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Unterdrückte Gläubige in Indonesien: Beten, protestieren, Schutz suchen

Foto: Achmad Ibrahim/ AP

Religionskonflikte in Indonesien Beten unter Polizeischutz

Bombenanschläge, Lynchjustiz, versiegelte Kirchen: Immer wieder kommt es in Indonesien zu religiös motivierten Gewalttaten gegen Minderheiten, vor allem Christen. Dabei galt das muslimisch geprägte Land lange als Paradebeispiel eines friedlichen Miteinanders der Religionen.
Von Simone Utler

Wenn Sri Handoko predigt, schauen ihm rund ein Dutzend Polizisten über die Schulter. Mit einer Waffe am Gürtel, einem Funkgerät in der Hand und nervösem Blick umringen die Uniformierten den Kirchenältesten - und bewachen seine Gemeinde. Seit dem frühen Morgen sind die Polizisten vor Ort, damit die Gläubigen ab acht Uhr sicher ihren Gottesdienst abhalten können.

Die Mitglieder der Yasmin-Gemeinde in der indonesischen Stadt Bogor werden von radikalen Islamisten bedroht, ihre Religionsfreiheit ist eingeschränkt: Sie dürfen ihre Messe nicht in ihrer Kirche abhalten, beten und singen stattdessen auf einem Bürgersteig. Frauen und alte Männer sitzen auf kleinen roten und blauen Plastikhockern, wie bei einem Besuch im Kindergarten, die Polizisten stehen dahinter. Autos rauschen auf der Straße vorbei, Mopeds knattern, Hupen übertönen die Stimme des Predigers, die aus einem Lautsprecher dröhnt.

Wenige Meter daneben steht die Kirche der Presbyterianer-Gemeinde, ein fast fertiggestellter Neubau mit rotem Wellblechdach. Doch den Gläubigen ist der Zutritt offiziell verboten. "Wir haben eine Baugenehmigung, aber der Bürgermeister hat sie unter dem Einfluss fundamentaler Islamisten ausgesetzt", sagt Gemeindesprecher Bona Sigalingging. Seit April 2010 sei das Gelände im Westen der 800.000-Einwohner-Stadt, rund 50 Kilometer südlich von Jakarta, versiegelt. Trotz eines Beschlusses des höchsten indonesischen Gerichts weigert sich Bürgermeister Diani Budianto, die Kirche zu öffnen. Der Tageszeitung "Jakarta Globe" zufolge begründet er die Schließung mit Beschwerden von Anwohnern und gefälschten Unterschriften in der Bewerbung um die Baugenehmigung .

Wiederholt wurden die Mitglieder der Yasmin-Gemeinde angegriffen und bedroht. Am ersten Sonntag im Oktober erschien eine radikalislamische Gruppe während des Gottesdienstes und skandierte "Allahu akbar" (Allah ist groß). Es kam zu Handgreiflichkeiten, die Polizei musste einschreiten.

Diskrepanz zwischen offizieller Politik und Realität

In keinem Land der Welt leben mehr Muslime als in Indonesien. Rund 88 Prozent der Einwohner bekennen sich zu diesem Glauben, insgesamt knapp 240 Millionen Einwohner. Lediglich acht Prozent der Indonesier dagegen bekennen sich zum Christentum, zwei Prozent zum Hinduismus, der vornehmlich auf Bali und in Ostjava praktiziert wird. Die restlichen zwei Prozent machen Buddhisten und Konfuzianer aus, sowie Anhänger von staatlich nicht anerkannten Naturreligionen.

Laut Verfassung soll keine religiöse Gruppe favorisiert und keine diskriminiert werden. Der Staat sonnt sich darin, als Paradebeispiel für ein friedliches Miteinander der Religionen zu gelten, Islam und Demokratie zu vereinen. "Es besteht jedoch eine große Diskrepanz zwischen der offiziellen Politik der Regierung und dem Geschehen an der Basis in weiten Teilen des Landes", sagt Andreas Harsono von Human Rights Watch Indonesien.

In den vergangenen Jahren gab es immer wieder religiös motivierte Übergriffe. Nach den Bombenschlägen auf Bali mit 202 Toten im Jahr 2002 und den Selbstmordattentaten auf zwei Luxushotels in Jakarta 2009 ging die Polizei rigoros gegen radikalislamische Netzwerke vor, mehr als 200 Mitglieder der extremistischen Jemaah Islamiah wurden festgenommen. Doch inzwischen werden zunehmend lokale Übergriffe gemeldet.

Am 25. September wurden bei einem Selbstmordanschlag auf eine christliche Kirche in Surakarta (Solo) in Zentraljava mindestens 27 Menschen verletzt. Auf der Inselgruppe der Molukken kam es am 11. September zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Christen und Muslimen, bei denen drei Menschen starben und 60 verletzt wurden. Gut zwei Wochen später stellte die Polizei vor zwei protestantischen Kirchen Sprengsätze sicher.

Ahmadiyya-Minderheit: geprügelt, getötet, gedemütigt

Das Setara Institut für Demokratie und Frieden registrierte im Jahr 2010 mehr als 216 Fälle, in denen die Religionsfreiheit verletzt wurde - ein Anstieg von acht Prozent gegenüber 2009 . Allein in Ostjava wurden 91 Fälle verzeichnet, weitere 28 in Westjava und 16 in Jakarta. In rund der Hälfte aller Fälle wurden die radikalen Gruppen Majelis Ulema Indonesia (MUI) und Front Pembela Islam (FPI) als Täter ausgemacht. 75 Übergriffe richteten sich gegen Christen, 50 gegen Mitglieder der muslimischen Glaubensgemeinschaft Ahmadiyya. Die Ahmadis gelten für viele Muslime als nicht zu akzeptierende Abweichler, da für die Sekte nicht Mohammed, sondern ihr Gründer Mirza Ghulam Ahmad der letzte Prophet ist. Im Februar kam es in dem Ort Cikeusik auf Java zu einem brutalen Übergriff von mehr als tausend Menschen auf eine Ahmadiyah-Siedlung. Zwei Häuser und zwei Autos wurden zerstört, fünf Menschen wurden verletzt, drei Männer starben.

"Der Staatsapparat versagt in vielen Fällen von Gewalt gegen Minderheiten", kritisiert Samsul Fahda vom Wahid Institut.  Laut Verfassung müssten der Staat und seine Organe neutral sein, also Gewalt gegen Minderheiten verhindern. Aber: "In vielen Fällen ignorieren Polizisten einfach, was geschieht." Ein Youtube-Video aus Cikeusik zeigt, dass die Polizei nahezu untätig zusah, als die Ahmadis brutal zusammengeschlagen wurden.

Zwei Gerichtsurteile zu dem Fall sorgten weltweit für Empörung: Die zwölf Täter wurden wegen leichterer Vergehen, aber nicht wegen Totschlags oder Mordes verurteilt, und mussten lediglich für drei bis sieben Monate ins Gefängnis. Einer der Ahmadis, der schwer verletzt überlebt hatte, wurde zu sechs Monaten Haft verurteilt: Er habe einen Angreifer verletzt und die Anweisungen der Polizei missachtet, begründete das Gericht die Entscheidung.

Die schweigende Mehrheit

Offiziell werden Übergriffe auf Minderheiten verurteilt: Indonesiens Präsident Susilo Bambang Yudhoyono hat sich gerade wieder gegen gewalttätige Fundamentalisten ausgesprochen. In ihrem Kampf gegen militante Gruppen sperrten Regierungsbehörden in diesem Jahr 300 Internetseiten. Einige namhafte Kräfte setzen sich für einen liberalen Islam ein, darunter der ehemalige indonesische Präsident Abdurrahman.

Die Mehrheit der Bevölkerung ist laut Wahid Institut der Meinung, dass Indonesien ein moderater islamischer Staat sei. "Kommt es zu Angriffen auf Ahmadis oder christliche Minderheiten, hegen viele Indonesier Sympathie für die Opfer", so Samsul Fahda. Aber die Mehrheit der moderaten Gruppen schweige: "Wir sprechen daher von der stillen Mehrheit."

Viele der Gruppen, die einen islamischen Staat etablieren wollen, machen laut Fahda sehr "gute Lobbyarbeit", ihre Religionsschulen haben großen Zulauf. Eine 2010 durchgeführte Umfrage zeigt durchaus konservative Tendenzen unter jungen Muslimen (siehe linke Spalte). Das Wahid Institut versucht mit eigenen Erziehungsprogrammen den Einfluss der Radikalen einzudämmen. "Wir wollen das Bewusstsein der Jugendlichen dafür schärfen, dass der Islam tolerant und friedlich ist", so Fahda.

Die Mitglieder der Yasmin-Gemeinde wollen sich nicht unterkriegen lassen. "Wir werden weiter jede Woche zum Gottesdienst kommen und für unsere Rechte einstehen", sagt Gemeindesprecherin Dwiati Novita Rini. "Uns ist bewusst, dass Christen immer ein Ziel sein können. Aber wir haben hier viele Polizisten, die uns schützen."

Der Bürgermeister hat die Presbyterianer-Gemeinde von Bogor wiederholt aufgefordert, einen nahegelegenen Versammlungsraum zu nutzen. Aber die Gläubigen weigern sich. "Das ist unser Weg, die Welt wissen zu lassen, dass es hier Diskriminierung gibt", sagt Bono Sigalingging und zeigt auf die Polizisten und Einsatzwagen. "Wir haben das Gefühl, wenn wir das einmal annehmen, ist das Thema erledigt, und der Bürgermeister wird behaupten können, es gibt kein Problem und keine Diskriminierung."

Mit Material von Reuters, AFP
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