Tod im Solling "Ein Mörder mitten unter uns"
Asche - Vergissmeinnicht wehen im Frühlingswind an der Stelle, an der Denise sterben musste. Das Gras vor dem alten Fachwerkhaus, auf dem ihr lebloser Körper gefunden wurde, ist noch immer platt gedrückt. Ein grauer Stoffteddy, rote Grablichter, weiße Rosen und viele Briefe erinnern an ihren gewaltsamen Tod. Freunde der 17-Jährigen legen Bilder und Blumen vor das kleine Beet, halten Andacht und weinen still vor sich hin.
Die meisten von ihnen waren auf der Party am vergangenen Samstag. "Hier ist ja sonst nichts los", sagt Michael. Nur zweimal im Jahr strömen die Jugendliche aus der Umgebung in das winzige 360-Einwohner-Dorf Asche, 13 Kilometer von Göttingen entfernt. Dann macht entweder die Freiwillige Feuerwehr oder der Verschönerungsverein von Asche eine große Feier. "Dann kommen immer rund 200 junge Leute hierher", erzählt der direkt beim "Dorfgemeinschaftshaus" wohnende Nachbar. So auch am Samstag. Es sei bis nach drei Uhr in der Nacht gegangen, erzählt er. Laut sei es gewesen, "aber die Jugend soll ruhig mal richtig feiern". Am Morgen danach entdeckte er ein Paar schwarze Turnschuhe auf der Straße, dachte sich nichts dabei, bis es wie ein Lauffeuer durchs Dorf ging: Keine zwanzig Schritte entfernt lag die tote Denise L. aus dem drei Kilometer entfernten Gladebeck.
"Das war ein Nichtsnutz"
"Ich fand sie so hübsch", sagt eine Zwölfjährige aus dem Nachbarort, wo Denise L. mit ihren Eltern und ihren beiden jüngeren Schwestern lebte. "Ich kannte sie aus dem Bus, wenn wir morgens in die Kooperative Gesamtschule in Moringen fuhren." Die zierliche 17-Jährige trug eine Brille, durch die blonden Haare schimmerten dunkle Strähnen. Sie soll weder einen Freund noch Interesse an dem 18-jährigen Dominik gehabt haben, mit dem sie - so erinnern sich viele Partygäste - kurz nach Mitternacht die Feier verlassen hat. Und gegen den heute Haftbefehl erging.
Die beiden kannten sich nur vom Sehen, behaupten einige Bewohner Asches. "So ein liebes Mädchen hätte sich mit so einem nie eingelassen", wettert eine Frau beim Wäscheaufhängen. Dominik soll seine Lehre geschmissen haben, weil er "gemobbt wurde", sagt einer. "Dabei war das ein Nichtsnutz, so einen kann man gar nicht mobben." Seine Großeltern, gebürtige Ascher, hätten dem arbeitslosen Jungen ein Auto vor die Tür gestellt. Seinen Eltern, beide berufstätig und aus der Gegend stammend, habe er ebenso wenig wie dem älteren Bruder in beruflichen Dingen nachgeeifert.
"Der Nick war's"
"Der hat den ganzen lieben langen Tag nur herumgelungert", sagt ein Nachbar. Der Junge wohnte bei seinen Eltern, die ihn verwöhnt und alles abgenommen haben sollen. "Wie es in einem Dorf unseres Kalibers ist: Bisher hat sich niemand um den Nick geschert, jetzt wollen alle gewusst haben, dass er eine dunkle Seele hat", sagt eine Frau. Auch deshalb will sie ihren Namen für sich behalten. "Hier in Asche hilft jeder jedem", sagt einer. "Umso schlimmer, dass einer von uns ein Mörder ist!"
Die meisten Dorfbewohner haben beobachtet, wie die Polizei zuerst mit einem Hubschrauber über Asche, das auf einem Hügel liegt, kreiste und mit Wärmebildkameras nach Hinweisen suchte. "Da haben wir schon befürchtet: Da ist ein Mörder mitten unter uns", sagt die Tochter eines Landwirtes. Ihre Vermutung verfestigte sich, als schließlich Dominiks Elternhaus durchsucht wurde. Partygäste hatten den ermittelnden Beamten erzählt, dass sie Denise zuletzt mit dem 18-Jährigen vor dem Gemeindehaus gesehen hatten.
"Der Nick, sein Bruder und die Eltern mussten alle raus aus dem Haus und dann sind die Suchmannschaften rein", beschreibt ein Augenzeuge die Durchsuchung. "Dann trugen die kistenweise Schuhe raus." In der Blutlache neben Denise' Körper war den Ermittlern ein deutlicher Schuhabdruck aufgefallen. Nach Polizeiangaben könnte er von Dominiks Turnschuhen stammen. Er soll sie auf der Feier getragen und noch am Sonntag in die Waschmaschine gesteckt haben. Fragt man die Ascher, wer Denise umgebracht haben könnte, kennen die meisten nur eine Antwort: "Der Nick war's." Ihre Theorie: Der 18-Jährige tötete Denise im Affekt, weil sie ihn abwies. Dominiks Familie ist nach seiner Festnahme untergetaucht.
"Das kennt man sonst nur aus dem Fernsehen"
"Der Festgenommene bestreitet die Tat", sagt Andreas Buick, Sprecher der Göttinger Staatsanwaltschaft. Denise sei "an erheblichen Kopfverletzungen, hervorgerufen durch massive Gewalteinwirkung" gestorben. Ein Stein in der Nähe des Leichenfundortes wurde sichergestellt, es könnte die Tatwaffe sein. "Es handelt sich nach bisherigem Ermittlungsstand weder um ein Sexualdelikt noch um einen Raubmord", so ein Polizeisprecher. Eine 25 Mann starke Mordkommission ermittele weiterhin. Dominik soll Kratzwunden im Gesicht und an den Händen haben, sagen die Ermittler. Es könnten Hinweise für eine Auseinandersetzung zwischen ihm und der Schülerin sein. Er sei in einen dornigen Busch gefallen, verteidigt der Tatverdächtige die Wunden.
Ohne ihre Jacke und ihre Tasche hatte das Mädchen die Feier verlassen. Einer Freundin soll sie gesagt haben, sie schnappe nur mal kurz frische Luft. "Wir haben den ganzen Abend getanzt und Spaß gehabt", schluchzt ein Mädchen im Arm eines Freundes. "Denise - wo bist du?", hat sie auf einen Zettel geschrieben und mit einer Rose an den Tatort gelegt.
Der Rentner, der sie am nächsten Morgen um neun Uhr tot neben dem Eingang des Fachwerkhauses fand, dachte zunächst, Denise schlafe ihren Rausch aus. "Ich hab das Blut nicht gesehen und wollte mich erst einmal um die Hühner kümmern." Fast acht Stunden lang hätten Polizeibeamte Spuren gesichert. "Das kennt man sonst nur aus dem Fernsehen."
Weniger aus dem Fernsehen kennt man den Zusammenhalt nach solch einer grausigen Tat: Sowohl am Sonntag als auch heute trafen sich viele Menschen zur Andacht in der kleinen Friedhofskapelle am Ortsrand von Asche. Sie kamen aus allen Nachbarorten, vor allem aus Gladebeck, der 1200 Einwohner zählenden Heimatgemeinde von Denise.
Sie trugen sich in ein kleines, in grauen Stoff gebundenes Kondolenzbuch ein. "Gott, bitte sei bei uns, zeig uns dein Gesicht. Lass uns jetzt nicht alleine", steht da. Und: "Es ist so unfassbar." Einer fasste das zusammen, was die meisten in der idyllischen Region empfinden: "Es herrscht Sprachlosigkeit im Angesicht dieser Tat".