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Schießerei auf US-Militärbasis Blutbad vor dem Kriegseinsatz

Er ist Militärpsychiater, Muslim und sollte in Kürze nach Afghanistan. Ein US-Major soll auf dem US-Truppenstützpunkt Fort Hood in Texas zwölf Soldaten getötet und 31 teils schwer verletzt haben. Der mutmaßliche Schütze, der bis dato traumatisierte Kriegsheimkehrer behandelte, überlebte verwundet.

Fort Hood - Es sollte ein Tag der Freude werden. Im Auditorium des US- Truppenstützpunkts Fort Hood in Texas war eine große Ehrenfeier anberaumt, für alle Soldaten, die ihre College-Ausbildung abgeschlossen hatten. Das Motto dieses Jahres: "Amerikas Patrioten ausbilden."

Es kam anders. Oberst a.D. Greg Schannep war gerade auf dem Weg zur Feier, als er Schüsse hörte. "Ein Soldat rannte an mir vorbei und rief: 'Sir, da schießt jemand'", berichtete er der Zeitung "Austin American-Statesman". "Als er an mir vorbeilief, sah ich Blut auf seinem Rücken. Ich glaube nicht mal, dass er wusste, dass er angeschossen war."

Schannep, ein Mitarbeiter des texanischen Kongressabgeordneten John Carter, hielt das Ganze zuerst für eine Übung: "Ich hörte drei oder vier Salven mit acht bis zwölf Schüssen pro Salve", erinnerte er sich mit der Präzision eines gewieften Militärs. Doch die angebliche Übung entpuppte sich als tödlicher Ernst.

Es dauerte Stunden, bis sich das Chaos aus Falschmeldungen, wackligen TV-Livebildern, Gerüchten, Mutmaßungen, amtlichen Verlautbarungen und Dementis gelegt hatte. Erst in der Nacht zum Freitag Ortszeit begann sich herauszukristallisieren, was geschehen war.

"Dies ist unser Zuhause"

Eine halbe Stunde vor Beginn der Feier, gegen 13.30 Uhr Ortszeit, befanden sich zahlreiche Soldaten in einem benachbarten Gebäude, wo sie letzte Vorbereitungen für den Abmarsch in den Irak und nach Afghanistan trafen. Plötzlich begann ein einzelner Mann um sich zu schießen, mit zwei Handfeuerwaffen. Die meisten Opfer waren wehrlos: "Aus Prinzip tragen wir keine Waffen", sagte Generalleutnant Robert Cone, der Kommandeur des riesigen Camps, als er den Ablauf der Ereignisse skizzierte. "Dies ist unser Zuhause."

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Tragödie in Fort Hood: Tote, Verletzte und eine Heldin

Foto: AP

Binnen kurzer Zeit waren elf Soldaten tot, ein zwölfter starb später im Krankenhaus. 31 wurden zum Teil schwer verletzt. Darunter auch der Schütze, den die Medien zunächst stundenlang ebenfalls für tot erklärt hatten.

Kommandeur Cone identifizierte ihn als Nidal Malik Hasan: 39 Jahre alt, US-Staatsbürger, Arzt, Truppenpsychiater, 2008 zum Major befördert und erst kürzlich vom Armeehospital Walter Reed in Washington, wo er sechs Jahre gearbeitet hatte, nach Fort Hood versetzt, den größten US-Militärstützpunkt der Welt. Dort war es seine Aufgabe, vom Einsatz im Irak und Afghanistan gezeichnete Soldaten seelisch beizustehen - oder auch jenen, die das erst noch vor sich hatten. Wie jetzt die Opfer.

Alle TV-Sender begannen schnell, dasselbe Schwarz-Weiß-Porträtfoto Hasans zu zeigen. Es stammte von seiner Personalkarte beim "Center for the Study of Traumatic Stress", wo er als Spezialist für "Katastrophen- und Präventivpsychiatrie" geführt wurde. Auf dem Foto lächelt er leicht gezwungen in die Kamera.

"Noch so ein loyaler, moderater, amerikanischer Muslim"

Was veranlasste den Offizier und Mediziner, der sonst seine vom Kriegshorror traumatisierten Kameraden betreut, das schlimmste Blutbad anzurichten, das es je auf einer US-Basis gegeben hat? Eine Tat, die US-Präsident Barack Obama in einer spontanen Erklärung "entsetzlich" nannte?

Noch bevor die Fakten klar waren, blühten die Spekulationen - und Pauschalverurteilungen. Viele Kommentatoren stürzten sich schnell auf Hasans Namen und den im Lauf des Abends enthüllten Umstand, dass er Muslim ist.

"Er ist ein Muslim", so begann der Moderator Bill O'Reilly die Hauptabendsendung des TV-Senders Fox News mit bebender Stimme - als erkläre das automatisch ein Motiv. "Das hat man ja kommen sehen", schrieb die konservative Kolumnistin Debbie Schlussel in ihrem Blog. "Noch so ein loyaler, moderater, amerikanischer Muslim." Darunter bildete sie zur Illustration die islamische Mondsichel ab.

Angeheizt wurde diese Stimmung von Berichten, Hasan habe sich auf radikal-islamischen Websites ausgelassen. Mehrere US-Zeitungen und TV- Sender meldeten, der Mediziner sei den Ermittlungsbehörden schon vor rund sechs Monaten aufgefallen, weil er auf einem Internet-Blog Selbstmordattentate verherrlicht habe. Die "New York Times" linkte dazu auf ihrer Website zu einem Blog, auf dem ein "NidalHasan" Selbstmordattentäter als "nobel" bezeichnete und mit Soldaten verglich, die für ihre Kameraden "ihr Leben opfern". Es konnte jedoch zunächst nicht verifiziert werden, ob es sich dabei um denselben Hasan handelte.

"Unsere Familie liebt Amerika", beteuerte Hasans Cousin Nader in einer schriftlichen Erklärung. "Wir sind schockiert und bestürzt über die schrecklichen Ereignisse in Fort Hood." Nidal sei in Virginia geboren und "in Amerika aufgewachsen". Seine schockierte Familie sei "voller Trauer für die Familien der Opfer".

Täter wollte seine Entsendung in den Irak verhindern

Nach übereinstimmenden Angaben von Verwandten und Bekannten hatte Hasan jedoch schon länger Probleme mit dem Militär. Demzufolge sollte er Ende des Jahres selbst nach Afghanistan geschickt werden, zu seinem ersten Übersee-Einsatz überhaupt - ein Einsatz, gegen den er sich vehement gesträubt habe.

"Die Idee an die Front zu müssen, hat ihn entsetzlich mitgenommen", sagte Nader Hasan der "New York Times". "Täglich erzählten ihm die Leute von dem Horror, den sie da drüben erlebten."

"Er war total dagegen", bestätigte Oberst a.D. Terry Lee, der mit Hasan zusammengearbeitet hat. "Er hat versucht, seine Entsendung zu stoppen." Hasan sei nicht mit Präsident Obama und dessen Kriegspolitik einverstanden gewesen. "Er war sehr aufgebracht über Obama", sagte Lee auf "Fox News". Mit der Zeit sei er "immer aufgewühlter" gewesen und auch mit anderen Soldaten aneinandergeraten.

Nader Hasan sagte, sein Cousin sei direkt aus der High School ins Militär eingetreten, habe aber bald "nach dem 11. September" 2001 versucht, wieder entlassen zu werden. Auch habe er darüber geklagt, wegen seines Glaubens von Kameraden gemobbt zu werden, deshalb habe er sogar einen Militäranwalt eingeschaltet.

Kommandeur Cone sagte am Abend, er könne einen Terrorakt "nicht ausschließen", aber es gebe derzeit keine Indizien dafür. Als das Bild des Attentäters immer komplexer wurde, mehrten sich auch die Stimmen, die vor Kurzschlussreaktionen warnten. "Es ist unerlässlich, dass wir uns die Zeit nehmen, erst alle Fakten zu sammeln", erklärte der republikanische Senator John Cornyn aus Texas. "Gerüchte" und "inakkurate Informationen" seien "unverantwortlich".

Muslimische Gruppen in den USA sind alarmiert

Muslimische Gruppen schalteten sofort auf Alarmzustand. Der "Muslim Public Affairs Council" in Los Angeles rief, offenbar Übergriffe befürchtend, "alle Mitglieder amerikanischer Muslimgemeinden" auf, sich "mit den örtlichen Polizeibehörden wegen der Sicherheit ihrer Gemeinschaften und ihrer Institutionen in Verbindung zu setzen". Der "Council on American-Islamic Relations" (CAIR), die größte US- muslimische Bürgerrechtsgruppe, verlor keine Zeit, den "feigen Anschlag" zu verurteilen. Keine religiöse oder politische Ideologie sei eine "Rechtfertigung" für derart "willkürliche Gewalt". Amerikas Muslime sprächen den Opfern "aufrichtiges Beileid" aus.

Quelle der fälschlichen Todesmeldung über den mutmaßlichen Täter war das Militär selbst. Das hatte zunächst offiziell erklärt, der Schütze sei im Feuergefecht erschossen worden. Auch erste Meldungen über angebliche Komplizen entpuppten sich später als falsch.

Fort Hood ist mit 57.000 Soldaten, fast 18.000 Angehörigen und 5600 Zivilangestellten die größte US-Militäranlage der Welt. Das Gelände erstreckt sich über 880 Quadratkilometer zwischen Dallas und der texanischen Hauptstadt Austin. Die Basis wurde 1942 gegründet, als Stützpunkt für US-Truppen im Zweiten Weltkrieg. Bekannt geworden ist sie aber immer wieder auch als Sammelstelle für Dienstverweigerer und Kriegsgegner.

Im September 2008 gab es schon mal eine Schießerei in Fort Hood. Ein 22-jähriger Soldat, der kurz vor der Entlassung stand, tötete einen Vorgesetzten und brachte sich dann selbst um.

Während die Schüsse von Texas fielen, saßen zur gleichen Zeit in Washington Vertreter von Veteranengruppen mit Mitarbeitern des Senats zusammen. Ihr Anliegen: mehr psychologische Betreuung von Kriegsheimkehrern. Die Mord- und Selbstmordraten stiegen bedenklich an. "Ich bin den Tränen nahe", sagte Paul Sullivan, der Chef der Interessengruppe "Veterans for Common Sense". "Wir haben unermüdlich dafür gearbeitet, genau so etwas zu verhindern."

Anmerkung der Redaktion: In diesem Text hieß es zunächst, der Amokschütze von Fort Hood sollte schon bald in den Irak geschickt werden. Doch US-Heeressprecherin Catherine Abbot hat inzwischen klargestellt: Der Mann war für einen Afghanistan-Einsatz vorgesehen. Wir haben den Text an den entsprechenden Stellen korrigiert.

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