Urteil zum Brandanschlag in Salzhemmendorf Terrorismus. Nichts anderes

Die Angeklagten Dennis L., Sascha D. und Saskia B.
Foto: Holger Hollemann/ dpaEin Familienmensch sei er, sagte Dennis L. in seinem letzten Wort. Als ein solcher habe er sich in Haft oft überlegt, was es für seine Familie bedeuten würde, wenn ihr jemand das antue, was er getan hat: In der Dunkelheit der Nacht einen Molotowcocktail durch das geschlossene Fenster eines bewohnten Hauses schleudern und weglaufen, wenn die Flammen hochschlagen.
Dennis L.s Familie stand an den vergangenen Verhandlungstagen oft auf der Straße vor dem Landgericht Hannover, vor dem schweren Tor, durch das die Untersuchungshäftlinge in Polizeibussen gefahren werden. In einem davon saß Dennis L., er blickte durch die vergitterten Scheiben, sah seine Mutter, seinen Bruder, seine Freunde. Sie hatten auf ihn gewartet, winkten ihm zu.
Nicht am Donnerstag. Der Gefangenentransport passiert die Einfahrt, Dennis L. sitzt dieses Mal ganz hinten. Niemand steht vor dem Tor. Heute wird das Urteil verkündet, seine Familie steht in der Schlange vor dem Haupteingang, wartet auf Einlass, sie geht mit den Freunden hoch in Raum 127, den Schwurgerichtssaal. Sie setzen sich wie sonst auch in die letzten beiden Reihen des Zuschauerraums. Einige von ihnen vermummen sich, wenn die Kameras zu ihnen schwenken, und erregen dadurch nur mehr Aufsehen.
Um 14.17 Uhr verkündet die Kammer das Urteil wegen versuchter schwerer Brandstiftung und versuchten Mordes: acht Jahre Haft für Dennis L., sieben Jahre Haft für Sascha D., von denen er eineinhalb Jahre im sogenannten Vorwegvollzug absitzen muss und anschließend in einer Entziehungsanstalt untergebracht wird, und viereinhalb Jahre Haft für Saskia B.

Brandanschlag in Salzhemmendorf
Foto: DPA/ Kreisfeuerwehr Hameln-PyrmontGemeinsam haben sie in der Nacht auf den 28. August vergangenen Jahres auf eine bewohnte Flüchtlingsunterkunft in Salzhemmendorf, einem 9400-Einwohner-Ort in Niedersachsen, einen Brandsatz geworfen, den die Männer zuvor gebaut hatten. Saskia B. chauffierte die beiden zum Tatort.
Die drei Angeklagten handelten nach Ansicht der Schwurgerichtskammer aus "ideologischem, besser gesagt: nationalsozialistischem Fremden- und Rassenhass", sagt der Vorsitzende Richter Wolfgang Rosenbusch. Alle drei seien sich bewusst gewesen, dass bei dieser Tat Menschen ums Leben hätten kommen können, sie hätten es billigend in Kauf genommen. Dass der Sohn der vierköpfigen Familie in jener Nacht bei seiner Mutter schlief und das Kinderzimmer leer war, in das der Molotowcocktail flog - purer Zufall.
"Diese Tat spricht für sich"
Rosenbusch, bekannt und geschätzt für deutliche Worte, spricht Klartext: Dennis L. und Sascha D. hätten seit vielen Jahren das nationalsozialistische Gedankengut idealisiert, andere Ethnien, Hautfarben und religiöse Überzeugungen diskreditiert, die Massenvernichtung unter Adolf Hitler positiv bewertet. "Dieses Bekenntnis zum nationalsozialistischen Rassenwahn ist eindeutig", so Rosenbusch. "Diese Tat spricht für sich."
Es ist ein hartes Urteil, ein richtiges Urteil. Und die Begründung, die Rosenbusch vorträgt, klingt so, als sollte es weniger eine abschreckende Wirkung haben auf ähnliche Straftaten, die in Zukunft nicht auszuschließen sind, und vielmehr ein Signal sein an die Menschen, die Schutz suchen in Deutschland - wie die vierköpfige Familie, in deren Wohnung der Brandsatz flog. Die Frau sei aus Simbabwe vor dem Terror Robert Mugabes geflohen, sie habe ihren Ehemann dort verloren. "Alles, wovor sie weggelaufen ist, hat sie hier wieder eingeholt", sagt Rosenbusch. Physisch blieb die Familie unverletzt, aber schwer traumatisiert.
Dennis L. und Sascha D. nehmen das Urteil und seine Begründung regungslos zur Kenntnis. Saskia B. weint. Ihr Verteidiger hatte für eine "faire Strafe" plädiert. Die Kammer aber verurteilte die zweifache, alleinerziehende Mutter zu vier Monaten Haft mehr, als die Staatsanwaltschaft gefordert hatte. "Frau B., Sie haben einen Realschulabschluss, Sie sind nicht doof", wendet sich Richter Rosenbusch an die 24-Jährige. "Sie wissen, was passiert, wenn man Benzin in eine Flasche füllt und in ein Haus wirft."
Richter rügt nicht nur Angeklagte - sondern auch Verteidiger
Fremdenhass sei auch Saskia B.s Motiv für ihre Beteiligung an der Tat gewesen. Spätestens der WhatsApp-Chat mit ihrer Mutter am Tag nach der Tat habe Saskia B. entlarvt: "Was habt ihr da angestellt? Molli ins Asylbewerberheim. Ne ne ne", fragte die Mutter, versehen mit einem Tränen lachenden Smiley. Saskia B. antwortete: "Wir haben alle artig Heia gemacht. Aber schadt ja nichts."
"Schadt ja nichts" bedeute so viel wie "Es hat die Richtigen getroffen", konstatiert Rosenbusch am Donnerstag. "Damit haben Sie sich eindeutig positioniert." Ebenso damit, dass Saskia B. damit kokettierte, ihrem zweijährigen Sohn beigebracht zu haben, "Sieg Heil" zu sagen. "Es zeigt, welch Geistes Kind Sie sind", so Rosenbusch.
Und noch einer bekommt in der Urteilsbegründung sein Fett weg: Roman von Alvensleben, der Verteidiger von Dennis L. Er hatte in seinem Plädoyer versucht, die rechtsextreme Gesinnung seines Mandanten abzuschwächen und ein wirres Bild bemüht: Wenn man alle Indizien, die einen Verdacht von Fremdenfeindlichkeit schüren, in eine Suppe werfe, diese herumrühre - "Kommt dann wirklich Nationalsozialismus heraus?"
"Nichts anderes als ein gemeiner Terrorismus"
Dieses Bild habe das Gericht "irritiert", formuliert es Rosenbusch noch diplomatisch. "Für die Kammer schaut aus dieser Suppe die Fratze des Nationalsozialismus." Und an die Angeklagten gerichtet sagt er: "Das, was Sie getan haben, ist nichts anderes als das, was die SA am 9. November 1938 getan hat." Damals setzten organisierte Schlägertrupps jüdische Häuser in Brand, es war der offizielle Beginn des größten Völkermords in der Geschichte. "Das ist die Reihe, in die Sie treten", sagt Rosenbusch zu Dennis L., Sascha D. und Saskia B. "Was Sie gemacht haben, ist nichts anderes als ein gemeiner Terrorismus."
Für Dennis L., den Familienmenschen, der bis zu seiner Inhaftierung im Haus seiner Großeltern wohnte, der sich den Namen seines verstorbenen Vaters tätowieren ließ, der eine enge Beziehung zu seiner Mutter und seinem Bruder pflegt, für ihn dürfte das Urteil am bittersten sein: Er wird nicht wie Sascha D. in eine Entziehungsanstalt wechseln, die wesentlich mehr Komfort bietet als der Knast. Er wird nicht wie Saskia B. in wenigen Jahren in Freiheit sein. Immerhin hat ihn in der Untersuchungshaft eine Erkenntnis ereilt, die er in seinem letzten Wort für erwähnenswert hielt: "Ich hatte ein nahezu perfektes Leben."
Zusammengefasst: Im Prozess um den Brandanschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft in Salzhemmendorf hat die Schwurgerichtskammer des Landgerichts Hannover zwei Haupttäter und eine Mittäterin zu hohen Haftstrafen verurteilt. Die Angeklagten hatten vor Gericht eine fremdenfeindliche Gesinnung abgestritten. Der Vorsitzende Richter wählte in der Urteilsbegründung jedoch klare Worte: Die drei hätten aus "nationalsozialistischem Fremden- und Rassenhass" gehandelt.