Autoattacke »Reichsbürger« zu zehn Jahren Haft verurteilt

Er floh vor Kontrollen und raste auf einen Polizisten zu: Wegen versuchten Mordes muss ein 62-Jähriger zehn Jahre ins Gefängnis. Für die Bundesanwaltschaft ist das Urteil wegweisend im Umgang mit der »Reichsbürger«-Szene.
In Handschellen: Der Angeklagte vor Gericht

In Handschellen: Der Angeklagte vor Gericht

Foto: Bernd Weißbrod / dpa

Nach einer Autoattacke auf einen Polizisten muss ein sogenannter Reichsbürger wegen versuchten Mordes ins Gefängnis. Das Oberlandesgericht Stuttgart verurteilte den 62-Jährigen zu zehn Jahren Haft. Außerdem muss der Mann dem Polizisten, den er damals schwer verletzt hatte, ein Schmerzensgeld von 30.000 Euro bezahlen und nach der Haftentlassung für fünf Jahre seinen Führerschein abgeben.

Der Deutsche war vor gut einem Jahr zunächst vor mehreren Verkehrskontrollen geflohen und steuerte dann auf einen Polizisten zu, den er mit seinem Wagen erfasste und schwer verletzte. Die Richter sahen es als erwiesen an, dass der Täter auch aus seiner Ideologie heraus, nach der das Gesetz für ihn nicht gelte, gehandelt hatte. Das Urteil fällt nur zwei Tage nach einer Razzia in der Szene der »Reichsbürger« und »Selbstverwalter«, bei der ein Polizist angeschossen wurde.

»Wenn man seine eigene Fantasierechtsordnung über das Leben anderer Menschen stellt, dann ist das ein niederer Beweggrund«, sagte Richter Roderich Martis in seiner Urteilsbegründung. Der Deutsche war im Februar 2022 zunächst vor mehreren Verkehrskontrollen geflohen und steuerte dann auf den Polizisten zu. Er erfasste diesen mit seinen Wagen, fuhr mehrere Meter mit seinem auf der Motorhaube liegenden Opfer weiter, schleuderte den Mann mit einer Lenkbewegung zu Boden und fuhr davon. Der Polizist erlitt schwere Kopfverletzungen und leidet bis heute an einer posttraumatischen Belastungsstörung.

Der nun verurteilte Schreiner aus Efringen-Kirchen ist der erste sogenannte Reichsbürger, der von der Bundesanwaltschaft vor Gericht angeklagt worden ist. Der 62-Jährige schilderte noch kurz vor dem Urteil seine Sicht der Dinge, er könne sich an die Geschehnisse in der Nacht nicht erinnern. Nur an die Schüsse der Polizisten auf seinen Wagen habe er »blitzartige« Erinnerungen, er sei panisch gewesen. Waffen habe er nie gehabt und sei niemals gewalttätig gegen Menschen geworden. Zwei Armbrüste, die bei ihm gefunden wurden, habe er zum Bogenschießen nutzen wollen für eine »mentale Erweiterung«.

Das sah das Gericht ganz anders: Im Frühjahr 2020 bestellte der Mann eine Schreckschusswaffe, die er nie bekam. Geliefert wurden hingegen Messer, eine Jagdspitze, zehn funktionstüchtige Patronen für eine Pistole und die beiden Armbrüste samt Pfeilen. »Das sind alles Dinge, die braucht man nicht für Entspannungsübungen«, sagte der Richter. Im selben Jahr trat der Schreiner aus dem Musikverein aus, verlor den Kontakt zu Kollegen, bezeichnete Politiker als Terroristen und Polizisten als »Drecksbullen« und »Ratten«. Als er während der Coronapandemie ohne Maske einkaufen wollte und eine Verkäuferin ihm dies verwehrte, trat er ihr gegen den Oberschenkel.

Das Gericht folgte mit seinem Urteil der Bundesanwaltschaft und der Nebenklage. Für Karin Weingast, Oberstaatsanwältin am Bundesgerichtshof, ist das Urteil »wegweisend im Umgang mit Straftaten mit sogenannten Reichsbürgern«.

sak/dpa
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