Tote Kinder von Darry "Meine Söhne sind immer noch bei mir"

Fünf Jungen, wohl von der eigenen Mutter erstickt - was trieb die 31-Jährige aus Schleswig-Holstein zu der Tat? Knapp drei Monate später hat ihr Mann nun mit SPIEGEL-TV-Reportern das Unglückshaus besucht. Protokoll einer furchtbaren Heimkehr.

Hamburg - Es ist, als wäre es gestern gewesen, dass Michael Kitzmuller das hell geklinkerte Einfamilienhaus im schleswig-holsteinischen Darry verließ. Spielsachen stapeln sich auf dem Boden. Schulranzen liegen in den Ecken. Die Sonne flutet durch die großen Fenster und taucht die Räume in ein freundliches Licht. Es ist, als wäre nichts passiert.

Dabei ist hier das Schlimmste passiert, was ein Vater sich nur vorstellen kann. Seine Söhne Aidan, 3, Ronan, 5, Liam, 6, Jonas, 8, und Justin, 9, wurden in diesem Haus erst betäubt und dann mit Plastiktüten erstickt. Und die Täterin war nach allem, was man weiß, die Mutter der Kleinen: Steffi, 31, seine Frau.

"Ich musste wieder hierher", sagt Kitzmuller, 35, als er nun in Begleitung von SPIEGEL TV nach Darry zurückkehrt. "Das ist eine Art Nähe. Meine Söhne sind immer noch bei mir, ich spüre sie." Und deshalb zeigen die Fernsehbilder nun einen erwachsenen Mann im karierten Flanellhemd, mit Ohrring, Bart und Brille, wie er zärtlich einen Teddybären an seine Brust drückt: "Ich habe schöne Erinnerungen an diese Sachen. Das ist alles, was bleibt."

Steffi, mit der Kitzmuller seit mehr als sieben Jahren verheiratet ist und die sich zurzeit in einer psychiatrischen Einrichtung befindet, nennt er nur "die Frau". Sein Gesicht wird ganz hart, wenn er von ihr spricht, der Blick fest, der Körper scheint sich zusammenzuziehen, als wollte er einen Panzer bilden. "Ich wünschte, sie wäre tot und nicht meine Kinder", sagt er.

Und was die Situation für Kitzmuller noch unerträglicher macht, so das überhaupt möglich ist: "Die Frau" hat nach Informationen von SPIEGEL TV keinen Strafprozess zu fürchten. Die Staatsanwaltschaft Kiel wird "einen Antrag auf Unterbringung in eine psychiatrische Anstalt stellen", wie der Leitende Oberstaatsanwalt Uwe Wick mitteilte. Gleichwohl werde es natürlich ein sogenanntes Sicherungsverfahren gegen die Frau geben. Steffis Anwalt, Hans-Joachim Liebe, wollte sich dazu auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE nicht äußern. Es gelte, das erforderliche Sachverständigengutachten abzuwarten, sagte er.

Kennengelernt haben sich Kitzmuller und Steffi aus Halle-Neustadt über das Internet, da lebte er noch in seiner Heimat, den USA. Für die junge Frau und ihre beiden Söhne aus einer früheren Beziehung zog er nach Deutschland, sie heirateten und bekamen drei Kinder, doch irgendwann begann Steffi sich zu verändern. Schizophrene Psychose, diagnostizierten die Ärzte.

Er sei eines Abends nach Hause gekommen, so erinnert sich Michael im Gespräch mit SPIEGEL TV, "und die Bude sah total unmöglich aus. Ich sagte: 'Was geht denn hier ab?'" Und seine Frau habe ihm geantwortet: "Ja, die Dämonen haben mich von der Arbeit abgehalten. Ich musste ständig anhalten und die Kinder segnen."

Steffi sprach ihm gegenüber immer öfter von Selbstmord und davon, ihren Kindern etwas anzutun, doch wenn Fremde hinzukommen, schaltete sie um und wirkte normal. Weil Kitzmuller Angst um seine Jungs hatte und sich nicht mehr anders zu helfen wusste, nahm er Steffis Wahnvorstellungen mit einem Diktiergerät auf.

Das gab er im August 2007, so sagt er heute, der Leiterin des Sozialpsychiatrischen Dienstes des Landkreises Plön und bat sie, es an Steffis Psychiater im Krankenhaus Preetz weiterzureichen. Doch weder die Sozialarbeiterin noch der Arzt hörten sich das Band jemals an. "Seine Ausrede war", so Kitzmuller zu SPIEGEL TV, "er hatte kein Nachspielgerät. Das ist Quatsch. Er hätte nur auf den Knopf drücken müssen." Die Behörden hätten ihn vollkommen alleine gelassen. "Das war das Todesurteil für meine Kinder."

Am 4. Dezember, einen Tag vor der Tat, kaufte Steffi ihrem Mann eine Fahrkarte nach Berlin, gab ihm etwas Geld und schickte ihn fort - er sollte etwas ausspannen, Bekannte treffen, auf andere Gedanken kommen. Damit sich Michael keine Sorgen um seine Söhne machte, erzählte Steffi ihm, sie erwarte Besuch von zwei Freundinnen, die sich gemeinsam mit ihr um die Kinder kümmern würden. Michael fuhr. Seine Kinder starben.

Fast drei Monate später steht Kitzmuller nun in der Küche des Unglückshauses, seine Hände halten einen Plastikbecher, er fährt mit dem Finger vorsichtig über den Rand des Gefäßes. Sein Sohn habe immer daraus getrunken, sagt er leise. Und dann setzt er hinzu, mit zitternder Stimme: "Für andere Leute ist das nur ein Becher, aber mir ist er mehr wert als der teuerste Diamant der Welt."

Die Reportage über Michael Kitzmuller sehen Sie im SPIEGEL-TV-MAGAZIN, Sonntag, 22.25 Uhr auf RTL

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren