Spektakulärer Kriminalprozess Letzte Chance für Harry Wörz

Wer versuchte am 29. April 1997, die Polizistin Andrea Z. zu ermorden? Ihr damaliger Ehemann wurde zunächst zu elf Jahren Haft verurteilt, in einem zweiten Prozess jedoch freigesprochen. Nun steht Harry Wörz ein drittes Mal vor Gericht.

Mannheim - Harry Wörz betritt den größten Verhandlungssaal des Landgerichts Mannheim. In diesem Raum - grelles Neonlicht, dunkle Täfelung, ein monströses Baden-Württemberg-Wappen an der Wand - wurde er schon einmal freigesprochen. Damals weinte er fast vor Glück.

An diesem Mittwoch kommen dem 42-Jährigen die Tränen, als er sich hoffnungsvoll und aufgeregt an den Vorsitzenden Richter Rolf Glenz wendet: "Ich habe nicht versucht, meine Frau zu töten. Ich kann nur hoffen, dass der wahre Täter gefunden wird. Bitte schützen Sie mich vor einer ungerechten Verurteilung und sprechen Sie mich frei."

Seit zwölf Jahren beteuert Harry Wörz aus Birkenfeld-Gräfenhausen bei Pforzheim, dass er am 29. April 1997 seine damalige Frau, die getrennt von ihm lebte, nicht überfallen und mit einem Wollschal minutenlang stranguliert habe. Durch die Strangulation wurde die Sauerstoffzufuhr zum Gehirn des Opfers unterbrochen. Die heute 38-Jährige leidet an einem "hypoxischen Hirnschaden". Sie ist ein Schwerstpflegefall, sitzt im Rollstuhl. Andrea Z. kann nicht mehr gehen, nicht mehr sprechen - nicht mehr aussagen.

Ihr Leben als resolute, zupackende Polizeibeamtin, Mutter eines Sohnes und leidenschaftliche Motorradfahrerin endete in jener Nacht auf brutale Weise.

Zum dritten Mal steht Harry Wörz für diese Tat vor Gericht - angeklagt wegen versuchten Mordes. Erstmals verurteilt ihn 1998 das Landgericht Karlsruhe in einem reinen Indizienprozess zu elf Jahren Haft wegen versuchten Totschlags - nach gerade einmal viertägiger Verhandlung. Vier Jahre und sieben Monate sitzt Wörz daraufhin im Gefängnis.

Ausgerechnet sein Schwiegervater, der Wörz für schuldig hält, ebnet ihm den Weg zum Freispruch: Wolfgang Z. strengt im Oktober 1999 einen Schmerzensgeldprozess gegen seinen ehemaligen Schwiegersohn an, fordert 300.000 Mark. Die Achte Zivilkammer des Landgerichts Karlsruhe deckt jedoch widersprüchliche Angaben und weitere Schlampereien bei den Ermittlungen auf. Im April 2001 lehnt sie die Klage schließlich ab - es sei nicht erwiesen, dass Harry Wörz überhaupt der Täter sei.

Drei Verdächtige: Ehemann, Vater, Geliebter

Der Weg für eine Wiederaufnahme des Verfahrens ist damit frei. Das Oberlandesgericht Karlsruhe (OLG) entscheidet, dass der Fall neu verhandelt werden muss und gibt ihn ans Landgericht Mannheim, das in der Vergangenheit einen Wiederaufnahmeantrag abgelehnt hatte.

Im Oktober 2005 spricht das Landgericht Mannheim Wörz frei - aus Mangel an Beweisen. Staatsanwaltschaft und Nebenklage, die Andreas Eltern vertritt, legten daraufhin Revision ein. Der Bundesgerichtshof (BGH) hebt das Urteil auf und weist den Fall erneut an das Mannheimer Landgericht zurück.

Nach Ansicht der Mannheimer Staatsanwaltschaft soll sich Harry Wörz mit einem Haustürschlüssel Zutritt zur Wohnung seiner Frau in Birkenfeld im Enzkreis verschafft und versucht haben, sie zu erdrosseln. Ihr Vater, der sich in der Wohnung darunter aufhielt und Geräusche hörte, will ihr zur Hilfe geeilt sein. Doch der Täter habe blitzschnell die Tür zum Zimmer aufgedrückt, sie ihm an den Kopf geschlagen. Er, so schilderte es Wolfgang Z., sei danach zunächst in den Keller gerannt, dann wieder nach oben. Als er zurückkehrte, war der Täter bereits unerkannt verschwunden. Sagt Wolfgang Z.

Wolfgang Z. ist Polizist - der Beruf, den auch seine Tochter ergriff. Er alarmiert sofort den Notruf und sagt bereits in diesem Augenblick, wen er im Verdacht hat: Andreas Geliebten, Thomas H., oder seinen Noch-Schwiegersohn Harry Wörz.

"Isch bin so uffgeregt, Hohes Gerischt"

Harry Wörz ist ein schmächtiger, schüchterner Mann mit Achtziger-Jahre-Schnauzer und Mittelscheitel. "Isch bin so uffgeregt, Hohes Gerischt!", wendet er sich an den Vorsitzenden der Kammer. Er befürchte, dass es ein Nachteil sein könne, dass er ausgerechnet wieder in Mannheim vor Gericht stehe, sagen seine Pflichtverteidiger Hubert Gorka aus Karlsruhe und Ralf Neuhaus aus Dortmund.

Wörz, fast zermürbt vom jahrelangen Rechtsstreit, hat zum letzten Mal allen Mut zusammengenommen und hofft auf einen zweiten Freispruch. Zweifel an der Schuld des Angeklagten gibt es zuhauf.

Die Staatsanwaltschaft ist davon überzeugt, dass Wörz wegen Sorgerechtsstreitigkeiten seine Noch-Frau töten wollte. Vor Gericht schilderte Wörz an diesem Mittwoch jedoch, dass er und seine Frau sich zwar nach kurzer Zeit und trotz eines gemeinsamen Kindes getrennt hätten, es aber nie ein schwerzerrüttetes Verhältnis war. Er beschrieb, wie er ihr ein Bett und einen Lattenrost in ihre neue Wohnung wuchtete, wie sie sich nach der Trennung annäherten und ein "entspannteres Verhältnis" aufbauten.

"Grün und blau geschlagen"

"Ich konnte Kai so oft sehen, wie ich wollte", sagte Wörz zu angeblichen Sorgerechtsstreitigkeiten. Geärgert habe ihn nur, dass sein Sohn nicht über Nacht bleiben durfte - das übliche Hickhack zwischen frischgetrennten Eltern. Trotzdem sei er zuversichtlich gewesen, auch weil er am Tag vor der Tat ein überwiegend positives Gespräch mit seiner Rechtsanwältin bezüglich des Umgangsrechts gehabt hatte.

Welches Motiv also soll Wörz gehabt haben?

Anderes könnte für Andreas damaligen Liebhaber gelten, ihr Schichtführer beim Polizeirevier Pforzheim-Süd, ein verheirateter Mann, zwölf Jahre älter und zweifacher Familienvater. Thomas H. soll sich kaum Mühe gemacht haben, die Affäre zu verheimlichen. Seine Frau Daniela soll ihn vor die Wahl gestellt haben: sie oder ich. Doch die beiden fanden wieder zueinander. Die Versöhnung soll just in der Tatnacht erfolgt sein, morgens um 5.30 Uhr.

Auch deshalb galt Thomas H. nur kurzzeitig als Tatverdächtiger. Kaum ein Mensch könne so kaltblütig sein, nach solch einer Tat Geschlechtsverkehr zu haben, entschieden die Richter.

Als möglicher Täter galt vorübergehend auch Andreas Vater Wolfgang Z., ein angesehener Polizeibeamter. Er soll ein inniges Verhältnis zu seiner Tochter, seinem einzigen Kind, gehabt haben. Harry Wörz schilderte vor Gericht das Gegenteil: Wolfgang Z. habe seine Tochter bevormundet, ihre Tagebücher gelesen und sie, so habe es ihm Andrea Z. selbst erzählt, auch einmal "grün und blau geschlagen" haben. Auch habe er seiner Tochter versprochen, ihr ein Haus zu schenken, wenn sie sich von Harry Wörz trennen würde. Was dann übrigens auch so geschah.

"Wenn du nicht gestehst, sind 600 Polizisten hinter dir her"

Harry Wörz scheint vor Gericht aufrichtig bemüht, zur Aufklärung des Verbrechens beizutragen, und versucht, sich an jedes noch so kleine Detail zu erinnern.

Er schildert an diesem Mittwoch die verheerende Vernehmungssituationen mit Beamten der Pforzheimer Polizei - allesamt bekannt mit seiner damaligen Frau, deren Geliebten und seinem Ex-Schwiegervater. Einer soll ihm gedroht haben: "Wenn du nicht gestehst, dann sind 600 Polizisten hinter dir her."

Ist Harry Wörz Täter oder Justizopfer? Schon zum Auftakt des Verfahrens zeigt sich, dass dieser Prozess noch mühsamer werden wird als die vorangegangenen. Erschwert wird er durch gravierende Schlampereien bei den Ermittlungen: Der Tatort damals wurde nicht versiegelt, zu viele Beamte tummelten sich bei der Spurensicherung in der Wohnung - darunter Andreas Vater. Die akribisch geführten Tagebücher des Opfers verschwanden auf merkwürdige Weise, nur einzelne tauchten wieder auf.

Ebenso seien Vernehmungsprotokolle unvollständig, sagte Wörz. Bei einer Kontrolle seiner Zelle seien ihm zudem von ihm gefertigte Aktennotizen abgenommen worden. Die Ermittlungen waren vielleicht auch deshalb schlampig, weil die Beamten annahmen, ihre Kollegin werde eines Tages den Namen des Täters nennen können.

"Das kannscht mit mir net mache!"

Neue Beweise wird es bei diesem dritten Prozess nicht geben, im Gegenteil. Wichtige Zeugen leben nicht mehr. So auch ein Nachbar, der vor der Tat gehört haben will, wie sich Andrea Z. heftig mit einem Mann stritt, der brüllte: "Isch bring disch um! Isch schlag disch tot. Das kannscht mit mir net mache!"

Analytikern des Bundeskriminalamts zufolge handelt es sich im Fall Andrea Z. um eine Beziehungstat. Das mit einem Nachthemd bekleidete Opfer müsse dem Täter spät nachts selbst die Tür geöffnet haben: Das könnte Harry Wörz gewesen sein, aber eben auch Thomas H. oder gar ihr Vater Wolfgang Z. - oder gibt es gar eine vierte, unbekannte Person?

Im zweiten Verfahren hatte Wörz' Verteidiger, damals wie heute Hubert Gorka aus Karlsruhe, angeführt, dass der Täter - dem Profil des BKA zufolge - wahrscheinlich unter "starkem Druck gestanden" habe und von "starken Gefühlen geleitet" worden sein.

Aufschlüsse über den Mordversuch könnte nur das Opfer geben. Doch das kann Andrea Z. nicht mehr.

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