Prozess im Fall "Revolution Chemnitz" "Paradebeispiel für Voreingenommenheit"

Im Prozess gegen acht Mitglieder der mutmaßlichen Terrorgruppe "Revolution Chemnitz" hielt ein Verteidiger zwei Richter des Senats für befangen: Er hörte ein Gespräch der beiden - außerhalb der Verhandlung.
Verfahren auf der Zielgeraden: Richter Hans Schlüter-Staats, Richterin Horlacher

Verfahren auf der Zielgeraden: Richter Hans Schlüter-Staats, Richterin Horlacher

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MATTHIAS RIETSCHEL/ © by Matthias Rietschel

Vier Eigenschaften gehören zu einem Richter: höflich anzuhören, weise zu antworten, vernünftig zu erwägen und unparteiisch zu entscheiden. Das sagt Sokrates. Im Hochsicherheitstrakt des Oberlandesgerichts Dresden geht es an diesem Tag darum, ob die Richter des Staatsschutzsenats sich an diese vier Eigenschaften halten.

Daniel Sprafke, Verteidiger von einem der acht Angeklagten, lehnte den Vorsitzenden Richter sowie eine Richterin des Senats wegen Besorgnis der Befangenheit ab, nachdem er in der Mittagspause zufällig ein Gespräch zwischen ihnen und einem weiteren Richter mitanhörte.

Insgesamt acht Nationalsozialisten aus Sachsen sitzen seit Ende September auf der Anklagebank, weil sie die terroristische Vereinigung "Revolution Chemnitz" gegründet haben sollen . Nach Ansicht der Bundesanwaltschaft planten sie, schwere staatsgefährdende Straftaten zu begehen, Anschläge zu verüben und Menschen zu töten.

Seit mehr als 30 Verhandlungstagen geht es darum, inwieweit die Angeklagten versuchten, ihre "rechtsextremistische und bisweilen offen nationalsozialistische Gesinnung" und "ihre Vorstellungen von einem danach ausgerichteten Staats- und Gesellschaftssystem" durchzusetzen. Das Verfahren ist auf der Zielgeraden angekommen, Ende dieser Woche sollen die ersten Plädoyers gehalten werden.

Rechtsanwalt Sprafke verbrachte die Mittagspause im ersten Obergeschoss des Gerichtsgebäudes, er saß an einem Tisch im Flur, die Tür zum Trakt des Senats war geöffnet. "Das gesprochene Wort von dort anwesenden Personen konnte nach außen dringen: in den öffentlich zugänglichen Raum", sagt Sprafke. Er habe die Stimmen des Vorsitzenden Richters und die einer Richterin und eines weiteren Richters vernommen, alle drei sind Mitglieder des Staatsschutzsenats.

Es sei zunächst um den Antrag eines anderen Verteidigers gegangen, den dieser zuvor in der Hauptverhandlung gestellt hatte. Schließlich habe die Richterin von der "Höhe der Strafen" gesprochen. Sodann sei man auf den 14. September 2018 gekommen. Der Tag, an dem einige der Angeklagten nach Ansicht der Bundesanwaltschaft eine Art Probelauf für den großen "Systemwechsel" gestartet haben sollen.

Nach einer Demonstration der Bewegung "Pro Chemnitz" sollen fünf von ihnen - Christian K., Sten E., Martin H., Marcel W. und Sven W. - mit weiteren zehn Männern auf der Schlossteichinsel auf Fremde - darunter fünf Iraner und ein Pakistaner – losgegangen sein, sie eingeschüchtert, bedroht und zum Teil verletzt haben.

Die anderen Angeklagten, die nicht bei dieser Aktion dabei gewesen seien, sollten "jedenfalls unter zwei Jahren bekommen", will Anwalt Sprafke gehört haben. In diesem Zusammenhang habe der Vorsitzende erwähnt, dass der Verteidiger eines der Angeklagten "wohl mehr als zwei Jahre" erwarte. Diejenigen, die an dem sogenannten Probelauf teilgenommen hätten, sollten "mehr als zwei Jahre" bekommen.

"Während des gesamten Gesprächs wurde kein Konjunktiv verwendet oder deutlich gemacht, es handele sich nicht um ein ernsthaftes Gespräch unter Kollegen", kritisiert Sprafke. Sein Eindruck: Das Urteil stehe bereits fest. Zudem scheine für die Richter der Vorwurf der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung unbestritten. "Ansonsten würde die ganze Unterhaltung keinen Sinn ergeben."

DER SPIEGEL 9/2020

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Es sei üblich, dass sich Richter auch außerhalb der offiziellen Beratungsrunden über laufende Verfahren austauschen, sagt Sprafke, aber "dieses Gespräch war erschütternd" und "ein Paradebeispiel für Voreingenommenheit".

Der Vorsitzende Richter Hans Schlüter-Staats zeigte sich Prozessbeteiligten zufolge betroffen, gab eine dienstliche Stellungnahme ab und erklärte sich. Da nahm Sprafke den Befangenheitsantrag überraschend zurück. "Der Vorsitzende kam auf uns zu. Mein Mandant und ich hatten das Gefühl, er hat verstanden, was wir zum Ausdruck bringen wollten. Damit war unser Ziel erreicht."

Am Donnerstag wird die Verhandlung fortgesetzt.

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