Mutmaßlicher Anschlagsplan auf Synagoge in Hagen Wie die Ermittler dem Terrorverdächtigen auf die Spur kamen

Polizisten beim Antiterroreinsatz in Hagen
Foto:Kai-Uwe Hagemann / dpa
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Blind, langsam, nachlässig – nach dem Anschlag auf die Synagoge in Halle (Saale) vor zwei Jahren hagelte es Kritik an den Sicherheitsbehörden. Der Attentäter, ein junger Rechtsextremist, hatte sich unbemerkt über das Internet radikalisiert und dann zwei Menschen getötet. Nur die massive Eingangstür des Gotteshauses, die den Schüssen des Angreifers standhielt, verhinderte ein noch schlimmeres Massaker.
Fast genau zwei Jahre später wollten die Behörden kein Risiko eingehen. Am Donnerstagmorgen gegen acht Uhr nahmen Beamte einen 16-jährigen Syrer vor dem Hauptbahnhof in Hagen fest. Die Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf wirft dem Jugendlichen vor, einen Sprengstoffanschlag auf die Synagoge in Hagen geplant zu haben.
Die Lage war ernst
Wie konkret die Gefahr war und wie weit mögliche Anschlagspläne fortgeschritten waren, lässt sich noch nicht abschießend beurteilen. Nach SPIEGEL-Informationen fanden die Ermittler bei ihren Durchsuchungen bislang keinen Sprengstoff. Die Auswertung sichergestellter Elektronik und Handys dauert an. Ob die Generalstaatsanwaltschaft einen dringenden Tatverdacht sieht und einen Haftbefehl beantragt, steht noch nicht fest.
Klar ist: Die Lage war ernst. Der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (CDU) sprach bei einer Pressekonferenz von einem »konkreten Hinweis« auf ein mögliches islamistisch motiviertes Attentat auf die jüdische Gemeinde.
Nach SPIEGEL-Informationen war es eine Warnung eines ausländischen Geheimdienstes, der die deutsche Terrorabwehr wie auf Knopfdruck zum Brummen brachte. Es war ein Lehrstück internationaler Zusammenarbeit von Polizei und Nachrichtendiensten. Und doch zeigt der Fall einmal mehr, wie abhängig Deutschland in Sicherheitsfragen weiterhin von mächtigen Diensten befreundeter Länder ist.
Sprengstoffsuche mit Spürhunden
Am Mittwochnachmittag, wenige Stunden vor Beginn der Feierlichkeiten zum jüdischen Feiertag Jom Kippur, gab der Partnerdienst seine Erkenntnisse über eine überwachte Kommunikation im Internet an den Bundesnachrichtendienst (BND) weiter. Ein mutmaßlicher Islamist, so die Warnung, kommuniziere mit einem Chatpartner über einen Sprengstoffanschlag. Tatort, Täter, Tatzeit – die Informationen waren Sicherheitskreisen zufolge so detailliert, wie es nur selten der Fall sei.
Der BND teilte den Hinweis umgehend mit allen relevanten Behörden. Bereits kurze Zeit später sicherte ein Großaufgebot der Polizei die Synagoge, Sprengstoffspürhunde durchkämmten das Gelände.
Die Spur führte in der Nacht zu dem 16-jährigen Syrer, der mit seinem Vater und zwei Brüdern in einer Wohnung im ersten Stock eines Mehrfamilienhauses in der Hagener Innenstadt lebt. Rund eineinhalb Stunden nach seiner Festnahme vor dem Hagener Bahnhof am Morgen stürmte ein Spezialeinsatzkommando die Wohnung. Die Polizisten nahmen erst einmal auch den Rest der Familie in Gewahrsam.
Verdächtiger seit 2015 in Deutschland
Nach SPIEGEL-Informationen reiste der 16-Jährige im Frühjahr 2015 über Beirut nach Deutschland ein – im Rahmen des sogenannten Familiennachzugs. Sein Vater lebte zu diesem Zeitpunkt bereits seit einigen Monaten mit Schutzstatus in Hagen und wurde wenig später offiziell als Flüchtling anerkannt.
In Deutschland lebte die Familie bislang offenbar unauffällig. Ein Gemüsehändler aus der Nachbarschaft, der sie kennt, wirkt auf Nachfragen irritiert: »Die sind überhaupt nicht radikal, eher sehr arm«, so der Verkäufer. Tatsächlich war der 16-jährige Hauptverdächtige den Staatsschützern nicht als Islamist bekannt. Eine Anbindung an die lokale Szene gilt als unwahrscheinlich. Der Jugendliche könnte sich zu Hause am Rechner radikalisiert haben.
Erkenntnisse über seinen Werdegang erhoffen sich die Ermittler aus der Auswertung der Asservate und auch von dem Jugendlichen selbst. In diesen Stunden soll er im Polizeipräsidium in Hagen vernommen werden.