Strauss-Kahn vor Gericht Kampf um Ruf und Ehre
Massatie Diaby ist an ihrem freien Tag extra aus der Bronx nach Manhattan gefahren, um sich Gehör zu verschaffen. "Wir verlangen Respekt", sagt sie, und ihre Stimme überschlägt sich fast vor Empörung. "Dies ist kein Einzelfall. Sie behandeln uns wie Vieh!"
Diaby arbeitet als Zimmermädchen im New Yorker, einem etwas angestaubten Traditionshotel in Midtown, das sich dank einstiger VIP-Gäste wie Joan Crawford und Fidel Castro heute gerne als "legendär" vermarktet. Seit drei Jahren lebt die Frau von der Elfenbeinküste hier, doch erst jetzt wagt sie sich vor, um gemeinsam mit rund 50 Kolleginnen sexuelle Übergriffe durch Hotelgäste anzuprangern. Denn die, behauptet Diaby, kämen "immer wieder vor" - nicht nur bei Prominenten wie Dominique Strauss-Kahn.
Die Damen sind im Pulk vor dem Criminal Courts Building aufgezogen, dem Justizpalast in Lower Manhattan, wo die Polizei sie hinter Sperrbalustraden eingepfercht hat. Viele tragen Arbeitskittel und Schürzen. Sie ballen die Fäuste, sie schubsen, sie brüllen: "Shame on you! Shame on you!" Schäm dich! Schäm dich!
Der Mann, dem diese Rufe gelten, sitzt zur gleichen Zeit hoch über ihren Köpfen, in Verhandlungssaal 1324 im 13. Stock. Der frühere IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn kann den Lärm der Zimmermädchen hier selbst durch die vier verschlossenen Fenster hören, trotz heruntergezogener Rollos. Verstehen lassen sich die Worte aber nicht. Wie Schlammwellen der Wut schwappen sie dumpf von der Straße herauf.
Was Strauss-Kahn dabei durch den Kopf geht, ist ihm nicht anzumerken. Als er den Saal betritt, kommt der 62-Jährige alleine durch eine Seitentür, hinter der er warten musste, bis sich die harten Holzbänke mit mehr als 80 Journalisten gefüllt haben. Festen Ganges schreitet er an seiner Ehefrau Anne Sinclair, 62, und seiner Tochter Camille, 26, vorbei, die in der ersten Reihe Platz genommen haben - beide kalkweiß, beide ganz in Schwarz. Er setzt sich auf den Ledersessel, der hier die Anklagebank markiert, zwischen seine Staranwälte Ben Brafman und William Taylor. Taylor legt ihm den Arm um die Schultern.
"Arraignment" heißt dieser erste Schritt auf der langen Justiz-Odyssee, die Strauss-Kahn nun bevorsteht. Der Termin ist eine reine Formalität, Auftakt nur zu einer elaborierten, ja fast zeremoniellen Gerichtsbürokratie, auf die die Amerikaner so stolz sind, weil sie diese als Ausdruck von Fairness und Demokratie verstehen. Für Täter wie Opfer aber kann dieses Paragraphendrama zur Tortur werden.
"Not guilty"
Tonlos verliest eine Gerichtsdienerin die Anklage gegen Strauss-Kahn - ein knappes Dokument, dessen Inhalt längst jedem im Saal und darüber hinaus bekannt ist: versuchte Vergewaltigung, sexuelle Nötigung, Freiheitsberaubung.
Richter Michael Obus - ein graumelierter Herr, der sich von der massiven Medienpräsenz im Saal und auf der Straße kaum beeindrucken lässt - blickt den Angeklagten direkt an. "Wie plädieren Sie?" Obus' Kopf wird von einem Sternenbanner und einer New Yorker Staatsflagge eingerahmt, darüber prangt in schnörkellosen Lettern der Wahlspruch Amerikas an der Wand: "In God We Trust."
Strauss-Kahn steht auf, zupft an seinem dunkelblauen Anzug, verschränkt die Hände und murmelt mit kaum hörbarem Akzent: "Not guilty." Nicht schuldig.
"Das ist ein sehr eloquentes, kraftvolles Statement, das er abgegeben hat, das die Vorwürfe bestreitet", wird Ben Brafman später sagen, in typischer Anwalts-Hyperbel. Doch in Wahrheit ist auch das natürlich nur reine Routine.
Not guilty: Mit diesen zwei Worten setzt sich nun das Räderwerk in Gang, das in einen monatelangen Prozess münden wird. Hätte sich Strauss-Kahn schuldig bekannt, wäre Richter Obus nur noch die Bemessung des Strafmaßes geblieben, ohne dass Einzelheiten der Vorwürfe ans Licht gezerrt worden wären. Stattdessen wird jetzt jedes kleinste Detail jenes verhängnisvollen Tages im Hotel Sofitel ausgewalzt werden, an dem sich Strauss-Kahn an dem Zimmermädchen vergangen haben soll.
Nur kurz hakeln Richter, Verteidigung und Staatsanwaltschaft noch um das weitere Vorgehen. Anwalt Brafman fordert 45 Tage Zeit, um das bisher zusammengetragene Beweismaterial gegen seinen Mandanten zu sichten. Staatsanwältin Joan Illuzzi-Orbon, die für die Anklagevertretung spricht, willigt ein.
Keine Fragen, bitte
Obus legt als nächsten Gerichtstermin den 18. Juli fest. "Das wird dann aber um 14.00 Uhr sein." Er ermahnt Strauss-Kahn, dass er "beim gesamten Verhandlungsverlauf anwesend sein" müsse. "Ich nehme Sie dafür beim Wort."
Das Ganze dauert keine vier Minuten.
Während Strauss-Kahn, seine Frau und seine Tochter regunglos vorne verharren, scheuchen die Gerichtsdiener die Journalisten wieder aus dem Saal. Viele sind Franzosen, auf dem muffig-fensterlosen Marmorflur scharen sie sich um ihre Kollegen, die aus Platzmangel leider draußen bleiben mussten.
Unten brüllen sich die Zimmermädchen immer noch heiser. "Er darf nicht davonkommen", sagt eine Angestellte des Warwicks, eines etwas plüschigen Luxushotels in Midtown, das sich seiner "europäischen Eleganz" rühmt.
Brafman tritt vor die Hundertschaft Reporter und TV-Kamerateams, die vor dem Gericht warten. Er sagt, dass er eigentlich nicht viel sagen wolle, dankt nur für die vielen wohlwollenden "Briefe und Gebete", die sein Mandant erhalten habe - und sagt dann trotzdem etwas von solcher Sprengkraft, das es die Berichterstattung der kommenden Wochen sicher bestimmen dürfte.
"Sobald die Indizien überprüft sind, wird klar werden, dass es kein Element gewaltsamer Nötigung gab, welcher Art auch immer", postuliert Brafman. "Jeglicher Gegenbeweis ist einfach nicht glaubhaft." Spricht's, und macht auf dem Absatz kehrt. Keine Fragen, bitte.
Klartext: Die Strategie der Verteidigung - die einzige, die ihr zu diesem Zeitpunkt offenbar bleibt - ist es, auf einvernehmlichen Geschlechtsverkehr zu plädieren. Brafman hatte dies schon mal angedeutet, doch dies ist das erste Mal, dass er das so eindeutig ausspricht. Will heißen: Dieser Prozess wird eine Schlammschlacht werden, in der die Glaubwürdigkeit des mutmaßlichen Opfers - und der einzigen Belastungszeugin - ebenso auf die Anklagebank kommen wird wie Strauss-Kahn.
Sexuelles Verhaltensmuster
Kein Wunder, dass auch das guineische Sofitel-Zimmermädchen längst eigenen Rechtsbeistand verpflichtet hat. Mit im Gerichtssaal sitzt deshalb Ken Thompson, ein medienerfahrener Ex-Staatsanwalt. Einen Namen gemacht hat der sich durch sein erfolgreiches Verfahren gegen zwei Polizisten, die 1997 den haitianischen Einwanderer Abner Louima brutal gefoltert hatten - sie wurden zu 15 beziehungsweise 30 Jahren Haft verurteilt.
Jetzt arbeitet Thompson als Privatanwalt, und das Zimmermädchen ist seine Mandantin, deren Rechte er mit allen Mitteln verteidigen will. "Sie ist eine arbeitsame, alleinerziehende Mutter", sagt der Schwarze. Die Behauptung, sie habe freiwillig mit Strauss-Kahn Sex gehabt, sei "absurd", "eine Lüge". Sie leide und sei "traumatisiert". Dem Angeklagten werde "aller Einfluss in der Welt" nicht helfen, sich aus der Sache herauszureden.
"Sie wird in dieses Gerichtsgebäude kommen, in diesen Zeugenstand treten und der Welt sagen, was Dominique Strauss-Kahn ihr angetan hat", donnert Thompson. Er kündigt außerdem an, seine Kanzlei werde nach weiteren Opfern Strauss-Kahns "auf der ganzen Welt" forschen, um ihm ein sexuelles Verhaltensmuster nachzuweisen.
Nach dem kurzen Wirbel im Gericht zieht sich Strauss-Kahn mit seinen Anwälten zur Beratung zurück. Vor dem luxuriösen 14-Millionen-Dollar-Stadthaus in der Franklin Street, kaum 800 Meter entfernt, warten Dutzende Reporter, Paparazzi und französische Touristen stundenlang auf sein Eintreffen. Jedesmal, wenn ein schwarzer SUV um die Ecke biegt, zücken sie aufgeregt ihre Blöcke und Kameras.
Als Strauss-Kahn schließlich am frühen Nachmittag eintrifft, wird er schnell in den mit Vorhängen verhängten Eingang geschafft. Seine blanken Schuhe streifen die verzierte Eingangsmatte vor der Tür nur kurz. Auf der Matte steht: "Welcome."