Rocker-Prozess "Ich bin zum Abschuss freigegeben"

Rolf D. ist "ein Verräter" - so sagt er selbst: Er hat das Schweigegesetz der Rockergruppe Bandidos gebrochen. Im Mordprozess gegen zwei frühere Kameraden enthüllt er nun brutale Details aus dem Innenleben des Clubs - und fürchtet deshalb um sein Leben.

Münster - Rolf D. bewegt sich langsam und behäbig. Schweren Schrittes tappt der korpulente 53-Jährige in den Schwurgerichtssaal des Landgerichts Münster. Er trägt ein blaues Sweatshirt, eine ausgebeulte Jeans, schwere Stiefel. Der Bart ist grau und ungepflegt, der Haarkranz zottelig, der Blick trübe. D. sieht aus wie eine Mischung aus Weihnachtsmann und Tippelbruder - mit einer starken Tendenz zum letzteren. Er schläft nicht mehr viel in jüngster Zeit.

"Ich gehe morgens um fünf ins Bett und stehe um sieben wieder auf", wird der Kraftfahrer später dem Vorsitzender Richter der 1. Großen Strafkammer, Michael Skawran, sagen und dann im breiten westfälischen Tonfall hinzufügen: "Ich habe meine Probleme. Da können Sie einen drauf lassen."

Rolf D. ist "ein Verräter", so sagt er selbst. Er hat mit dem ehernen Gesetz aller kriminellen Organisationen gebrochen, niemals mit den Behörden zu sprechen. Und deshalb ist er, der Ex-Bandido-Funktionär aus Neuenkirchen, heute hier. D. soll im Mordprozess gegen seine früheren Clubkameraden Heino B., 48, und Thomas "Addi" K., 36, aussagen. Den beiden breitschultrigen Rockern wirft die Staatsanwaltschaft vor, am 23. Mai 2007 im westfälischen Ibbenbüren den Hells Angel Robert K., 47, erschossen zu haben.

Nur wenige Tage zuvor hatte sich seinerzeit das abgespielt - so jedenfalls berichtet es D. -, was den Schatzmeister und Schriftführer des Chapters Münster, also der dortigen Einheit, zum Bruch mit den Bandidos veranlasste. D. hatte in die Vereinskasse gegriffen und 8500 Euro veruntreut. Seine Kumpane fuhren deshalb am Abend des 19. Mai, es war "gegen halb elf", beim ihm zu Hause in zwei Autos vor. "Man wollte meine Frau 'durchlassen', also verprügeln. Da fiel bei mir die Klappe." D. ging zur Polizei und packte aus.

Geschäfte mit Koks, Waffen, Frauen

Die Details aus dem Innenleben des Rockerclubs, die D. nun unter den eiskalten Blicken der versammelten Kuttenträger im Landgericht wiederholt, zeichnen das Bild einer kriminellen Bande mit kleinbürgerlichen Zügen. Demnach zahlten die Bandidos aus Münster eine Mitgliedsgebühr von monatlich 110 Euro, die teilweise sogar per Lastschriftverfahren auf ein Gemeinschaftskonto bei der Sparkasse Greven ging. Daneben jedoch gab es laut D. eine sogenannte "Tomatenkasse", in die "sämtliche Gelder aus den Geschäften mit Koks, Waffen und Frauen" eingezahlt worden seien. Im Mai 2007 hätten sich darin etwa 65.000 Euro befunden.

Freimütig plaudert D. auch über die Maschinenpistolen, Handgranaten und abgesägten Schrotflinten der Bandidos. "Ich kannte keinen, der keine Waffe hatte", so D. Einmal sei den Rockern sogar eine Panzerfaust zum Kauf angeboten worden, doch "es gab hier niemanden, der sich damit auskennt". Wenn sie Partys gefeiert hätten, sei ein Bandido eigens dafür abgestellt worden, vier Wochen vor dem Termin am Ort der Feier "Schießeisen" zu verstecken. Offenbar fürchteten die Rocker Attacken der konkurrierenden Hells Angels, die laut D. in Bandido-Augen der "Staatsfeind Nummer eins" waren.

Einmal habe er mit drei weiteren Bandidos, die mit einer Maschinenpistole und Schrotflinten ausgerüstet gewesen seien, "Jagd auf 'Angels' gemacht". In der Nähe einer Autobahnauffahrt habe man sich in einem Opel Omega auf die Lauer gelegt. Als drei "Rot-Weiße" auf ihren "Mopeds" vorübergerollt seien, nahmen die Bandidos laut D. die Verfolgung auf. Sie hätten das Trio überholt und aus den geöffneten Fenstern gefeuert. Gab es Verletzte oder Tote, fragt der Richter? D. weiß es nicht.

"Sie haben da mitzumachen. Da können sie nicht 'Nein' sagen"

In den vergangenen Jahren haben sich D. zufolge Angels und Bandidos aus dem Westfälischen immer wieder gegenseitig krankenhausreif geschlagen. Mit Teleskopstangen, Pfefferspray und Messern seien sie aufeinander losgegangen. "Es war ein ewiges Hin und Her", sagt der Aussteiger, den die Verteidiger der beiden Angeklagten im Gegensatz zur Polizei für unglaubwürdig halten. "Zu seinen Erinnerungen kommt offensichtlich jede Menge Phantasie", sagt Rechtsanwalt Thomas Klein.

Für ihr krudes Verständnis von Ehre, Kameradschaft, Männlichkeit und Mut machten sich die Harley fahrenden Rocker gegenseitig das Leben zur Hölle. Doch vielleicht ging es auch nur um "Geld, Gebiete und Macht", wie Zeuge D. meint, und die Clubchefs trieben ihre Männer aus Gewinnsucht in erbarmungslose Auseinandersetzungen auf Leben und Tod. "Sie haben da mitzumachen. Da können sie nicht 'Nein' sagen", erklärt D. dem Gericht das unerbittliche Rocker-Prinzip von Befehl und Gehorsam, das keinen Widerspruch duldet.

Auch der im Mai 2007 in seinem Motorradladen erschossene Robert K. sei häufig in diese Konflikte verwickelt gewesen. Als einer der wenigen Hells Angels im "Bandidoland" rund um Osnabrück war K. immer wieder Zielscheibe für Vergeltungsaktionen, wie D. sagt. So etwas wie ihr "Joker" sei der Geschäftsmann deshalb gewesen. Einer, auf den man immer zurückgreifen konnte.

"Ich bin zum Abschuss freigegeben. Ich bin Freiwild"

Zu Beginn des vergangenen Jahres seien dann führende Mitglieder des Bandido-Chapters Münster der Idee verfallen, sich die höchste Auszeichnung ihres Motorradclubs zu erwerben. Mit dem sogenannten "Expect-no-mercy-Badge" würden nämlich nur denjenigen geehrt, die einen Hells Angel mit einer Schusswaffe oder einem Messer lebensgefährlich verletzt hätten. Ziel des geplanten Übergriffs sei, so stellt es D. dar, wiederum der Ibbenbürener Robert K. gewesen, der dann auch wochenlang von zwei Bandidos observiert worden sei.

Ob der gewaltsame Tod des Motorradhändlers tatsächlich auf das perfide Streben weniger Bandidos nach einem Rocker-Orden zurückgeht, ob wirklich ein Mensch sterben musste, weil einige dieser Pfadfinder auf Testosteron sich ein buntes Stück Stoff auf die Jacke nähen wollten, kann D. nicht sagen, da er selbst noch vor dem Mord ausstieg. Doch er nimmt es stark an.

Über seine eigene Zukunft macht sich Rolf D., der sich mit seiner Familie zurzeit im Zeugenschutzprogramm des Landeskriminalamts befindet, keine Illusionen. "Wenn man könnte, wie man wollte, würde man mich jetzt hier im Gerichtssaal vierteilen", sagt D. und meint damit seine Freunde von früher, die grummelnd auf den Zuschauerbänken in seinem Rücken sitzen. Und dann spricht D. die wenigen Worte, die für einige Zeit im Saal stehen bleiben und nicht zu verklingen scheinen. "Ich bin zum Abschuss freigegeben. Ich bin Freiwild."

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