Toxikologe in Regensburger Mordprozess "Man kann das Atmen vergessen"

Christian F. soll seine Verlobte Maria Baumer vergiftet haben. Ein Toxikologe erklärt dem Gericht, wie die tödliche Kombination von Medikamenten wirkte.
Von Wiebke Ramm, Regensburg
Angeklagter F. vor Gericht: Er soll seine Verlobte mit Medikamenten getötet haben

Angeklagter F. vor Gericht: Er soll seine Verlobte mit Medikamenten getötet haben

Foto: Armin Weigel/ dpa

Wirklich Sorgen hat sich Maria Baumer offenbar nicht gemacht. Dass ihr über mehrere Stunden die Erinnerung fehlte, merkte sie erst am nächsten Tag, als sie mit ihrer Zwillingsschwester telefonierte. Am Folgetag ging sie zum Arzt. Es war der 16. Mai 2012. 

"Ich stand erst mal so ein bisschen ratlos da", sagt dieser Arzt nun am Mittwoch als Zeuge vor dem Landgericht Regensburg. Maria Baumer habe ihm berichtet, "dass sie sich über drei Stunden an nichts mehr erinnern konnte und wohl auch einen schwankenden Gang hatte während dieser Phase". Der Regensburger Facharzt für Innere Medizin untersuchte die 26-Jährige. Eine Erklärung für ihren "Filmriss", wie der Zeuge es nennt, fand er nicht. Er forschte auch nach psychischen Ursachen. "Alles komplett unauffällig", sagt er. Eines aber fiel ihm auf: Maria Baumer habe erstaunlich unbekümmert gewirkt. "Ich habe mich gewundert, dass sie doch relativ sorglos war." 

Zehn Tage nach ihrem Arztbesuch war Maria Baumer verschwunden. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft lag sie da schon tot in einem Waldstück im Kreuther Forst nahe Regensburg. Ihr Verlobter muss sich wegen Verdachts des Mordes vor der zweiten Großen Strafkammer des Landgerichts verantworten. Laut Anklage soll er Maria Baumer mit einer Kombination der Medikamente Lorazepam und Tramadol getötet haben. 

Der Arzt ließ damals auch das Blut der jungen Frau untersuchen. "Haben Sie Hinweise auf Tavor gefunden?", fragt der Vorsitzende Richter Michael Hammer. Tavor ist ein Betäubungsmittel, der enthaltene Wirkstoff heißt Lorazepam. Nein, sagt der Arzt, aber aus einem Blutbild, wie er es erstellen ließ, hätten sich auch keine Hinweise auf Lorazepam ergeben. "Da hätte man ein Toxikologie-Screening machen müssen." Doch für eine solche Suche nach Betäubungsmitteln habe er keinen Anlass gesehen. 

Ihr Verlobter schickte sie offenbar selbst zum Arzt

Und mit einem Mal steht die Frage im Raum, ob Christian F. seine Verlobte womöglich über längere Zeit vergiftet hat. Das merkt auch seine Verteidigung. "Erinnern Sie sich noch, war es ihre eigene Idee, zu Ihnen zu kommen?", fragt Verteidiger Johannes Büttner den Arzt. "Sie hat angegeben, dass sie sich nur deshalb vorstellt, weil ihr Verlobter besorgt gewesen ist", antwortet er. 

Warum sollte Christian F. seine Verlobte zum Arzt schicken, wenn er ihr heimlich Medikamente verabreicht? Oder wusste Christian F., der gelernte Krankenpfleger, dass Tramadol und Lorazepam bei herkömmlichen Untersuchungen nicht auffallen? So sieht es die Staatsanwaltschaft.

Maria Baumers Leiche wurde erst 16 Monate nach ihrem Verschwinden in einem Waldstück entdeckt. Zwei Sachverständige berichten an diesem Tag, was ihre Analysen der sterblichen Überreste ergaben. Was von der jungen Frau übrig geblieben war, stellte die Wissenschaftler vor besondere Herausforderungen. Aufwändige Untersuchungen ihres Knochenmarks auf Rückstände von Medikamenten blieben 2013 zunächst ergebnislos.

Erst Nachforschungen im November 2019 im Forensisch Toxikologischen Centrum München, einem privaten Labor mit modernster Technik, führten zu Treffern. Professorin Gisela Skopp, Expertin für Chemie und Toxikologie, berichtet von Tramadol-Funden im Knochenmark, an Haaren und an einem Slip von Maria Baumer. Auch an einem BH aus ihrer Wohnung fanden sich demnach Spuren von Tramadol. Lorazepam sei ebenfalls an Slip und Haaren "eindeutig nachgewiesen" worden. 

Die Expertin schreibt in ihrem Gutachten mehrfach von "fraglich" positiven Tramadol-Nachweisen. Der Richter fragt, was "fraglich" bedeute. Sie erklärt es mit wissenschaftlicher Pingeligkeit. Bei der angewandten Methode komme es in ein bis zwei Prozent aller Fälle zu falschen Zuordnungen. Doch sie stellt umgehend klar, dass sie an den Treffer im Fall Maria Baumer tatsächlich nicht einmal ein Prozent Zweifel hat. "Es ist eindeutig identifiziert, auch wenn hier fraglich steht", sagt sie. "Wir hätten vielleicht hinschreiben sollen: starker Hinweis."

Große Hausapotheke

Doch wann und in welcher Dosierung die Substanzen in Maria Baumers Körper gelangt sind, kann die Expertin nicht mehr feststellen. Das Gericht hört einen Zeugen nach dem anderen an. Mehrere weitere Ärzte werden befragt, bei denen Maria Baumer in ihren letzten Jahren in Behandlung war. Lorazepam oder Tramadol hat ihr keiner von ihnen verschrieben. Hinweise darauf, dass sie die Mittel freiwillig eingenommen hat, fehlen. 

Christian F. aber hatte offenbar eine ganze Apotheke zu Hause. Ein Toxikologe vom Institut für Rechtsmedizin der Universität Erlangen-Nürnberg zählt anhand von Fotos, die bei der Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten im September 2013 entstanden sind, ein ganzes Sammelsurium an Medikamenten auf. Auch Lorazepam und Tramadol sind dabei. 

Der Richter fragt den Sachverständigen, was passiert, wenn Lorazepam und Tramadol zusammen konsumiert werden. "Man kann das Atmen vergessen", sagt der Toxikologe. Er erklärt, dass sich beide Mittel in ihrer sedierenden Wirkung verstärken. Tramadol könne in hoher Dosierung zudem den Atemreflex unterdrücken. "Bei Bewusstsein merkt man das natürlich", sagt der Experte. Doch wenn das Bewusstsein aufgehoben sei, "dann kommt es sehr leicht zu einem Atemstillstand".

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