass sie vier Geiseln - vor der Küste von Oman gekidnappte Segler - einfach erschossen und wie Ballast abwarfen, als der Zugriff durch Sicherheitskräfte drohte.

Das provoziert Gegenmaßnahmen. Auf der einen Seite schützen die Reeder ihre Schiffe immer öfter mit Bewaffnung und privaten Wachdiensten, während die westlichen Nationen international koordiniert versuchen, die Seewege mit Kriegsschiffen sicherer zu machen - auch die deutsche Marine ist vor dem Horn von Afrika engagiert. Auf der anderen Seite häuft sich bei den Piraten die schwere Bewaffnung - und auch das Vorgehen wird immer enthemmter.

IMO spricht sich gegen die Bewaffnung ziviler Schiffe aus

Eine "völlig unakzeptable Situation" nannte das Uno-Generalsekretär Ban Ki Moon im Frühjahr, als die International Maritime Organization  IMO der Vereinten Nationen begann, ihre Bemühungen gegen die Piraterie noch einmal zu intensivieren. Ende November endete der 27. Sitzungszyklus der Vollversammlung der Organisation mit einer ganzen Reihe von Resolutionen, die die Aktivitäten der Piraten vor Somalias Küsten noch einmal aufs Schärfste verurteilten.

Das wirkt letztlich zahnlos: Zugleich spricht sich die IMO gegen die Bewaffnung ziviler Schiffe aus, unterstützt die Reeder eher mit "Best Practice"-Ratgebern  zum Umgang mit den dortigen Gefahren.

Für Regatten gibt es die noch nicht, aber vielleicht schafft die Volvo Ocean Race gerade welche. So sieht der Plan, der "logistische Alptraum" aus, der die teilnehmenden Boote an der Gefahrenzone vorbeiführen soll:

  • Man teilt die Etappe von Kapstadt nach Abu Dhabi in zwei Abschnitte. Im ersten, längeren, nehmen die Boote Kurs auf einen geheimen Punkt A irgendwo in einer Zone des Indischen Ozeans, die noch als leidlich sicher gilt.
  • Dort werden die Rennyachten an Bord eines von bewaffneten Wächtern gesicherten Frachters verladen. Der transportiert sie unter wahrscheinlich ebenfalls bewaffnetem Geleitschutz zu einem geheimen Punkt B nicht zu weit vor Abu Dhabi.
  • Die Crews der Boote reisen aus Sicherheitsgründen getrennt von den Yachten zu diesem geheimen Punkt. Wie sie von A nach B kommen, wird geheim gehalten.
  • An diesem Punkt B wird die Regatta wieder aufgenommen. Zum Start der nächsten Etappe geht es auf dem gleichen Weg, auf die gleiche Weise wieder hinaus.

Das klingt, als müsste man sich zumindest um die Sicherheit der Segler, die angetreten waren, die Welt zu umrunden, also keine Sorgen machen. Und es klingt eben doch wie eine Bankrotterklärung.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren